Polizei prüft neue Ermittlungen gegen australischen Oberhirten

Kommission: Kardinal Pell wusste von Kindesmissbrauch durch Priester

Veröffentlicht am 07.05.2020 um 12:08 Uhr – Lesedauer: 
Der australische Kardinal George Pell.
Bild: © KNA

Melbourne ‐ Es sei nicht davon auszugehen, dass Kardinal George Pell nichts vom massenhaften Kindesmissbrauch durch mehrere Priester gewusst haben habe: Zu diesem Ergebnis kommt die australische Missbrauchskommission. Der Kardinal bestreitet die Vorwürfe.

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Der australische Kardinal George Pell soll in seiner Zeit als Priester und als Weihbischof vom massenhaften Kindesmissbrauch durch andere Geistliche gewusst, dagegen jedoch nichts unternommen haben. Zu diesem Ergebnis kommt der Bericht der australischen Missbrauchskommission, der am Donnerstag dem Parlament übergeben wurde. In einer ersten Reaktion bestreitet Pell die Anschuldigungen. Die rund 100 Seiten des schon Ende 2017 veröffentlichten Abschlussberichts, die Pell betreffen, waren zunächst wegen des laufenden Prozesses gegen ihn nicht veröffentlicht worden. Nach Pells Freispruch durch das Oberste Gericht im April und seiner Haftentlassung wurden die Kapitel jetzt für Parlament und Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Darin weist die Kommission Pells Aussage zurück, in seiner Zeit als Priester in Ballarat und enger Berater des damaligen Bischofs Ronald Mulkearns nichts von den Taten des pädophilen Priesters Gerald Ridsdale und anderer Geistlicher gewusst zu haben. Spätestens 1973 sei Pell bekannt gewesen, so die Kommission, dass Ridsdale regelmäßig Jungen in Übernachtungscamps mitgenommen habe. Pell habe zudem dafür gesorgt, dass "Gerede darüber" vermieden werde. Der Untersuchungsbericht weist auch Pells Angabe zurück, Bischof Mulkearns habe ihm und anderen Beratern die Wahrheit über den Grund von Ridsdales Versetzung verschwiegen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Bischof seine Berater belogen habe. "Bischof Pell wurde weder vorsätzlich noch unabsichtlich getäuscht", heißt es wörtlich.

Der Bericht entkräftet jedoch den Vorwurf eines Neffen von Ridsdale, Pell habe ihm Schweigegeld angeboten, damit er nicht über den Missbrauch durch seinen Onkel aussage. Die Kommission sieht aber als erwiesen an, dass Pell als Priester in Ballarat und später als Weihbischof in Melbourne Missbrauchsvorwürfe gegen weitere Priester ignoriert habe.

Pell bestreitet Vorwürfe

In einem Statement, das dem australischen Fernsehsender ABC vorliegt, bestreitet Pell den Wahrheitsgehalt der Ergebnisse. "Diese Ergebnisse sind nicht durch Beweise untermauert", heißt es in dem Dokument. Sowohl als Berater des Bischofs von Ballarat als auch als Weihbischof von Melbourne seien bei Versetzungen von Priestern keine Missbrauchsvorwürfe gegen diese zur Sprache gekommen. Derweil prüft die Polizei von Victoria, ob aufgrund der Untersuchungsergebnisse neue Ermittlungen gegen den Kardinal aufgenommen werden müssen, berichtet die australische Ausgabe der Tageszeitung "The Guardian". Nach Angaben der Zeitung sei bisher noch kein Australier wegen Vertuschung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger verurteilt worden.

Ballarat war in den 70er und 80er Jahren das Zentrum des Missbrauchsskandals in Australiens katholischer Kirche. Der Priester Gerald Ridsale gehört wohl zu den schwersten kirchlichen Sexualstraftätern Australiens. Seit 1993 wurde er in mehreren Prozessen wegen des Missbrauchs von 65 Jungen zu insgesamt 34 Jahren Haft verurteilt. Erst in der vergangenen Woche gestand Ridsdale vor einem Gericht in Melbourne den Missbrauch von vier weiteren Jungen. Der heute 84-Jährige war unter anderem Schulseelsorger in Ballarat, als Pell das Schulamt des Bistums leitete. Pell, der zeitweise mit Ridsdale zusammen in einer Priesterwohnung lebte, hat wiederholt jedes Wissen um Ridsdales Pädophilie dementiert. 1993 begleitete Pell, damals bereits Weihbischof in Melbourne, Ridsdale zu dessen erstem Missbrauchsprozess und trat als Entlastungszeuge auf.

Pell war im Dezember 2018 wegen des Vorwurfs sexuellen Missbrauchs von zwei Chorknaben zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Die Jury fasste den Schuldspruch einzig auf Basis der Aussage eines der angeblichen Opfer. Im Sommer 2019 bestätigte ein Berufungsgericht Pells Verurteilung durch die Mehrheitsentscheidung von zwei der drei Richter. Schließlich hob Australiens Oberstes Gericht die Haftstrafe im April letztinstanzlich auf. Die Jury hätte aufgrund der Beweislage Zweifel an der Schuld des Angeklagten haben müssen, hieß es. (cst/KNA)