Wie die Corona-Krise den Vatikan ausbremst
Der Vatikan will ab dem 4. Mai seine zum Schutz gegen die Corona-Pandemie eingeleiteten Sicherungsvorkehrungen vorsichtig lockern. Ein Krisengipfel von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin mit den Chefs der Kurienbehörden hatte vergangene Woche in der weiträumigen alten Synodenaula über die Szenarien der "Phase zwei" beraten. Wie Italien, das zum gleichen Termin einen ersten Ausstieg nach sieben Wochen Ausnahmezustand angekündigt hat, wollen auch die Kurie und der Vatikanstaat langsam aus dem Lockdown herauskommen. Der Vatikan legt größten Wert darauf, angesichts der vielfachen Verquickungen den strengen Normen des großen Nachbarlandes im Kampf gegen Covid-19 Rechnung zu tragen. Freilich liegt er mit zehn Infizierten bei rund 5.000 Angestellten und Mitarbeitern deutlich unter der Quote Italiens mit über 200.000 Erkrankten und 27.000 Toten.
Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Papst Franziskus, der selbst in den vergangenen Wochen mehrfach negativ auf das Virus getestet wurde, weiterhin auf seine öffentlichen Begegnungen mit den Gläubigen verzichtet. Bis Ende Juni will er die Generalaudienzen am Mittwoch und das sonntägliche Mittagsgebet nur vor wenigen Mitarbeitern in seiner Privatbibliothek halten; für die Gläubigen in aller Welt werden diese Termine per Livestream übertragen. Da der Papst im Juli grundsätzlich keine öffentlichen Termine wahrnimmt, wären Generalaudienzen frühestens für August wieder denkbar, hört man. Das hängt aber natürlich von der Pandemie-Entwicklung in Italien ab, von möglichen Änderungen bei Ausgangssperren und Versammlungsauflagen, insbesondere in der Region Latium. Die ist von Corona bislang weniger betroffen als etwa die Lombardei oder das Veneto. Aber dass der Papst im August bereits wieder im offenen Jeep durch Menschenspaliere fährt, ist kaum denkbar.
Kurienmitarbeiterkehren an ihre Schreibtische zurück
Allerdings soll ab dem 4. Mai ein großer Teil der Kurienmitarbeiter wieder an den Schreibtisch zurückkehren. Wo möglich sollen Gleitzeit und ein Schichtdienst verhindern, dass alle Bediensteten gleichzeitig ankommen und zusammen arbeiten. Der Heilige Stuhl wie der Vatikanstaat hatten ihren Betrieb am 10. März nicht komplett heruntergefahren. Die Behörden blieben prinzipiell geöffnet, um die erforderlichen Dienste für die Universalkirche zu leisten – in Abstimmung mit dem Staatssekretariat, unter Beachtung aller hygienischen Vorkehrungen und nach flexibleren Arbeitsmechanismen.
Allerdings wurden Petersdom und Petersplatz samt Vatikanpost, Buchläden und weiterer Stellen mit Publikumsverkehr geschlossen. Ebenso die vatikanischen Museen, eine der Haupteinnahmequellen des chronisch-klammen Kleinstaats. Vatikan-Apotheke und natürlich der Gesundheitsdienst blieben geöffnet, freilich unter Begrenzung auf die eigentliche Klientel und mit strengster Beachtung der Hygiene-Normen. Und Abstandhalten ist auch das Gebot in und vor dem Supermarkt Annona.
In den sieben Wochen des partiellen Shutdowns hielten die Kongregationen, Dikasterien, Räte und Ämter ihren Dienstbetrieb zunächst mit einer Notpräsenz aufrecht. Meist waren der Sekretär und der Untersekretär sowie mindestens ein Vertreter jeder Abteilung und Sektion anwesend. In den oft weitläufigen Gängen konnten die Verbliebenen sich gut aus dem Weg gehen. Homeoffice war meist keine echte Alternative. Denn vatikanische Dienst-Dokumente unterliegen der päpstlichen Geheimhaltung und dürfen die Amtsräume nicht verlassen. Das gilt ganz besonders für Personalfragen wie etwa Bischofsernennungen oder Kurienversetzungen, aber auch für alle disziplinarischen Belange. Die Präsenz in den Kongregationen richtete sich freilich auch etwas nach der Wohnstätte und den Anreisemöglichkeiten der Beschäftigten, die keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen durften.
Vatikan erwachte an Ostern aus seiner Schockstarre
Ab Ostern schien der Vatikan aber bereits aus seiner ersten Schockstarre zu erwachen. Beobachter registrierten, dass wieder deutlich mehr Kuriale in die Büros rund um den Petersplatz und entlang der Via della Conciliazione kamen. Denn dort können sie auch auf das Archiv, die Bibliothek und weitere Unterlagen zurückgreifen. Homeoffice kam vor allem für Behörden und Beamte in Frage, die Studien erarbeiten, Dossiers erstellen oder allgemeine Korrespondenzen erledigen.
Allerdings galten und gelten auch innerhalb der Behörden die Begegnungs- und Versammlungsauflagen. Inzwischen tragen die meisten außerhalb ihres eigenen Büroraums einen Mundschutz. Die kommunikative Tee- oder Kaffeepause entfällt. Mitarbeiterversammlungen können allenfalls im kleinsten Kreis (mit bis zu fünf Personen) und mit größtem Abstand stattfinden. Und die offiziellen Kongregationssitzungen der rund 20 Kardinäle und Bischöfe können, abgesehen von Anreiseproblemen für Auswärtige, nicht wie gewohnt stattfinden. Die Teilnehmer müssen ihre Voten schriftlich einbringen. Für allgemeine Videokonferenzen ist der Vatikan bislang noch nicht technisch gerüstet. In manchen Bereichen funktionieren Audio-Schalten. Aber der Betrieb in der Kurie ging und geht weiter, auch wenn bislang auf Sparflamme, wie ein hoher Kurialer meinte.
Papst Franziskus begibt sich derzeit nicht mehr täglich zu Dienstgeschäften aus seiner Wohnung im Gästehaus Santa Marta in den Apostolischen Palast, sondern praktisch nur zu Audienzterminen. Aber die entfallen weitgehend, seit Staatsgäste, Ad-limina-Bischöfe oder Ordenskapitel nicht anreisen können. Zuletzt kamen Ende März Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte und Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi zum Papst, um sich über Schritte in der Krisensituation auszutauschen.
Feste Audienzgäste waren in den vergangenen Wochen nur die Präfekten der Glaubens-, der Bischofs- und der Missionskongregation. Mit den beiden letzteren steht die Abstimmung über Bischofsernennungen auf der Agenda. Und die täglichen Namen neuer Bischöfe zeigen, dass die Arbeit im Vatikan weitergeht. Das gilt auch für das weiterhin geöffnete Presseamt, das die akkreditieren Journalisten mit Informationen aus dem Vatikan beliefert. Auch Radio Vatikan sendet wie gewohnt. Die Tageszeitung "Osservatore Romano" kommt inzwischen online heraus, während die deutschsprachige Wochenausgabe die Kunden – über ihren Stuttgarter Verlag – weiterhin gedruckt erreicht.
Corona hat den Vatikan verändert
Corona hat den Vatikan verändert, auch seine Außenwahrnehmung, in der der Papst immer mehr zu einer moralischen Bezugsgröße in der Krise wird. Breite Resonanz mit hohen Zugriffsraten finden die Frühmessen des Papstes, die seither jeden Morgen live aus der Kapelle von Santa Marta übertragen und über Vatican media mit Kommentaren in vielen Sprachen verbreitet werden. Das Kirchenoberhaupt geht dabei auf verschiedenste Aspekte und Facetten der Pandemie ein: Er bekundet den Kranken sein Mitgefühl, ruft Politiker zu Klugheit und Sorgfalt auf, dankt Ärzten, Pflegern und Helfern, lobt Apotheker und Bestatter, wendet sich an Schüler und Lehrer. Er appelliert an die Solidarität der Staatengemeinschaft, kritisiert Versuche, aus der Krise Kapital zu schlagen. Und er mahnt alle weiterhin zu gebotener Vorsicht.
Entgegen früheren Vermutungen dürften die vatikanischen Museen auch nach dem 4. Mai noch geschlossen bleiben. Man werde sich nach den staatlichen Museen richten, heißt es. Auch der Petersdom soll noch nicht öffnen. Aber je nachdem, ob Latium in den nächsten Wochen für die Bürger mehr Bewegungsfreiheit schafft, könnten sich auch im Vatikan die Regeln ändern.