Krankenhausseelsorge während Corona: "Wir konnten unsere Arbeit tun"
Reiner Nieswandt ist Leitender Pfarrer der katholischen Krankenhausseelsorge in Wuppertal. Seine Arbeit und die seiner Kollegen ist in der Corona-Krise durch die besonderen Schutzmaßnahmen in den Kliniken natürlich eingeschränkt – dennoch war sie zu jedem Zeitpunkt möglich, wie er im Interview betont. Außerdem spricht er über die Kritik der angeblichen "Sprachlosigkeit" der Kirche während der Pandemie, über Corona-Skeptiker in und außerhalb der Kirche und über die Konsequenzen, die die Kirche seiner Ansicht nach aus ihren Erfahrungen mit der gegenwärtigen Krise ziehen muss.
Frage: Herr Pfarrer Nieswandt, wie sehr hat sich seit Ausbruch der Corona-Pandemie Ihr Arbeitsalltag als Krankenhausseelsorger verändert?
Nieswandt: Sehr stark. Die Krankenhäuser in Wuppertal haben sich bei Ausbruch der Pandemie auf das schlimmstmögliche Szenario vorbereitet. Wir als Krankenhausseelsorger natürlich ebenso. Der "worst case" ist zwar glücklicherweise nicht eingetreten, aber er hätte passieren können – so wie in Norditalien oder anderen Brennpunkten. Meine Kollegen und ich sind in den vergangenen Wochen vor allem "nach Anforderung" für die Mitarbeiter und Patienten in den Krankenhäusern da gewesen. Besonders in der Hochphase wollten wir so sicherstellen, dass wir nicht eine zusätzliche Gefährdung darstellen und uns unnötigerweise selbst in Gefahr bringen, indem wir über die Stationen gehen, wie es sonst üblich ist. Dies hat sich mittlerweile verändert und wir arbeiten wieder zunehmend wie gewohnt. Dennoch ist unsere Arbeit nach wie vor stark auf das Telefongespräch konzentriert, weil wir vor jedem Gang zu einem Patienten oder auf die Station erst einmal nachfragen müssen, wie sich die Corona-Situation dort darstellt. Bei nicht an Covid-19 Erkrankten führen wir selbstverständlich wie üblich Gespräche, allerdings unter Zuhilfenahme des vorgeschriebenen Mund-Nase-Schutzes.
Frage: Hatten Sie persönlich mit einem Patienten zu tun, der an Covid-19 erkrankt war?
Nieswandt: Es hat Kollegen gegeben, die in direktem Kontakt mit Erkrankten standen. Das Interessante war, dass diese Patienten eher Sorge um ihre Angehörigen zu Hause hatten als um sich selbst – gerade, wenn es um ältere Menschen geht. Ich selbst hatte telefonischen Kontakt mit einer Frau, die sich um ihre sehr alte Mutter Sorgen machte. Die alte Dame ist dann nach einigen Wochen geheilt nach Hause entlassen worden. Aber ich habe auch einen Krankenhausangestellten beerdigen müssen, der an den Folgen einer Corona-Infektion verstorben ist.
Frage: Wie läuft die seelsorgliche Betreuung von Corona-Patienten mit den ganzen Begleitumständen ab? Ist beispielsweise die Spendung von Sakramenten überhaupt möglich?
Nieswandt: Wenn wir tatsächlich zu einem Corona-Kranken gehen, dann nur unter Einhaltung aller Sicherheitsvorkehrungen wie dem Tragen eines Schutzanzugs. Die Spendung der Krankensalbung ist zu keinem Zeitpunkt ein wirkliches Problem gewesen. Man benutzt dann halt einmalig ein Wattestück und das Öl. Bei einem Infektionskranken muss das Ganze im Anschluss selbstverständlich entsorgt werden. Ein Beichtgespräch ist natürlich vom Allgemeinzustand des Patienten abhängig. Die Kommunionspendung ist unter diesen Umständen problematisch, deshalb haben wir darauf verzichtet. Grundsätzlich kann ich sagen: Auch wenn wir natürlich eingeschränkt waren – wir konnten unsere Arbeit tun. Niemand hat uns in irgendeiner Weise daran gehindert. Die Absprache und die Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern haben bestens funktioniert.
Frage: Wie sind Sie bei den Gesprächen mit den Patienten der Angst vor einer Krankheit begegnet, die aktuell noch unheilbar ist?
Nieswandt: Ich empfinde auch persönlich nach wie vor eine gewisse Hilflosigkeit angesichts der Pandemie. Aber dies gilt auch für alle anderen nicht heilbaren Krankheiten, denen ich als Krankenhausseelsorger begegne. Eines weiß ich gewiss: Theologische Floskeln helfen da nicht, wohl aber das Zeugnis des eigenen Glaubens, der mich in schwierigen Situationen begleitet hat und das feste Vertrauen darauf, dass Gott, der in seinem Sohn Jesus Christus Mensch geworden ist, selber für uns ein Armer, Kranker, Gemiedener und Verstoßener geworden ist.
Frage: Als Krankenhausseelsorger stehen Sie ja sozusagen in vorderster Linie und haben das Leid von Corona-Kranken aus der Nähe miterlebt. Was sagen sie zu den Stimmen, die die Pandemie verharmlosen oder die Schutzmaßnahmen für übertrieben halten?
Nieswandt: Über diejenigen, die der Meinung sind, es wäre alles übertrieben gewesen oder sogar irgendwelche Verschwörungstheorien in die Welt setzen, bin ich sehr verärgert – auch über Kirchenvertreter, die eine solche Haltung wenigstens andeuten. Ich persönlich habe zu keinem Zeitpunkt am Sinn der staatlichen Maßnahmen gezweifelt. Ich halte sie auch im vorläufigen Rückblick für richtig und angemessen. In den Häusern, die ich kenne, musste kein Mensch einsam sterben. Es gab nämlich für alles immer auch eine begründete Ausnahme. Natürlich hat man gesagt, Angehörige sollen nicht mit 15 Leuten anrücken. Aber gerade bei Schwerkranken oder Sterbenden, die nicht an Corona erkrankt sind, hat man den Besuch von Angehörigen erlaubt. Es hat in Krankenhäusern wie auch in Altenheimen eine Menge kreativer Lösungen gegeben, um unter Einhaltung der geltenden Vorschriften Kontakte zwischen Angehörigen und Patienten möglich zu machen – auch wenn da manches bestimmt noch hätte besser ablaufen können.
„In den Häusern, die ich kenne, musste kein Mensch einsam sterben. Es gab nämlich für alles immer auch eine begründete Ausnahme.“
Frage: Hätte die Kirche selbstbewusster auftreten sollen und sich gegen Maßnahmen, die die seelsorgliche Betreuung Kranker und Sterbender beeinträchtigen, wehren sollen?
Nieswandt: Ich bin ich schon seit mehreren Jahren der Auffassung, dass die Kirche nicht mehr das Recht hat, als Institution aufzutreten, die anderen mit erhobenem Zeigefinger erklärt, was sie zu tun oder zu lassen haben. Nach den diversen Skandalen um sexuellen Missbrauch und Machtmissbrauch dürfen wir meiner Meinung nach nur noch bescheiden und zurückhaltend unsere Bereitschaft zur Mitarbeit und Solidarität anbieten. Das gilt gerade dort, wo die Bedürfnisse der Vernachlässigten und der Sprachlosen – egal ob in Krankenhäusern, Altenheimen oder in der "Welt da draußen" – von anderen nicht gesehen und ausgesprochen werden. Da müssen wir Anwalt sein – aber nicht vom hohen Ross herab. Wir in der Kirche haben nur noch das Recht auf Demut und Bescheidenheit.
Frage: Die Begleitung von Kranken lebt ja besonders von der menschlichen Nähe. Wie schwierig ist es für Sie persönlich, dass die seelsorgliche Betreuung von Patienten nicht im gewohnten Rahmen möglich ist?
Nieswandt: Mein Eindruck ist, dass nach einer Zeit Gewöhnung inzwischen alle in den Krankenhäusern in der Lage sind, mit der momentan nicht beziehungsweise stark eingeschränkt möglichen physischen Nähe umzugehen, ob im Umgang mit den Patienten oder mit den Mitarbeitern. Außerdem kann man seinen Mitmenschen auch beim Tragen einer Schutzmaske ein freundliches Wort und einen wohlmeinenden Blick schenken – ob in einem Krankenhaus oder draußen in der Stadt und in den Geschäften. Ich persönlich habe keine Einschränkung bei den Patientengesprächen wahrgenommen. Selbst telefonisch war es möglich, Nähe herzustellen.
Frage: Haben auch die Patienten oder deren Angehörige Verständnis dafür, dass trotz aller Bemühungen die seelsorgliche Begleitung teilweise doch nur eingeschränkt möglich ist?
Nieswandt: Persönlich habe ich da keine unschönen Szenen erlebt oder Enttäuschung registriert. Im Gegenteil: Ich habe festgestellt, dass die Leute auch für telefonische Kontakte dankbar sind. Es ist ja kein Zufall, dass die allgemeine Telefonseelsorge aktuell sehr gefragt ist.
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Die Kirche verliert heute immer mehr an Relevanz und Autorität. Sie steckt in der Krise. Weder ein "Weiter so" noch halbherzige Reformen können die Kirche retten, analysiert der Priester Reiner Nieswandt. Er sagt: Um die Krise zu überwinden, muss sie sich neu erfinden.Frage: Haben Sie für diese Situation neue Seelsorgeformate entwickelt?
Nieswandt: Wir haben für die Stadt Wuppertal ein Angehörigentelefon eingerichtet. Das ist inzwischen zwar etwas eingeschlafen, kann aber jederzeit wiedererweckt werden, falls sich die Corona-Lage wieder verschlechtert. Demnächst beginnen wir zwar mit hausinternen Gottesdiensten in den Krankenhauskapellen, wollen aber in Zukunft noch stärker die Möglichkeit nutzen, die Gottesdienste in die Krankenzimmer zu übertragen. Zudem haben wir in ökumenischer Zusammenarbeit mit den evangelischen Kollegen Mittagsgebete in den Kapellen gehalten, die ebenfalls übertragen wurden. Diese Formate sollen nach der Corona-Pandemie fortgeführt werden.
Frage: Viele haben in den vergangenen Wochen moniert, vonseiten der Kirche habe es nicht genügend ermutigende Worte im Angesicht der Pandemie gegeben. Wie sehen Sie das?
Nieswandt: Diese Kritik, die ja teilweise auch von hochrangigen Politikern kam, halte ich für ziemlichen Unfug. Die Menge an tröstlichen Worten hat nicht gefehlt, auch wenn sich über die Qualität sicherlich debattieren lässt. Ich bin der Meinung, dass in einer Kirche oder in einer Gesellschaft, in der oft zu viele Worte benutzt werden, manchmal auch Schweigen angemessen sein kann. Schon zu Beginn der Pandemie in Deutschland war mein persönlicher Eindruck, dass wir uns – theologisch betrachtet – in der Zeit eines lang nach vorne und hinten ausgedehnten Karsamstags befinden. Ich weiß, dass es für viele schwierig ist, das Schweigen anstelle vieler, auch vermeintlich frommer Worte, ebenso wie die "Verdammung" zum Nichtstun in einem normalerweise hektischen kirchlichen Alltag auszuhalten. Ein biblisches Bild, das mir in diesem Zusammenhang sehr geholfen hat, war die Situation der Frauen im Gefolge Jesu, die aus sicherer Entfernung beim Kreuz Jesu standen, ihm beistanden, nicht wegliefen, aber auch nicht mehr "tun" konnten.
Frage: Wie kann sich die Krankenhausseelsorge die Erfahrungen mit der Pandemie zunutze machen?
Nieswandt: Wir sind in den Krankenhäusern wichtige Partner der Sorge für den ganzen Menschen, egal ob Patient, Mitarbeiterin oder Angehörige. Das war schon vorher so, ist aber durch diese für uns einmalige Situation noch einmal viel intensiver ins Bewusstsein gerückt. Gleichzeitig bleiben wir wichtige Gesprächspartner für die medizinische Leitung der Krankenhäuser, insbesondere bei ethischen Fragestellungen. Ich freue mich, wenn sich die Situation stabilisiert und unsere "normale" Arbeit wieder möglich ist, also intensivere Kontakte mit Patienten und deren Angehörigen. Aber gesamtkirchlich zeigt uns die Pandemie einen Weg zu Bescheidenheit und Selbstrücknahme auf, den wir nicht mehr verlassen sollten. Ein "Zurück zum Vorher" darf es im kirchlichen Bereich meines Erachtens nicht geben.