Himmelklar – Der katholische Podcast

Bischof Timmerevers: Wir müssen mit Verschwörungstheoretikern reden

Veröffentlicht am 01.06.2020 um 14:50 Uhr – Lesedauer: 

Dresden ‐ Wie gehen wir als Christen mit Menschen auf Hygienedemos und Verschwörungstheoretikern um? Der Bischof von Dresden-Meißen hat Erfahrung damit. Im Interview spricht Heinrich Timmerevers auch darüber, warum in sein Bistum das erste war, das nach Ausbruch der Corona-Pandemie Gottesdienste gefeiert hat.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Die ehemalige thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht hat den Kirchen vorgeworfen, in der Corona-Krise zu wenig getan zu haben. Eine Antwort mitverfasst hat auch der Bischof von Dresden-Meißen, Heinrich Timmerevers. Im Interview spricht er auch darüber, wie er die Corona-Pandemie in seinem Bistum erlebt.

Frage: Erstmal ganz allgemein gesprochen. Die Corona-Lage, wie ist das bei Ihnen? Wie geht es Ihnen im Moment?

Timmerevers: Also mir geht es gut. Hier in Sachsen und Ost-Thüringen und in Dresden, sind wir glaube ich in einer ganz guten Situation. Wir haben vielleicht im Vergleich mit anderen Bundesländern doch viel Glück gehabt, dass es bei uns nicht so reingeschlagen hat wie das in anderen Bundesländern war. Von daher gesehen dürfen wir etwas entspannter sein. Jetzt nach den acht Wochen, die wir so erlebt haben. Also da bin ich und sind die Menschen glaube ich zuversichtlich.

Frage: Sie waren tatsächlich das erste Bistum, dass gesagt hat: Wir machen wieder Gottesdienste, auch wenn es in einem kleineren Rahmen gewesen ist. Was sind da so die ersten Erfahrungen, die Sie gemacht haben in den letzten Wochen?

Timmerevers: Die kleinen Gottesdienste waren auch zunächst einmal ein Signal und da haben wir auch ein bisschen gedrängt in den Kontakten zur Staatskanzlei und der Landesregierung hin. Ich habe gesagt, dass wir jetzt ein Signal brauchen, dass es eine Wende gibt. Wir müssen wieder anfangen und zeigen, dass sich die äußerliche Situation wieder verändert und verbessert. Auch wenn das jetzt eine kleine Zahl ist denke ich, das war ein Zeichen des Anfangs und des Aufbruchs. Ich glaube das ist ganz gut wahrgenommen worden. Nun sind wir ja eine Diasporagemeinde, natürlich hätten wir uns auch im ersten Moment größere Gottesdienste vorstellen können, aber unsere Kirchen sind auch nicht so riesig groß, sodass wir mit 30 und 40 Plätzen in den allermeisten Kirchen im Grunde die entsprechenden Rahmenbedingungen haben, die vorgegeben sind. Von daher ist das alles gut auf den Weg gekommen.

Frage: Das heißt, Sie bereuen den Weg nicht, den Sie da gegangen sind?

Timmerevers: Nein, ich denke etwas anderes war auch gar nicht möglich und wir haben auch sehr behutsam das gemacht, weil es für mich jedenfalls eine gewisse Spannung war. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Die Einen halten dem Bischof vor, dass er sehr unverantwortlich ist mit dieser Lockerung und Andere sagen, dass der Bischof jedes Gottvertrauen verloren habe. Das sind die Extreme in denen man sich da so bewegt. Ich glaube da haben wir sehr verantwortungsvoll die Schritte ermöglicht und im Augenblick habe ich auch wahrgenommen aus dem Bistum heraus, dass das von den Seelsorgern sehr konstruktiv angenommen worden ist.

Themenseite: Die Kirche während der Corona-Krise

Gottesdienste werden abgesagt, Gotteshäuser geschlossen: Das Coronavirus hat auch die katholische Kirche in Deutschland und Europa erreicht. Wie geht es nun in den Bistümern weiter? Und was können die Gläubigen tun? Alles Wichtige zum Thema erfahren Sie hier.

Frage: Jetzt sind wir ja schon sozusagen im nächsten Stadium der Pandemie. Wir diskutieren weniger über die Schließungen, sondern vielmehr über so Sachen wie zum Beispiel Hygienedemos, die im Moment stattfinden und die Zahl von Verschwörungstheoretikern, von Extremisten, die sich darunter einmischen. Es gibt eine aktuelle Umfrage die sagt, dass 80 Prozent der Deutschen tatsächlich dagegen sind, also gegen Verschwörungstheorien und Extremisten und hinter den Hygienemaßnahmen der Regierung stehen. Wie erleben Sie das denn alles bei sich im Bistum? Also diese ganze Diskussion, ob das richtig oder falsch ist und die Proteste darum.

Timmerevers: Also da glaube ich von den Gläubigen unseres Bistums, dass das weitgehend auch mitgetragen ist. Natürlich gab es einige, die mehr wollten und wie ich eben schon sagte gab es andere die sagten "Vorsicht, nicht zu schnell." Aber das habe ich hier so wahrgenommen, dass das relativ ausgewogen ist, so eine gute Ausgewogenheit in der Mitte. Das ist so vom Bistum her. Natürlich, hier auf der Straße und wenn ich die Veranstaltungen so sehe, die dann dennoch hier möglich waren, dann wächst ein Unmut. Wir hatten hier auch ein bisschen die Sorge oder mein Eindruck war, dass sich da verschiedene Gruppen aus verschiedensten Lagern zusammenfinden. Der Ministerpräsident ist da ganz mutig draufzugegangen, um einfach das Gespräch und den Kontakt zu suchen und hat sich auch da hineingestellt. Das finde ich ist ein starkes Zeichen. Wir müssen uns diesen Debatten einfach stellen und dann auch vielleicht von Mann zu Mann und von Frau zu Frau das Gespräch und den Dialog suchen. Ob wir überzeugen können ist die zweite Frage, aber wir dürfen uns davon nicht wegducken.

Frage: Das ist ja etwas, muss man fast schon sagen, wo Sie in Sachsen ja eigentlich fast schon Erfahrung mit haben. Mit den Pegidaprotesten, mit dem Erfolg der AFD. Wie macht man das? Wie geht man mit Menschen um, von denen man von vornherein weiß, dass man deren Meinung nicht teilt oder mitunter sogar für falsch und gefährlich hält?

Timmerevers: Man darf den Dialog, das Gespräch nicht aufgeben. Immer wieder und man muss deutlich sein und sagen was man selber davon denkt und was für einen selber wichtig ist. Aber in so eine Linie hinzukommen, dass man mit ihnen nicht redet, das ist gefährlich. Da braucht es eben auch eine gewisse Kultur des Konfliktes. Wie gehen wir um mit Positionen, die erst mal mit uns unvereinbar scheinen? Wie gehen wir miteinander um? Und ich glaube da müssen wir als Christen mit der großen Langmut und der Beständigkeit dranbleiben. Das ist notwendig.

Frage: Was haben Sie da selber für Erfahrungen gemacht? Wie gehen Sie in so ein Gespräch rein oder was haben Sie da erlebt?

Timmerevers: Diese unmittelbaren Begegnungen, Kirche, kirchliche Amtsträger oder Vertreter der Kirche und Pegida und andere Personen, das ist eher rar, aber manchmal trifft man ja auf Versammlungen oder in den Gremien doch Anhänger in irgendeiner Weise. Mir ist es wichtig zuzuhören und ich denke, wir müssen lernen, dass wir eine verwundete Gesellschaft sind und auch eine verwundete Kirche. Der Papst hat tatsächlich das Wort vom "Lazarett" genommen. Wir müssen heilend da sein, nicht immer alles besser wissen, aber heilend da sein und empathisch zuhören. Das ist das Wichtige. Da kommt einem ja viel Frust entgegen, der auch mal ausgedrückt und gesagt werden will. Da haben wir einen Beitrag zu leisten das anzunehmen und dann kann man das ein oder andere deutliche Wort auch mal sagen.

Bild: ©dpa/Monika Skolimowska (Archivbild)

"Man darf den Dialog, das Gespräch nicht aufgeben." Bischof Timmerevers hat in seinem Bistum Erfahrung mit dem Dialog mit der AfD und PEGIDA.

Frage: Also das heißt mitunter verstehen, dass es nicht unbedingt den Menschen um das geht worum es im ersten Moment zu gehen scheint zum Beispiel Hygienebestimmungen.

Timmerevers: Ich bin sehr davon geprägt den Menschen Hoffnung und Zuversicht zu vermitteln, nicht nur das Defizitäre zu sehen, sondern wo wächst etwas Gutes, wo geschieht etwas Positives und wo wächst Miteinander. Also auf dieser Ebene. Nicht in den Gleichklang mit ihnen zu kommen in dem ich alles beklage, sondern schauen wo es Ansätze für etwas Gutes gibt. Das ist so ein Anknüpfungspunkt. Das ist meine innere Überzeugung: Glaube, Hoffnung, Liebe. Das sind Grundhaltungen und Grundtugenden, die dann doch für mich auch im Hintergrund stecken.

Frage: Ich stelle mal eine gewagte These auf: Könnte man das vielleicht biblisch übersetzen mit dem schönen Satz: "Hasst die Sünde, aber liebt den Sünder?"

Timmerevers: Hm, gute Frage.

Frage: Verstehen Sie, was ich damit sagen will?

Timmerevers: Ja, ja. Auf jeden Fall ist es richtig, dass die Tat, dass was da Hass ist, nie eine Antwort ist. Das muss man auf jeden Fall meiden. Aber es ist immer ein Mensch, der mir entgegen kommt vielleicht auch mit Verletzungen und Verwundungen, mit berechtigten oder vielleicht auch überzogenen Bedürfnissen. Aber sich den Menschen zu stellen, das finde ich wichtig.

Frage: Nun ist das ja eine Ausnahmesituation, die für die Menschen im Osten, insbesondere in Sachsen auch nichts Neues ist. Wir denken zurück an die friedliche Revolution 1989 und die Flüchtlingskrise 2015. Sie haben ja schon das Bild vom Lazarett verwendet. Was ist denn, wenn Sie zum Beispiel mit den Menschen in den Gemeinden sprechen? Ist das für die etwas, was man mit diesen Zeiten vergleichen kann, wo man einen ähnlichen Ansatz finden kann oder ist das etwas vollkommen anderes?

Timmerevers: Da glaube ich schon, dass man das nicht vergleichen kann. Ich habe das ja nicht unmittelbar hier erlebt, aber wenn die Leute von der Flut reden im Jahr 2002 und 2013, da kommen dann andere Züge raus. Eine Hilfsbereitschaft, die man sich gegenseitig ermöglicht und gezeigt hat und eine Stimmung "Wir gehen das an. Wir packen das und helfen uns." Die Flut war nach einigen Tagen wieder weg, da konnte man das abarbeiten. Das war eine andere Stimmung. Jetzt muss man ja einfach sagen, dass die Pandemie über uns gekommen ist. Das hat niemand produziert und das hat keiner erwartet. Niemand hatte eine Vorstellung davon wie das sein könnte. Das ist eine ganz andere Situation. Und 2015, da war ja am Anfang auch eine große Hilfsbereitschaft da, aber da kam vielleicht doch, so sehe ich das, heraus: Dieses Land hat nach 1989 nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer gehabt und den Flüchtlingen und denjenigen, die dann zu uns kamen, wurde in einem Übermaß geholfen, dass es da Neidgefühle geben könnte. Das ist glaube ich wichtig: Wir müssen miteinander eine Form finden wie wir die Konflikte, die in der Gesellschaft da sind, angehen können und wie wir miteinander auch streiten und Herausforderungen meistern können. Das ist eine Aufgabe, die wir haben.

Frage: Das ist vielleicht auch schon ein guter Übergang zu meiner Abschlussfrage. Die ist immer gleich bei diesen Gesprächen. Wenn Sie sich im Moment in Ihrem Alltag umschauen, was bringt Ihnen Hoffnung?

Timmerevers: Ich erlebe ganz viel Positives. Wir haben jetzt hier mit unserer Akademie einen Podcast gemacht "Mit Herz und Haltung". Da ist sehr viel Kreativität entstanden Menschen zusammenzubringen, Menschen zu hören mit Beiträgen. Also da erlebe ich ganz viel Kreativität und ich erlebe auch ganz viele Menschen, die einfach sagen "Wir machen aus der Situation, die wir haben, das Beste und gehen konstruktiv da heran." Das ist für mich etwas ganz Positives. Und auch den guten Willen in diesen Situationen und auch die Entschiedenheit als Christen den Glauben zu leben und zu bezeugen. Wir sind einfach da und wir sind auch für die Menschen da. Das nehme ich wahr als etwas, dass mich erfüllt und das mir auch Freude macht.

Von Renardo Schlegelmilch