Aktion vor Bonner Priesterseminar von "Maria 2.0" inspiriert

Maibaum-Aktivistin im Interview: "Wir wollen Veränderung der Kirche"

Veröffentlicht am 12.05.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Maibäume in Bonn
Bild: © Privat

Bonn ‐ Sie fordern eine Kirche, in der Frauen Priester werden und Geistliche heiraten können: die jungen Frauen, die in der Nacht zum 1. Mai Bäume vor dem Seminar in Bonn aufgestellt haben. Ein Mitglied der Gruppe spricht im Interview über die Hintergründe und verrät, ob es weitere Aktionen geben wird.

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In der Nacht zum 1. Mai hat eine Gruppe junger Frauen Maibäume vor dem Priesterseminar "Collegium Albertinum" des Erzbistums Köln in Bonn aufgestellt. Damit wollten die Aktivistinnen ihren Forderungen nach einer geschlechtergerechten Kirche Ausdruck verleihen. Wer sich hinter der Gruppe verbirgt und ob weitere Aktionen geplant sind, verrät eine der jungen Katholikinnen im Interview. Sie benutzt das selbstgewählte Pseudonym May Baum, um sich vor möglichen Nachteilen zu schützen, die sich aus Ihrem Engagement ergeben könnten. Ihr Klarname ist der Redaktion jedoch bekannt.

Frage: Wer verbirgt sich hinter der Gruppe von Aktivistinnen, die in der Nacht zum 1. Mai vor dem Bonner Priesterseminar Maibäume aufgestellt haben?

Baum: Wir sind eine sehr bunte Gruppe, deshalb ist es etwas schwer, uns zu beschreiben. Was uns eint ist die große Verbundenheit, die wir mit der katholischen Kirche haben: Sie ist unser Zuhause – durch unsere Herkunft, die Begegnungen in christlichen Kreisen sowie unseren persönlichen Glauben, der uns allen sehr wichtig ist. Neben diesen positiven Erfahrungen spüren wir eine Zerrissenheit, weil viele Positionen der Kirche unseren Werten nicht entsprechen. Denn die meisten von uns würden sich als Feministinnen bezeichnen. Es ist sehr verletzend, wie durch die Kirche Frauen auch heute noch abgewertet werden, etwa durch den Ausschluss von allen Weiheämtern. Den kirchlichen Umgang mit homosexuellen und nicht-binären Personen kritisieren wir ebenfalls. Die Positionen der Kirche in diesen Bereichen sind nicht mit unseren Werten und unserem Menschenbild vereinbar.

Frage: Können Sie konkrete Details über Ihre Gruppe verraten?

Baum: Wir wohnen in verschiedenen Städten, sind alle zwischen 20 und 30 Jahren alt sowie akademisch ausgebildet: Alle von uns studieren oder haben studiert, jedoch verschiedene Fächer an unterschiedlichen Universitäten. Zur genauen Größe der Gruppe möchte ich nichts sagen, aber ich glaube, dass wir stellvertretend für ganz viele Frauen in der Kirche stehen, die ähnlich wie wir denken und fühlen. Das muss nicht an einer konkreten Zahl festgemacht werden.

Frage: Wie sind Sie auf die Idee zu dieser Aktion gekommen?

Baum: Die Idee hatten eine Freundin und ich. Wir inspirieren uns schon sehr lange gegenseitig in unserem Glauben und tauschen uns regelmäßig aus. In der Corona-Krise haben wir etwa online zusammen gebetet. Aber wir teilen auch unsere Frustration über die katholische Kirche und die Erfahrungen, die wir in und mit ihr machen. Schon lange beobachten wir die Aktionen von "Maria 2.0" und haben oft gedacht, dass wir da mitmachen wollen. Da wir jetzt im Mai sind, dem traditionellen Marienmonat der Kirche und gleichzeitig Aktionsmonat von "Maria 2.0", kam uns spontan eine Idee, wie wir unsere Stimmen zu Gehör bringen und Aufmerksamkeit für unsere Forderungen wecken können: Wir haben den im Rheinland verbreiteten Brauch der Maibäume aufgegriffen, die im Schaltjahr von Frauen gestellt werden. Das zeigt: Frauen können genauso wie Männer in Aktion treten – und auch Priesterinnen werden. Außerdem sind die Maibäume vor dem Priesterseminar als Liebessymbole Zeichen gegen den Pflichtzölibat und die Sexualmoral der Kirche, die wir als sehr einengend empfinden.    

Maibäume in Bonn
Bild: ©Privat

Auch die Aufhebung des Pflichtzölibats gehört zu den Forderungen der jungen Frauen, die in der Nacht zum 1. Mai 2020 Maibäume vor dem Bonner Priesterseminar aufgestellt haben.

Frage: Sie haben "Maria 2.0" angesprochen. Welche Beziehung haben Sie zu dieser Frauenprotestbewegung?

Baum: Wir sind "Maria 2.0", den katholischen Frauenverbänden kfd und KDFB sowie allen Frauen sehr verbunden, die schon seit langem für Gleichberechtigung in Kirche und Gesellschaft kämpfen. Wir sind sehr froh, dass sie diese Themen nach vorne pushen und sich mit großer Kraft für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen. Wir sind "Maria 2.0" zudem sehr dankbar, weil sie uns ihre Plattform geliehen haben: Unsere Maibaum-Aktion war spontan und wir haben uns im Vorfeld keine Gedanken über die mediale Kommunikation gemacht. "Maria 2.0" hat unsere Aktion an die Öffentlichkeit gebracht, danach haben wir eine große Aufmerksamkeit erfahren. Das ist weibliche Solidarität! Die Idee von vielen kleinen Aktionen im Rahmen von "Maria 2.0" ist super, denn so können wir Katholikinnen ein Netzwerk bilden und uns gegenseitig bestärken.

Frage: Welche Rückmeldungen haben Sie bisher erhalten?

Baum: Wir haben ausschließlich positive Rückmeldungen bekommen. Bilder der Aktion wurden in den sozialen Netzwerken vielfach geteilt und die Initiative hat Kreise gezogen, die wir so nicht erwartet haben. Freunde und Bekannte aus der katholischen Welt haben uns Nachrichten von der Aktion geschickt – ohne zu wissen, dass wir das waren. (lacht) Wir sind begeistert, welche Reichweite wir erreicht haben. Von offizieller kirchlicher Seite haben wir bislang keine Rückmeldungen bekommen. Wir vermuten, dass vermieden wird, großen Rummel um die Aktion zu machen. Doch das bestärkt uns eigentlich noch mehr! Auch wenn die kirchlichen Entscheidungsträger nicht reagieren, hoffen wir dennoch, dass sie unsere Forderungen hören.

Frage: Es gab eine Rückmeldung auf Ihre Aktion aus dem Bonner Priesterseminar: Sie wurden zum Grillen eingeladen, wenn die Corona-Krise vorbei ist. Wollen Sie die Einladung annehmen?

Baum: Wir halten das für eine nette Geste und es ist schön, dass die Seminaristen die Maibäume so humorvoll aufgenommen haben. Allerdings haben wir sie nicht aufgestellt, weil wir Priesteramtskandidaten kennenlernen wollen, sondern wir möchten selbst die Möglichkeit haben, ins Priesterseminar einzuziehen. Diese Aktion ist nicht persönlich gemeint, vielmehr haben wir uns das Seminar als symbolischen Ort für das Aufstellen der Maibäume ausgesucht. Es ist ein Haus des Ausschlusses, denn wir dürfen nicht hinein, nur weil wir Frauen sind. Gleichzeitig werden dort zukünftige kirchliche Entscheidungsträger ausgebildet.

Maibäume in Bonn
Bild: ©Privat

"Priesterin" und "Maria 2.0": Die Herzen mit diesen Forderungen wurden vom "Collegium Albertinum" entfernt. Die Maibäume stehen jedoch weiterhin dort.

Frage: Vor dem Priesterseminar in Bonn stehen die Maibäume derzeit zwar noch, jedoch ohne die Botschaften, die Sie daran angebracht haben…

Baum: Das haben wir auch mitbekommen. Die Herzen mit unseren Forderungen wurden tatsächlich direkt am Vormittag des 1. Mai abgeschnitten. Darüber waren wir sehr enttäuscht und wütend. Wir haben die Bäume als Akt der Zuneigung zur katholischen Kirche aufgestellt. Sie liegt uns sehr am Herzen! Daher fanden wir es traurig, dass gerade die Herzen abgeschnitten wurden. Wir haben keinem Priesteramtskandidaten persönlich diese Bäume gestellt, sondern die Aktion drückt unsere Forderungen nach einer geschlechtergerechten Kirche aus.

Frage: Ist denn die ganze Aktion trotz des ernsten Themas auch etwas augenzwinkernd gemeint? So wurde sie jedenfalls von vielen Menschen in den sozialen Netzwerken wahrgenommen.

Baum: Die Idee war humorvoll gedacht, denn in einem Priesterseminar leben Männer, die nicht heiraten und keine sexuellen Beziehungen eingehen dürfen – Maibäume werden jedoch traditionell vor dem Haus der oder des Angebeteten aufgestellt. Es ist etwas Ungewohntes und gleichzeitig Absurdes, aber dadurch gewinnt die Aktion sehr viel Symbolkraft. Bei allem Humor meinen wir es mit unseren Forderungen aber sehr ernst. Denn wir lieben unsere Kirche, die uns Frauen leider ignoriert.

Frage: Planen Sie weitere Aktionen dieser Art?

Baum: Das Maibaumstellen hat unglaublich viel Spaß gemacht und wir überlegen noch, welche anderen Aktionen wir machen könnten. Wir sind uns zudem einig, dass wir die Antwort der Seminaristen nicht unerwidert stehen lassen wollen. Denn es geht uns nicht ums Grillen, sondern um eine Veränderung der Kirche.

Von Roland Müller