Standpunkt

Wir dürfen trotz der Corona-Krise die Flüchtlinge nicht vergessen

Veröffentlicht am 17.04.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ In der derzeitigen Corona-Pandemie erlebt Claudia Nothelle eine Welle der Solidarität. Die Ausnahmesituation bringe die Menschen dazu, sich plötzlich auf andere Werte zu besinnen. An den Grenzen höre diese Solidarität aber auf, kritisiert sie.

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Ein Zettel im Hausflur: Wir kaufen für Sie ein, wenn Sie selbst nicht können. Ein Kind bietet seine Hundeausführdienste an über nebenan.de. Pfadfinder, Messdienerinnen, Jugendverbände – sie alle wollen helfen, helfen, helfen. Eine ganz neue Welle der Solidarität wird beschworen, Deutschland – Corona sei Dank – im Helferrausch.

Manche dieser Einkaufsangebote klingen zwar wie die immer zitierte gute Tat in der Kinderkatechese "Der alten Frau über die Straße helfen" (und ich habe als Kind lange die alte Frau gesucht, die über die Straße wollte und meine Hilfe brauchte). Aber eins eint sie alle: der Wille zu helfen. Die Einsamen nicht allein zu lassen, die Kranken nicht unversorgt, die Überforderten nicht noch mehr zu fordern. Die Ausnahmesituation bringt die Menschen dazu, sich plötzlich auf andere Werte zu besinnen.

Nur: Diese neue Solidarität hört auf an unseren Grenzen. Erste kritische Stimmen waren zu hören, als Franzosen und Italiener freie Intensivbetten in Deutschland belegten: "Die brauchen wir doch selbst." Und das, was auf der Insel Lesbos gerade passiert, ist in den vergangenen Wochen weitgehend in Vergessenheit geraten. 1600 minderjährige Flüchtlinge – unbegleitete Kinder und Jugendliche – wollten die EU-Länder aufnehmen. So die Entscheidung Anfang März. Gerade einmal ein Monat ist seitdem vergangen, aber die Welt steht still seit Mitte März – und hat die Kinder von Lesbos vergessen.

Am Mittwoch sind 12 Kinder aus den Lagern der Inseln Lesbos, Chios und Samos in Luxemburg gelandet, 50 sollen am Samstag in Deutschland ankommen. Und die anderen? Natürlich gilt für die 12 wie für die 50 das alte Wort aus dem Talmud: "Wer auch immer ein einziges Leben rettet, der ist, als ob er die ganze Welt gerettet hätte". Manchmal frage ich mich, ob das nicht auch umgekehrt gilt.

Während der Ostertage tauchten auf Instagram, Twitter und Facebook Karten vom Meer rund um Malta auf. Darauf zu sehen: kleine Punkte. Sie standen für Schlauchboote, in denen Menschen saßen. Die Menschen von einem Boot konnten gerettet werden. Ein anderes ist gesunken. Und mindestens eins wird vermisst. Und mit ihm die Menschen, die auf ihre Rettung hofften. Wer ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt!

Von Claudia Nothelle

Die Autorin

Claudia Nothelle lehrt Fernsehjournalismus an der Hochschule Magdeburg-Stendal, ist Aufsichtsratsvorsitzende der katholischen Journalistenschule ifp und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK).

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.