Standpunkt

Die Versuchung der Frommen

Veröffentlicht am 12.06.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Corona-Pandemie als Strafe Gottes? Solche Gedanken sind die Versuchung der Frommen, kommentiert Eckhard Nordhofen. Die gefühlte und herbeigebetete Gottesnähe führe bei ihnen zu der Überzeugung, die Gedanken Gottes lesen zu können.

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Who done it? Wer war es? Am Montag der Montagskrimi, dienstags die "Rosenheim Cops", mittwochs "Soko Hafenkante", Donnerstags-, Freitags- und Samstagskrimi, vom "Tatort" am Sonntag ganz zu schweigen – kein Tag ohne Krimi. Die öffentlich-rechtlichen Sender in verzweifelter Konkurrenz mit den Privaten und den Streaming-Diensten wollen Spannung erzeugen und werden langweilig. Aber Sie erzeugen etwas anderes, die stereotype Frage, die zum Denkmuster wird: Who done it? Wer war es diesmal im großen Corona-Krimi? Waren es die Chinesen? War es Bill Gates? Oder war es am Ende doch der liebe Gott? Vielleicht wollte ER den Kapitalisten, die ständig CO2 absondern und dabei seine schöne Schöpfung kaputtmachen, einmal mit Corona einen Schuss vor den Bug geben? Könnte doch sein, oder?

Das ist die Versuchung der Frommen! Die gefühlte und herbeigebetete Gottesnähe setzt sie in den Stand, die Gedanken Gottes zu lesen. Vielleicht gibt es ja auch für den Einblick in die Pläne Gottes Experten, am Ende die Bischöfe? Unter dem mahnenden Titel "Das Schweigen der Bischöfe zu Corona" fragte Hartmut Löwe, selber ehemaliger Militärbischof der EKD, vor einem Monat in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" rhetorisch, ob Luther zu tadeln sei, der, als die Pest 1527 in Wittenberg wütete, "ganz selbstverständlich und ohne Scheu von einer Strafe Gottes gesprochen hat".

Wir sind immer ökumenisch gestimmt und verharren vor dem wortmächtigen Reformator in gebührendem Respekt, aber hier kann die Antwort nur lauten: Ja, er ist zu tadeln. Eigentlich sollte die Frage ein für alle Mal geklärt sein und zwar biblisch: Das Versprechen der Schlange im Paradies lautete: "Ihr werdet sein wie Gott und erkennt Gut und Böse." Sie hatte gelogen. Es gibt auch keine Schleichwege zum Gotteswissen. Jesaja hat es auch noch einmal eingeschärft: "Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege" (55,8). Ist das nicht der eigentliche Sinn der sechsten Bitte des Vaterunsers, über die manch ein Bischof und sogar ein Papst gestolpert ist? "Und führe uns nicht in Versuchung." Es ist die Versuchung der Frommen, die in gefühlter und erbeteter Gottesnähe meinen, seine Gedanken lesen zu können.

Von Eckhard Nordhofen

Der Autor

Eckhard Nordhofen ist ein deutscher Theologe und Philosoph. Von 2001 bis 2010 war er Leiter des Dezernates Bildung und Kultur im Bistum Limburg. Bis 2014 lehrte er außerdem theologische Ästhetik und Bildtheorie an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Hinweis

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