"Das ist wirklich ein Desaster": Der Jakobsweg in der Corona-Krise
Eigentlich wollten Augusto Castineira Paredes (58) und Aranzazu Imaz (49) Ende März die Pforten ihrer Pilgerherberge "Acuario" öffnen – so wie immer. In Santiago de Compostela, dem Endpunkt des Jakobswegs im Nordwesten Spaniens, hatten sie alles vorbereitet für eine neue Saison. Nun kommt durch die Corona-Krise und die Ausgangssperre in Spanien kein Pilger mehr, zumindest vorerst. Im Interview spricht Augusto Castineira Paredes über eine ungewisse, aber nicht düstere Zukunft. Das Gespräch folgt der in Spanien und auch unter Jakobspilgern üblichen Duz-Form.
Frage: Augusto, in den letzten Monaten hattet Ihr viele Kosten und viel Arbeit, auch ohne Pilger, oder?
Augusto Castineiro Paredes: Ja, wir schließen immer Ende November und nutzen den Winter für Verbesserungen, Reformen. Diesmal haben wir alle Matratzen ausgetauscht, den Bereich der Rezeption umgestaltet und ich habe neue Schließfächer gebaut. Das war zum Glück nicht so teuer, weil ich alles selbst mache.
Frage: Wo liegt Eure Herberge? Wie sieht es da aus? Was kostet eine Übernachtung – im Normalfall?
Castineiro Paredes: Hier in Santiago sind wir exakt 1.450 Meter von der Kathedrale entfernt. 22 Minuten, wenn man normal geht. Wir haben 60 Plätze, verteilt auf "private Sphären", so nennen wir das. Das sind aber keine richtigen Zimmer. Die Trennwände gehen nicht bis ganz oben. Bei uns kostet eine Übernachtung zwölf Euro pro Person. In der Hauptsaison sind es 50 Cent mehr. Wir wollen für Pilger immer günstig sein. Mit überzogenen Preisen brichst du mit der Essenz des Jakobswegs. Pilger zu sein, so wie wir es auch selbst sind, das kommt von Herzen.
Frage: Und jetzt: die Katastrophe?
Castineiro Paredes: Das ist wirklich ein Desaster. Das hat uns sehr, sehr hart getroffen. Über den Winter zehren wir ja auch von unseren Ersparnissen.
Frage: 2019 ist als neues Rekordjahr in die Geschichte eingegangen. Das Pilgerbüro von Santiago de Compostela verbreitete eine bisher nie dagewesene Zahl an Ankömmlingen: 347.578. Wie waren Eure Erwartungen für die neue Saison?
Castineiro Paredes: Zunächst mal: Bei den Zahlen des Pilgerbüros habe ich meine Zweifel. Ich glaube nicht, dass die Zahlen so stimmen. Die Realität ist eine andere. Aber ja, es waren schon viele unterwegs. Für dieses Jahr, für Ostern und danach, hatten wir schon viele Reservierungen, auch von Gruppen. Das ist jetzt alles storniert.
Frage: Politiker sprechen derzeit von staatlichen Hilfen. Macht Euch das Hoffnung?
Castineiro Paredes: Wir sind dran und haben schon mit unserem Steuerberater gesprochen. Aber ich habe meine Zweifel. Das, was die Regierung immer groß verspricht, ist oft eine Farce. In der Stunde der Wahrheit verlangen die solch einen Berg Dokumente, dass es für 90 Prozent der Fälle gar keine Unterstützung gibt.
Frage: Wie wird es mit dem Jakobsweg, den Pilgern weitergehen?
Castineiro Paredes: Die Krise, so brutal sie jetzt ist, wird vorübergehen. Sobald sich die Lage beruhigt hat, werden besonders viele Leute spirituellen Trost suchen. Da bin ich mir sicher. Das Ganze ist vielen ans Herz gegangen. Nach all diesem Leiden gibt es nichts Besseres, als den Jakobsweg zu gehen. Der Jakobsweg lässt das Herz aufgehen. Ab Anfang Juni, denke ich, werden die ersten Pilger wieder gehen und hier in Santiago de Compostela im Juli eintreffen. Ich sehe Licht am Ende des Tunnels.
Frage: Werden die Pilger andere sein?
Castineiro Paredes: Mehr Pilger kommen sicher mit einem Gelübde. Es wird sehr starken Zustrom geben von Menschen, die so lange gelitten haben. Katastrophen aller Art haben etwas, das Dich stärker, mutiger macht. Aber auch demütiger.
Frage: Könnte es durch die Pandemie in den Herbergen, wo sich ja viele Menschen auf begrenztem Raum aufhalten, zu Änderungen von Hygienevorschriften und ähnlichem kommen?
Castineiro Paredes: Das könnte sein und ist sogar wahrscheinlich. Aber ich erinnere mich, dass es vor zwei Jahren in Spanien mal einen Ausbruch an Salmonellen gab. Da gab es schnell Vorschriften, Kontrollen. Aber das ging auch rasch vorüber. Man prüft eine Zeitlang, dann nimmt hier alles wieder seinen normalen Lauf. Das läuft nicht so effektiv wie vielleicht in Deutschland.