Moraltheologe sieht mehr als Liebe und Fortpflanzung

Streit um Synodalforum Sexualität: Hilpert widerspricht Schwaderlapp

Veröffentlicht am 04.06.2020 um 13:18 Uhr – Lesedauer: 

München ‐ Für den Kölner Weihbischof Schwaderlapp hat die Diskussionsgrundlage im Synodalforum Sexualität nichts mit der Tradition der Kirche zu tun – der Moraltheologe Konrad Hilpert widerspricht deutlich: Die Tradition ist schon viel weiter.

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Der Münchener Moraltheologe Konrad Hilpert widerspricht dem Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp in seiner Bewertung der Sinngehalte von Sexualität. In einem Beitrag für das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche vom Mittwoch wendet sich der emeritierte Theologe gegen die Aussage Schwaderlapps, Sexualität habe gemäß der beständigen Lehre der Kirche nur zwei Sinngehalte, nämlich Mitteilung von Liebe und Stiftung von Leben.

Schwaderlapp hatte in einem Interview mit der Tagespost seinen Ausstieg aus dem Synodalforum zur Sexualität damit begründet, dass die Diskussionsgrundlage des Gremiums nicht mit der Lehre der Kirche zu vereinbaren sei. Hilpert hält dem entgegen, dass Schwaderlapps Position zwar die zentrale Lehre der Enzyklika Humanae Vitae (1968) sei, in der Papst Paul VI. Impulse des Erzbischofs von Krakau und späteren Papstes Karol Wojtyła aufgegriffen hat. In der theologischen Forschung gelte es heute aber als erwiesen, dass kein "Theologe oder Papst vor 1960 die Untrennbarkeit von zwei Bedeutungen des ehelichen Aktes erwähnt oder schriftlich niedergelegt" habe. Im auf Anregung des Trienter Konzils (1545–1563) entstandenen römischen Katechismus seien ohne Rangfolge mehrere Gründe für die Ehe genannt: Gemeinschaft zwischen den beiden Geschlechtern und gegenseitige Hilfeleistung, Verlangen nach Fortpflanzung und Vermeidung von Unzuchtssünden. Dabei sei ausdrücklich offengelassen worden, dass es noch weitere Gründe geben könne. Die Festlegung einer Rangordnung etwa im Kirchenrecht von 1917 gründe auf Traditionsbelegen, die bereits ältere Forschung für zweifelhaft hielte. Hilpert kommt daher zu dem Schluss, dass es sich bei der Lehre über die zwei Sinngehalte und ihre Untrennbarkeit nicht einfach um "die beständige Lehre der Kirche", sondern "nur" um die "sehr spezielle Anthropologie und stilisierte Lesart der Lehre der Kirche durch Johannes Paul II." handelt.

Lust und Identität gehören zur Sexualität

Hilpert wendet sich zudem gegen die Kritik Schwaderlapps an einer Polyvalenz (Mehrwertigkeit) von Sexualität, auf die sich das Synodalforum auf Grundlage humanwissenschaftlicher Sexualforschung bezieht. Indem sexuelles Handeln nicht nur als ein "Arrangement zur Zeugung von Nachkommenschaft und Abarbeitung triebhaften Verlangens" gedeutet werde, sondern als "eine Art von Sprache und leibhafter Kommunikation". Ohne Polyvalenz "ließe sich keine personale Sexualmoral geschweige denn eine Beziehungsethik denken", so Hilpert. Die von Schwaderlapp kritisierten Dimensionen Lust und Identität und ihre "Bearbeitung und Integration in das eigene Personsein und die Sozialfähigkeit" seien "biografische Lebensaufgaben".

Der Moraltheologe sieht die Wahrung wertvoller Traditionen als "legitim und ehrenhaft" an. Tradition sei jedoch "notwendigerweise ein Vorgang, der in Zeitlichkeit und Geschichte stattfindet und nicht außerhalb davon". Daher sei die Behauptung einer Beständigkeit der kirchlichen Lehre "zumindest eine Vereinfachung". Eine bloße Wiederholung des bereits Gesagten reiche nicht aus, wenn die kirchliche Lehre nicht riskieren wolle, für "Orientierung und Handeln der Menschen irrelevant" zu werden.

Das Synodalforum "Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft" ist eine von vier thematischen Arbeitsgruppen im Rahmen des Synodalen Wegs. Die Leiterin des Forums Birgit Mock hatte bereits in der vergangenen Woche den Ausstieg Schwaderlapps kritisiert und die Stoßrichtung der Debattengrundlage verteidigt. (fxn)