Himmelklar – Der katholische Podcast

Bischof Wilmer: Sorge mich um Gesundheit der Gottesdienstbesucher

Veröffentlicht am 10.06.2020 um 00:30 Uhr – Lesedauer: 

Hildesheim ‐ Deutschlandweit lockert sich die Situation um die Corona-Krise, unter anderem in den Gottesdiensten. Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer beobachtet viel Neues und Veränderungen. Trotzdem sorgt sich der Oberhirte um bestimmte Gottesdienstbesucher.

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Wozu ist die Kirche eigentlich da? Den Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer bewegen zur Corona-Zeit die grundsätzlichen Fragen. Nach den Vorkommnissen in Frankfurt und Bremerhaven macht er sich jedoch auch Sorgen, wie er im Interview verrät.

Frage: Die Gesellschaft ist auf dem Weg zurück in die Normalität, die Gottesdienste öffnen sich auch mehr und mehr. Wie ist denn die Lage bei Ihnen gerade?

Wilmer: Die Lage ist sehr unterschiedlich. Wir haben von der Bistumsleitung her den Dechanten vor Ort und ihm die Oberhoheit gegeben. Es gibt gewisse Vorgaben. Die Vorgaben sind so, dass wir darum bitten, dass wir wieder mit den Gottesdienstfeiern beginnen. Manche beginnen mit Wortgottesdiensten, andere mit der Eucharistiefeier, andere sind sowohl als auch unterwegs und auch in neuen Formen. Was ich ganz spannend finde, ist, dass sich neue Formen entwickelt haben, zum Beispiel Whatsapp-Gruppen zum Bibel teilen, es gibt Formen von ignatianischen Exerzitien im Internet. Ich war vorgestern Abend noch live bei einer Gruppe, die sich zum ersten Mal live getroffen hat, über 50 Leute in einer großen Kirche verteilt, die über zwei Monate unterwegs waren geistlich unter der Frage: Was bedeutet der Glaube mir und inwieweit kann ich persönlich aus diesem Glauben leben? Das finde ich schon sehr spannend, wie auch neue Wege beschritten werden.

Frage: Im Gottesdienstleben ist ja die Frage, wie wir im Moment mit den Einschränkungen umgehen. Wir haben ja auch die zwei Fälle in Frankfurt und in Bremerhaven, wo ja neue Infektionen aus Gottesdiensten entstanden sind. Ist das etwas, was Ihnen Sorge bereitet, dass das auch bei Ihnen passieren kann?

Wilmer: Doch, eine gewisse Sorge habe ich persönlich schon und wir achten darauf, dass die Vorgaben eingehalten werden. Also, dass es einen Abstand gibt von 1,50 m, dass empfohlen wird, einen Mundschutz zu tragen und dass auch die Priester beim Austeilen der heiligen Kommunion sich noch einmal die Hände desinfizieren und auch hier die Empfehlung einen Mundschutz zu tragen. Also, natürlich habe ich eine Sorge, dass wir hier nicht zum Hotspot werden und meine Sorge gilt vor allem den älteren Menschen und auch jenen, die zu den Risikogruppen und den Hochrisikogruppen gehören. Und das sage ich landauf landab, weil der Schutz des Lebens im Zentrum der Botschaft Jesu steht. Wir haben auch hier treu zu sein dem Evangelium und Jesus sagt: "Ich will, dass sie das Leben haben und es in Fülle haben." Dazu gehört die körperliche Gesundheit wie auch natürlich die seelische Gesundheit und die spirituelle Hilfe. Es gilt, hier ein gutes Maß zu finden und umsichtig zu sein.

Frage: Online-Gottesdienste haben ja in der letzten Zeit eine relativ große Rolle gespielt, genau in dem Zusammenhang. Da haben Sie aber zu Pfingsten gesagt: Wir stellen das ein. Wie ist es dazu gekommen?

Wilmer: Jein, das stimmte nicht ganz. Wir haben nur gesagt, dass wir den Online-Gottesdienst im Dom einstellen. Die Online-Gottesdienste werden im Grunde genommen komplett weitergeführt. Wir haben in vielen Pfarreien Online-Gottesdienste und Online-Gebetsgruppen. Die digitalen Möglichkeiten, die wir bisher genutzt hatten, laufen weiter. Wir haben nur gesagt, im Mariendom zu Hildesheim stellen wir zunächst mal den Gottesdienst als Online-Gottesdienst ein, damit die Gläubigen doch wieder Mut haben und mit Zuversicht in die Pfarreien gehen und vor Ort den Glauben auch wieder in der Gemeinde leben. Aber wie gesagt, das ist ein Schritt. Wir werden das auswerten. Ich bekomme im Moment viele Briefe, Anfragen und E-Mails, die mich persönlich auch bitten, den Gottesdienst wieder im Dom digital übertragen zu lassen. Wir werden das auswerten und schauen, wie es weitergeht.

Livestreams im Überblick: Die Gottesdienste auf katholisch.de

Ob Pontifikalamt aus dem Kölner Dom, Heilige Messe aus dem Wallfahrtsort Kevelaer oder der Angelus mit Papst Franziskus: Hier finden Sie alle Informationen zu den regelmäßigen Live-Übertragungen von katholisch.de.

Frage: Ich glaube, dass es grundsätzlich ein Findungsprozess in der Gesellschaft ist. Keiner weiß so wirklich, wie der richtige Weg ist, den wir gehen müssen.

Wilmer: Ja, ich sehe das genauso. Es ist ein Frage-und-Antwort-Spiel. Wir sind mit vielen Menschen in Kontakt und Dinge, die wir vor zwei Wochen so und so gesehen haben, verändern sich. Für mich ist wichtig, dass wir hier keine steifen Erklärungen geben und sagen, dass das in Beton gegossen ist. Das ist es eben nicht, sondern für mich ist ein Schlüssel, mit den Menschen vor Ort, in der Gemeinde, in den jeweiligen Einrichtungen wie Altenheime und Krankenhäusern und auch in den katholischen Hochschulgemeinden zu sprechen. Ich war gestern Abend noch in einer Videokonferenz mit 25 Studierenden aus der KHG in Göttingen. Also, mir ist es wichtig, mit all diesen vielen Menschen in Kontakt zu bleiben, um gemeinsam zu schauen, wie wir weiterkommen, weil ich nicht die Weisheit gepachtet habe. Die Situation ist völlig neu und ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn wir im Gespräch bleiben, dass wir schon einen Weg finden werden, an den schwierigen Klippen von Corona und Covid-19 vorbeizukommen.

„Corona schiebt uns auch an, über Grundsätzliches nachzudenken. Eine der grundsätzlichen Fragen lautet doch: Wozu sind wir als Kirche da?“

—  Zitat: Bischof Heiner Wilmer

Frage: Jetzt betrifft das nicht nur unseren Alltag im persönlichen, sondern die ganze Gesellschaft und die ganze Kirche. Da geht im Moment ein Zitat von Ihnen um. Sie haben in einem Interview gesagt: "Es braucht für die Kirche eine spirituelle Revolution. Es braucht radikale Reformen, die wir angehen müssen." Jetzt sind wir ja als Kirche nicht unbedingt dafür bekannt, dass wir unbedingt die Reformfreudigsten sind, sage ich mal vorsichtig. Bietet diese Krisenzeit denn jetzt einen Schub oder einen Anlass? Denken Sie, dass man jetzt etwas erreichen kann, was man vorher nicht erreicht hat?

Wilmer: Diese Krisenzeit gibt auf jeden Fall einen gewaltigen Schub. Im Moment liegt vielleicht die Gefahr darin, dass wir uns zu sehr in organisatorischen Details verlieren. Die sind wichtig und natürlich ist es wichtig, darüber nachzusinnen, wie geht Abstand, wie geht Sicherheit, wie beginnen wir wieder Gottesdienste? Was geht, was geht nicht, wo müssen wir aufpassen? Wie geht auch Seelsorge noch einmal vor Ort in den Krankenhäusern, auf den Intensivstationen, in den Altenheimen und in den Schulen? Das ist ganz wichtig, aber Corona schiebt uns auch an, über Grundsätzliches nachzudenken und eine der grundsätzlichen Fragen lautet doch: Wozu sind wir als Kirche da? Wozu sind wir als Institution da und wozu hilft der Glaube? Was ist der Kern der Botschaft Jesu? Und noch einmal: Jesus sagt in den Abschiedsreden im Johannesevangelium: "Ich will, dass sie das Leben haben und dass sie es in Fülle haben." Übrigens ist der Titel des wichtigen Dokuments von Aparecida 2006, an dem damals lange ein Redaktionsteam arbeitete und der Chef des Redaktionskomitees ist der heutige Papst Franziskus. Die Schlüsselfrage lautet wirklich: Wie gelingt es uns, die Botschaft Jesu aufleuchten zu lassen, sie lebendig zu halten, sodass Menschen daraus leben und genauso fasziniert sind von Jesus, seiner Botschaft und seiner inneren Anbindung an den Vater wie zur Zeit Jesu. Und das an sich ist die Schlüsselfrage und ich bin fest davon überzeugt, dass uns diese Schlüsselfrage von Radikalität in dem Sinne, wo liegt die Radix, unsere Wurzel, wo kommen wir hin, zum Eigentlichen führt. Alles andere wäre ein Verplempern von Zeit mit Nebensächlichkeiten, um es etwas schärfer zu sagen.

Ein Küster desinfiziert ein Kirchenbank
Bild: ©KNA/Harald Oppitz (Symbolbild)

Während der Corona-Krise standen und stehen vor allem viele organisatorische Fragen an, unter anderem für Gottesdienste. Bischof Heiner Wilmer appelliert dazu, dabei jedoch nicht das Wesentliche aus den Augen zu verlieren.

Frage: Ich würde gerne, wo wir über so viele negative Geschichten und Herausforderungen sprechen, noch eine Sache herausnehmen, die mir begegnet ist und die ich sehr gut finde. Sie haben im Bistum den Bernward-Hilfsfonds, mit dem Sie Menschen unterstützen, denen es nicht so gut geht. Da haben Sie gesagt, dass Sie diesen Fonds zur Krisenzeit aufstocken werden. Ich habe jetzt die Zahlen nicht genau im Kopf, aber es ist fast auf das Doppelte aufgestockt worden. Können Sie etwas dazu erzählen, wie es dazu gekommen ist und wo man das Geld dafür hernimmt?

Wilmer: Der Bernward-Hilfsfonds ist unter meinem Vorvorgänger Bischof Josef Homeyer geschaffen worden. Er erinnert an den heiligen Bernward, einer der frühen Bischöfe von vor tausend Jahren. Der Fonds ist entstanden in der Diskussion um den Paragrafen 218. Wie können wir jungen Müttern helfen, die schwanger geworden sind und in prekären Verhältnissen leben? Wie sind wir als Kirche unorthodox jenen Menschen nahe, die in Not geraten sind? Darüber hinaus hat dann der Fonds die Ziele geweitet und ist grundsätzlich offen für die Frage: Wie können wir ohne große Formalitäten Menschen helfen, denen es wirklich plötzlich ganz schlecht geht? Dieser Fonds ist durch unser Generalvikariat erhöht worden von 91.000 Euro auf 161.000 Euro. Für mich ein wichtiges Zeichen. Es ist ein Symbol, um kurzfristig und unorthodox zu helfen. Ein zweites übrigens darüber hinaus: Wir haben ja im Bistum fünf katholische Hochschulgemeinden, eine zum Beispiel in Göttingen. Die habe ich ja eben schon erwähnt. Die haben bestimmte Veranstaltungsetats, die aber jetzt nicht abgerufen wurden wegen Corona, weil man eben nicht zusammenkommen konnte. Und da haben wir im Bistum auch gesagt, dass der Etat bleibt. Wir widmen ihn völlig unkompliziert um, um mit diesem Etat jenen Studierenden zu helfen, die durch eine soziale oder wirtschaftliche Folge von Corona besonders betroffen sind. Also auch hier: Wie können wir caritativ in der Welt der Studierenden da sein, um auch bei den jungen Leuten zu sein?

Frage: Ich glaube aber, das ist das richtige Zeichen. Da zeigt man auch, dass wir als Kirche nicht nur reden, sondern auch handeln, wenn es den Menschen schlecht geht.

Wilmer: Ja, also für mich ist noch einmal die Botschaft und das Leben, das Zeugnis von Jesus von Nazareth, der Schlüssel. Die Frage ist doch: Wie können wir im Namen des Herrn nahe bei den Menschen sein? Wie können wir wirklich dem Anderen in die Augen schauen? Wie können wir mit dem Anderen am Küchentisch sitzen und mit ihm/ihr lachen oder weinen? Und vor allem: Wie können wir uns selbst einschwingen in die große Geschichte des anderen Menschen und doch bescheiden dazu beitragen, dass jeder und jede aufblühen kann, zu einer größeren Erfüllung findet und gut in der Haut angekommen ist? Nichts anderes sagt auch der große Begriff der Fleischwerdung, der Inkarnation. Also die Frage Gottes: Wie komme ich, Gott, in die Haut meiner geschaffenen Welt? Wie werde ich Mensch? Diese Frage ist für mich auch Leitmotiv in der Seelsorge: Wie gelingt es uns im Bistum Hildesheim, dass jeder und jede gut in ihre und seine Haut hineinkommt und ganz Menschwert zu einer Identität findet?

Frage: Das ist vielleicht auch ein guter Ansatz für die Abschlussfrage. In diesen Zeiten, in denen wir uns wirklich mit vielen Herausforderungen herumschlagen müssen: Was bringt Ihnen da Hoffnung?

Wilmer: Mir bringt der Glaube Hoffnung. Also ich merke in Corona, dass der Glaube trägt. Die eigentliche Hoffnung ist Jesus Christus, wenn er schon bei seinem Eintritt in die Welt bei schwierigen Fragen und Herausforderungen weiß: Der Vater hält mich. Wenn er auf den Psalm verweist und auch den Jüngern sagt: "Niemand fällt tiefer als in die Hände Gottes." Und wenn ich weiß, dass ich grundsätzlich getragen bin und nicht ins Dunkel oder in einen fürchterlichen Abgrund falle, dann kann ich auch Trost erfahren. Keine Vertröstung, aber einen Trost, der mich stark macht, der dafür sorgt, dass ich die Ärmel hochkrempeln kann und anpacken kann, um mich einzumischen in die Belange dieser Welt, auch der Kirche, um für Menschen unterwegs zu sein, Schulter an Schulter wie die Emmaus-Jünger, einem gemeinsamen Ziel entgegen, mit einem brennenden Herzen. Das ist es. Das Feuer des Heiligen Geistes zu leben und das entfachen zu lassen. Und diese Dynamik gibt mir persönlich sehr viel Hoffnung.

Von Renardo Schlegelmilch