Dogmatikerin Hoffmann: Glaube und Zweifel sind nicht nur Gegensätze
Gehört der Zweifel zum Glauben? Ja, natürlich, sagen die einen. Glaube und Zweifel sind Geschwister. Ohne den Zweifel bleibt der Glaube naiv und engstirnig. Glaubende, die sich allzu gewiss sind, sind mindestens unsympathische Zeitgenossen, im schlimmsten Fall intolerant. Nein, sagen die anderen, der Glaube soll doch die Grundausrichtung unseres Lebens sein. Wie könnte er das, wenn ich ihn dauernd in Frage stellte? Außerdem hat die christliche Tradition immer betont, dass glauben nicht etwas ist, das wir machen oder lernen können wie Klavier spielen. Glaube ist zuletzt und zutiefst Gottes Geschenk. Von daher gewinnt er lebenstragende Gewissheit. "Der Heilige Geist ist kein Skeptiker", wird Martin Luther in diesem Zusammenhang gerne zitiert.
Diese zweite Position, die den Glauben im Gegensatz zum Zweifel sieht, war in der Geschichte des Christentums lange die vorherrschende. Ob man in theologische Texte schaut oder in Heiligenbiografien, die vorbildliche Christen vor Augen stellen: Als Ideal galt in aller Regel die zweifelsfreie Gewissheit des Glaubens. Wer sonst wäre bereit, nötigenfalls für seinen Glauben zu sterben? Und theologisch schien es schwierig, einen Glauben in Frage zu stellen, den man doch als Gnadengeschenk empfangen hatte und dessen Wahrheit Gott selbst verbürgte.
Glaubenszweifel sind vor diesem Hintergrund problematisch, unter Umständen sogar sündhaft. Sie erscheinen als Ausdruck von Misstrauen Gott gegenüber, der doch höchstes Vertrauen verdient, oder als eigenmächtige Kritik an den Lehren der Kirche, der die göttliche Offenbarung anvertraut ist. Aber in neuester Zeit werden die Stimmen lauter, die von einer positiven Funktion des Zweifels für den Glauben sprechen.
Ist der Zweifel also ein Feind oder ein Freund des Glaubens? Es ist sicher höchste Zeit, Menschen, die zweifeln, nicht mehr zu unterstellen, dass sie mutwillig die Autorität der Schrift oder der Kirche in Frage stellten oder dass ihr Zweifel einer tiefliegenden Rebellion gegen Gott entspränge. Aber es lohnt sich auch, noch etwas genauer hinzuschauen. Dass der Zweifel so verschieden bewertet wird, dürfte auch damit zu tun haben, dass wir es gar nicht immer mit demselben zu tun haben, wenn wir von "Glaubenszweifeln" sprechen. Der Zweifel hat viele Gesichter.
Die vielen Gesichter des Zweifels
Vor allem diejenigen, die den Zweifel positiv verstehen, verstehen unter Zweifel oft ein kritisches Nachfragen im Blick auf Glaubensaussagen. Sie fordern für sich das Recht ein, nicht einfach glauben zu sollen, was eine religiöse Autorität ihnen sagt und weil sie es sagt, sondern selbst zu verstehen. Das Leitbild ist ein erwachsener, reflektierter Glaube, der selbst verantworten kann, was er glaubt. In dieser Gestalt ist der Zweifel ein Katalysator für ein vertieftes Glaubensverständnis.
Weniger ein aktives kritisches Fragen als einen grundsätzlichen Mangel an Gewissheit hat eine Haltung im Blick, die man als "Bescheidenheit des Erkennens" bezeichnen könnte. Sie versieht alle religiösen Aussagen mit dem Vorzeichen, dass hier keine absolut gewisse Erkenntnis möglich ist. In Zeiten des weltanschaulichen Pluralismus ist eine solche Haltung wohl näherliegend als früher. Aber dass unsere Gotteserkenntnis immer nur eine menschlich-begrenzte ist, ist in breite Traditionsströme der christlichen Theologie eingeschrieben – und zwar auch in solche, die die Gewissheit des Glaubens betonen. Glaubensgewissheit, so zeigt sich damit umgekehrt, hängt nicht zwingend daran, dass der Glaube für das Verstehen vollkommen durchsichtig wäre. Nicht selten galt hingegen die Glaubwürdigkeit der Zeugen als ein entscheidendes Moment, vor allem der Bibel und der Kirche.
Zweifel an der glaubenden Lesart der Welt
Neben einzelnen Aussagen kann die Perspektive des Glaubens insgesamt zweifelhaft werden. Glaube und Welterfahrung treten in einen scheinbar unlösbaren Widerspruch, beispielsweise das Übermaß an unschuldigem Leiden in der Welt mit der Vorstellung eines gütigen und allmächtigen Gottes. Oder die klassische Religionskritik wird zur persönlichen Anfrage. Ist der Glaube nicht reines Wunschdenken? Die Sehnsucht nach einem gütigen, allmächtigen Vater, der für uns sorgt, nach einer letzten Gerechtigkeit, nach einem Leben nach dem Tod: tröstende Illusionen angesichts einer ungerechten und gleichgültigen Welt? Wie in einem Kippbild scheint sich die Wirklichkeit insgesamt aus einer glaubenden wie aus einer religionskritischen Perspektive gleichermaßen lesen zu lassen.
Dann wird der Zweifel zur grundlegenden Anfrage. Ihn offen zu legen und anzunehmen, kann zugleich ein Instrument der konstruktiven Bearbeitung sein. Der Zweifelnde kann in der Spur der Psalmen Gott anfragen, ja anklagen dafür, dass er abwesend zu sein scheint und nicht rettend eingreift. Und er kann in der Auseinandersetzung mit der Religionskritik zugestehen, dass möglicherweise keine der beiden Seiten in diesem Konflikt über unwiderlegliche Beweise verfügt. Dem Wagnis, sich auf eine der beiden Seiten zu stellen, entkommt man nie. Ob man sich auf den Glauben neu oder weiterhin einlässt, ist dann nicht nur eine Frage theoretischer Argumentation. Biographische Prägungen, Erfahrungen und das Zeugnis anderer können hier eine entscheidende Rolle spielen.
Zweifel als Krise des Gottesverhältnisses und der Bezeugung
Als eine Art "Gottesbeziehungskrise" tritt der Zweifel auf, wenn das Gottesverhältnis im Mittelpunkt steht. Möglicherweise verbindet sich diese Krise mit der genannten Frage nach dem Leid, jedenfalls wird sie nicht selten die Gestalt der Erfahrung des Schweigens und der Abwesenheit Gottes annehmen.
Ähnlich wie bei der "Bescheidenheit des Erkennens" sind Nachterfahrungen des Glaubens jedoch nicht zwingend mit Zweifel im Sinn einer Infragestellung verbunden. Eine lange geistliche Tradition deutet sie als Reinigungsprozesse, die zwar schmerzhaft sind, aber von Gott initiiert und geführt. Auf diese Führung kann man sich in der Dunkelheit des Glaubens vertrauend verlassen.
Religiöser Glaube und Zweifel haben also längst nicht nur mit der Nachvollziehbarkeit von Aussagen zu tun. Das zeigt sich auch dann, wenn der Zweifel sich auf die Zeugnisse richtet, in denen uns der Glaube entgegentritt. Im Unterschied zu einer reinen Sachinformation ist bei einem Zeugnis nicht nur bedeutsam, was bezeugt wird, sondern auch, wer und wie es bezeugt. So kann das Zeugnis fragwürdig werden, wenn die Zeugen es sind, wenn ihr Leben zu ihren Worten in Widerspruch steht. Dann gibt das Zeugnis Anlass zum Zweifel: daran, dass der Glaube wirklich zum Leben in Fülle führt (Joh 10,10) oder dass Gottes Geist in diesen Zeugen und ihrer Gemeinschaft tatsächlich gegenwärtig ist. Diese "Krise der Bezeugung" zieht einen langen Schatten durch die Geschichte des Christentums und dürfte auch aktuell eine der schwersten Infragestellungen des Glaubens sein.
Den Zweifel gibt es nicht
Diese Vorstellung einiger Gesichter des Zweifels ist nicht nur unvollständig, die einzelnen Gestalten sind auch nicht scharf voneinander abgegrenzt. Jedenfalls kann Zweifel im Blick auf den Glauben recht verschieden auftreten: eher als ein aktives Infragestellen oder als ein passives Widerfahrnis der Verunsicherung; als eine intellektuelle Auseinandersetzung oder eine Krise des Gottesverhältnisses; als eine Vertiefung des Glaubens über seine kritische Reflexion oder eine Erschütterung seiner Grundfesten.
Je nachdem unterscheiden sich auch der Umgang mit dem Zweifel und seine Bewertung. Noch weitergehend kann man sogar sagen: Zweifel "gibt" es nicht wie Autos oder Kaffeetassen. Er existiert nicht unabhängig davon, dass wir etwas als Zweifel deuten. Und diese Deutung kann sich im Lauf der Zeit ändern. Möglicherweise verstehen wir etwas, das wir zunächst als existenzielle Krise erlebt haben, später als einen Wachstumsprozess. Oder wir kommen umgekehrt zu der Einsicht, dass die Krise, in der wir stecken, keine der Reinigung unseres Glaubens ist, sondern dass wir schlicht nicht mehr glauben können.
Zweifel und Glaube: kein Nullsummenspiel
Noch in einer weiteren Weise "gibt" es Zweifel und Glaube nicht, nämlich nicht so, dass sie gewissermaßen räumlich ausgedehnt wären und sich deshalb wechselseitig verdrängten, so das gälte: je mehr Zweifel, desto weniger Glaube und umgekehrt. Auch hier sind die Verhältnisse vielgestaltiger. Man kann das an Menschen wie Mutter Teresa von Kalkutta sehen, die den größten Teil ihres Ordenslebens an Zweifeln litt. Und umgekehrt sind andere nicht deswegen vom Zweifel wenig berührt, weil ihr Glaube unerschütterlich wäre, sondern weil er für sie kaum relevant ist. Ein "starker Glaube" ist also nicht zwingend ein zweifelsfreier. Möglicherweise zeigt der Zweifel, der mich umtreibt, gerade an, dass mein Glaube für mich von Bedeutung ist.
Der Zweifel: Feind oder Freund des Glaubens? Es lohnt sich, diese Frage nicht allzu schnell und einfach in die eine oder andere Richtung zu beantworten. Ein gewisser, zweifelsfreier Glaube muss nicht naiv oder engstirnig sein. Hier gilt für den Glauben dasselbe wie für andere feste Überzeugungen oder stabile Vertrauensbeziehungen. Zugleich ist der Glaube heute in der Regel stärker von außen angefragt. Und er ist ein individueller, lebenslanger Prozess. "Individuell" heißt dabei keineswegs "alleine": Glaubenszeugnisse – gegenwärtige wie vergangene – und die Weggemeinschaft der Glaubenden können in diesem Prozess eine entscheidende Rolle spielen. Eine Form von Gewissheit mag sich dann "im Gehen des Weges" einstellen, aber vielleicht keine endgültige, unerschütterliche Stabilität. Der Zweifel bleibt unser Zeitgenosse.