Autor Seewald: "Benedikt XVI. sprach Mailboxtext für meine Söhne"
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. ist nach Worten seines Biografen Peter Seewald originell, demütig, bodenständig und humorvoll. Joseph Ratzinger sei "ein Solitär, kein Kumpeltyp, aber eben auch kein kalter Kirchenfürst", sagte Seewald im Interview der "Süddeutschen Zeitung"(Samstag). "Und irgendwie auch unkonventionell, antibürgerlich, alles andere als spießig", so der Autor, der am 4. Mai eine umfangreiche Biografie des 2013 zurückgetretenen Papstes vorgelegt hat.
Als Beispiel berichtete Seewald von einem besonderen "Mitbringsel", um das er Benedikt XVI. 2010 nach einem Treffen in Castel Gandolfo gebeten habe. "Ich fragte ihn also, ob er bereit wäre, einen Text für den Anrufbeantworter meiner Söhne zu sprechen", so der Autor. "'Warum nicht?', meinte er und sagte mit seiner typisch weichen Stimme sein Sprüchlein auf: 'Dies ist der automatische Anrufbeantworter von Paul und Jakob Seewald. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Piep'", zitierte Seewald. "Er war damals Papst, das ist eigentlich unvorstellbar."
Benedikt XVI. könne "schlecht Nein sagen"
Ihm imponiere, dass Ratzinger es sich nie bequem gemacht habe, so Seewald weiter. "Seine Widerständigkeit begann als Schüler im bischöflichen Seminar, als die Nazis dröhnten, katholische Priester werde es nach dem Endsieg nicht mehr geben. Die Zukunft für einen wie ihn bestand aus Berufsverbot oder KZ."
Eine Schwäche Ratzingers sei jedoch, dass er "schlecht Nein sagen" könne, "deswegen war er chronisch überlastet". Auch seine Personalpolitik sei "eher suboptimal" gewesen. "Zudem neigt er zu einer Nibelungentreue, die selbst unfähige Mitarbeiter im Amt schützt, was sich verheerend auswirken kann", sagte der Biograf. Seine "Achillesferse" sei, dass er sich "schwer gegen übergriffige Menschen wehren" könne. "Daneben ist er ziemlich alltagsuntauglich. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob er sich selbst einen Tee machen könnte", sagte Seewald.
Angst vor dem Sterben habe der 93-jährige Emeritus nach eigener Aussage nicht. "Im Gegenteil, er bereitet sich darauf vor, und irgendwie scheint er sich auf das Leben danach zu freuen", so der der 65-Jährige. "Die Lehre von den letzten Dingen, vom ewigen Leben, war ja als Professor seine Spezialdisziplin. Er hat dabei eine sehr kindliche Vorstellung vom Jenseits. Er ist davon überzeugt, seine Eltern wiederzusehen." Das sei in seinen Augen überhaupt nicht naiv, sondern "schön und tröstlich", sagte Seewald.
Weiter verteidigte Seewald den emeritierten Papst gegen verbreitete Zuschreibungen, weltfern, engstirnig oder reaktionär zu sein. Das "Copyright daran" liege bei Hans Küng. In ihm habe Joseph Ratzinger "einen Gegenspieler und Neider wie Mozart in Antonio Salieri". Ohne den Schweizer Theologen Küng "würde es das Klischee vom Großinquisitor und Panzerkardinal nicht geben", so der Autor, der am 4. Mai eine umfangreiche Biografie über den 2013 zurückgetretenen Papst vorgelegt hat.
Er kenne Ratzinger seit 27 Jahren aus unzähligen Treffen. "Heute bin ich davon überzeugt, dass der Mann eine der verkanntesten Persönlichkeiten unserer Zeit ist", sagte Seewald. "Er ist ein typischer Querdenker." Als Präfekt der römischen Glaubenskongregation, als "Wachhund des Papstes" habe Ratzinger unpopuläre Entscheidungen getroffen "und reagierte bisweilen schroff, das machte ihn zur Zielscheibe", erklärte der Autor.
Missbrauchsskandal für Benedikt "die größte Pein von allen"
Weiter nahm er Ratzinger in Schutz wegen "Skandalen" während seines Pontifikats. "Wer Benedikts sogenannte Affären präzise aufarbeitet, zum Beispiel den Skandal um Richard Williamson, einen Bischof der von Rom abgespaltenen Piusbruderschaft, ist erschüttert von dem Ausmaß an Falschinformation, zu dem sich viele Redaktionen wider besseres Wissen hinreißen ließen", kritisierte Seewald. Schon die Schlagzeile "Papst macht Holocaust-Leugner wieder zum Bischof" sei eine "klassische Fake News". Die Aufhebung der Exkommunikation gegenüber Bischöfen der Piusbruderschaft habe keine Rehabilitation oder gar die Wiedereinbindung in die Kirche bedeutet. "Die Schismatiker durften halt wieder zur Kommunion gehen und beichten, was sie auch bitter nötig hatten", sagte Seewald.
Zum Missbrauchsskandal der katholischen Kirche betonte der Autor, dies sei für Ratzinger "die größte Pein von allen während seiner Amtszeit" gewesen: "dass Priester, die am Altar die heilige Messe feiern, zu solchen Taten überhaupt fähig sind, noch dazu in diesem Ausmaß". Als Präfekt der Glaubenskongregation habe er die Grundlagen dafür geschaffen, "dass die Fälle aufgeklärt, die Täter bestraft werden können und den Opfern Genugtuung widerfährt, soweit das überhaupt möglich ist". Als Papst habe er eine Null-Toleranz-Politik gegenüber kirchlichen Tätern betrieben und Sanktionen gegen Bischöfe, die ihre Pflicht vernachlässigen, verhängt. "Dass da nicht alles zum Besten lief, steht auf einem anderen Blatt", erklärte Seewald. (rom/KNA)