Standpunkt

Mehr Spiritualität im Alltag – nicht nur in der Corona-Krise!

Veröffentlicht am 22.04.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Derzeit werden Gläubige mit Gottesdienst-Livestreams und Vorschlägen für Hausandachten überflutet. Doch viele können damit kaum etwas anfangen, glaubt Roland Müller. Er plädiert für mehr Spiritualität im Alltag.

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Vor einigen Jahren habe ich eine Moschee besucht und kam mit dem Mitglied der islamischen Gemeinde ins Gespräch, der die Führung durch das Gotteshaus gegeben hatte. Er erzählte mir, dass er im katholischen Glauben aufgezogen worden seisich als junger Mann aber für den Islam entschieden habe. Der Grund für seinen Übertritt hat mich verblüfft: Als Muslim seien ihm feste Regeln und Zeiten zum Sprechen der Gebete vorgegeben. Das gefalle ihm sehr gut, denn es gliedere seinen Alltag. Im christlichen Glauben habe ihm stets eine religiöse Praxis gefehlt, die über den Sonntagsgottesdienst hinausgeht. 

In den vergangenen Wochen musste ich öfters an die Begründung dieses Muslims für seine Konversion denken. Denn angesichts des Wegfalls von öffentlichen Messen in der aktuellen Corona-Krise stellt sich für viele Katholiken die Frage, wie Glaube und "Gottesdienst" in ihrem Alltag überhaupt noch vorkommen. Gewiss, die mehr als zahlreichen Livestreams von Eucharistiefeiern bringen den Gläubigen die Messe nach Hause, quasi direkt aufs Sofa. Und nahezu jedes Bistum hat Handreichungen für die Feier von Hausgottesdiensten erstellt. Doch viele der ohnehin schon wenigen Gottesdienstbesucher tun sich schwer, den Glauben in den eigenen vier Wänden zu leben. Das wissen auch einige Bischöfe, die ihre Schäfchen nachdrücklich dazu aufrufen, sich beim gemeinsamen Gebet zuhause mit der Familie nicht voreinander zu schämen. 

Gerade jetzt in der Corona-Krise wird deutlich, dass viele Gläubige kaum Erfahrung mit dem privaten Gebet oder der Andacht in der Familie haben, die ironischerweise oft als Hauskirche gelobt wird. Die große Mehrheit der Katholiken ist in ihrer religiösen Praxis zu sehr auf die Sakramente fixiert, besonders auf die Feier der Heiligen Messe. Die Eucharistie ist "Quelle und Höhepunkt des gesamten christlichen Lebens", wie das Zweite Vatikanische Konzil betont hatDoch aus der bloßen Feier der Eucharistie erwächst nicht unbedingt eine persönliche Gottesbeziehung. Diese wird vielmehr durch das alltägliche Gebet eingeübt und vertieft. Gerade das ist für viele jedoch eine Herausforderung, wenn oft selbst das Tischgebet nicht mehr gepflegt wird. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das für jeden Gläubigen eine bleibende Herausforderung darstellt – auch über die Corona-Zeit hinaus. 

Von Roland Müller

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.