Kirchenvertreter weigerten sich "Gott mit Corona in Beziehung zu bringen"

Kurienkardinal Koch kritisiert theologische Sprachlosigkeit zu Corona

Veröffentlicht am 30.05.2020 um 14:52 Uhr – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Wenn es um die Corona-Pandemie geht, machen viele Theologen zu schnell Abstriche von Gottes Allmacht, findet Kurienkardinal Kurt Koch. Er hat auch eine Vermutung, woher diese theologische Sprachlosigkeit kommen könnte.

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In der Corona-Pandemie bleiben nach Ansicht des Schweizer Kurienkardinals Kurt Koch eine Reihe offener theologischer Fragen. Mit der bloßen Aussage, dies sei keine Strafe Gottes, könne die Debatte keinesfalls beendet sein, schreibt Koch in der aktuellen Ausgabe des "Vatican-Magazin". Insgesamt gebe es angesichts der Pandemie selbst in den Kirchen "eine gewisse Sprachlosigkeit im Blick auf Fragen des Glaubens", bemängelt Koch.

Etliche Theologen und andere Kirchenvertreter weigerten sich überhaupt, "Gott mit Corona in Beziehung zu bringen und eine religiöse Deutung der Krise zu wagen". Wenn überhaupt, machten viele zu schnell Abstriche an Gottes Allmacht, um die frohe Botschaft eines liebenden Gottes zu retten. Dabei bleibe doch die Frage, wie ein liebender Gott eine Geißel wie Corona zulassen könne und damit das Leid gerade armer, alter und kranker Menschen, von denen besonders viele an Covid-19 sterben.

Koch weist Kritik an Papst-Gebet und "Urbi-et-orbi"-Segen zurück

Hinter der aktuellen theologischen Schweigsamkeit vermutet Koch die neuzeitliche Annahme, Gott "vermöge allein, in den Geist des Menschen hinein zu handeln"; mit allem Leiblich-Materiellen könne er sich nicht befassen. Eine solche theologische Auffassung, von Benedikt XVI. (2005-2013) als "subtiler neuer Gnostizismus" kritisiert, könne aber schwerlich noch von Wundern – oder gar der Auferstehung Jesu Christi – sprechen.

In diesem Zusammenhang weist Koch, der auch Leiter des Päpstlichen Ökumene-Rates ist, Kritik an dem Segensgebet zurück, das Papst Franziskus am 27. März allein auf dem abendlichen Petersplatz sprach. Unter anderem hatte der Theologe Magnus Striet den in dieser Weise einmaligen eucharistischen "Urbi-et-orbi"-Segen des Papstes kritisiert. "Eine solche Epidemie wird durch die Medizin, durch medizinischen Fortschritt bekämpft, aber nicht durch ein Bittgebet", so Striet in einem Zeitungsinterview.

Laut Koch ist eine solche Ansicht aber "ebenso fundamentalistisch" wie die prinzipielle Ablehnung aller Hygieneregeln und medizinischen Maßnahmen. Für einen Katholiken, der Gnade und Natur im rechten Verhältnis sieht, verstehe es sich von selbst, dass Gebete nicht die Suche nach einem Impfstoff und Hygienemaßnahmen ersetzten. Dies gelte aber genauso umgekehrt.

Wie Kurienkardinal Kurt Koch im Vatikan die Corona-Krise erlebt

Als Ökumenebeauftragter des Papstes ist Kurt Koch für den Dialog mit Kirchen weltweit zuständig. Nur: Mit Kontaktsperre wird Dialog schwierig. Der Kurienalltag eines Kardinals zwischen Krisenmodus und Glaubenshoffnung.

Zudem kritisierte der Schweizer Kardinal einen widersprüchlichen Umgang mit Freiheitsrechten angesichts der Corona-Pandemie. Die teils sehr harten und umfassenden Einschnitte in Grund- und Freiheitsrechte stünden quer "zu vielen anderen Entscheidungen und Gesetzeserlassen, die in der Zeit vor der Corona-Krise vollzogen wurden."

Angesichts von Infektions- und Todesraten durch das Coronavirus hätten Regierungen "in unseren Breitengraden" harte Maßnahmen erlassen und Freiheitsrechte teils sogar aufgehoben. Diese Maßnahmen seien ergriffen worden, um Leben zu schützen. Im Namen der jetzt so beschnittenen Freiheitsrechte aber sei in den Jahren zuvor Lebensschutz erheblich eingeschränkt worden, kritisiert der Kardinal. Als Beispiele nannte Koch Themen wie Selektion durch Pränataldiagnostik, Abtreibung oder Sterbehilfe.

Regierungen müssen zu "Revision ihrer Freiheitsprioritäten kommen"

Noch Ende Februar, also wenige Wochen vor dem Lockdown, habe das deutsche Bundesverfassungsgericht das vom Bundestag beschlossene "Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" als Verstoß gegen das Grundgesetz bewertet. "Muss es nicht zu denken geben", fragte Koch, "dass die von diesem Gerichtsentscheid (...) gepriesene Autonomie des Menschen im Blick auf sein eigenes Sterben kurz danach von der Corona-Krise, die so vielen Menschen den Tod bringt, massiv in Frage gestellt worden ist?"

Daher müssten Regierungen, die in der Pandemie dem menschlichen Leben eine so hohen Wert geben und dafür Freiheitsrechte beschneiden, "ihre bisherige Linie überdenken und zu einer Revision ihrer Freiheitsprioritäten kommen", so der Leiter des Päpstlichen Ökumene-Rates. Entsprechend müssten auch Bischöfe, "die bereitwillig harte staatliche Restriktionen" etwa des Rechts auf freie Religionsausübung übernahmen und "selbst öffentliche Eucharistiefeiern verboten", auch in anderen Fragen des Lebensschutzes mit als erste die Stimme erheben. (cbr/KNA)