Standpunkt

Die Kirche braucht andere Begriffe für soziale Beziehungen

Veröffentlicht am 09.07.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Der Priester als "väterlicher Freund"? In der Kirche gibt es noch zu viele Familienmetaphern, findet Christoph Paul Hartmann. Diese sollten überdacht werden, denn sie geben sozialen Beziehungen einen toxischen Beigeschmack.

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Der Fall des Schönstatt-Gründers Josef Kentenich lässt nicht zuletzt wegen seines Vokabulars tief blicken: Da gab es das "Vaterprinzip", Kentenich sagte laut dem Brief einer Ordensschwester mit Blick auf sexuelle Übergriffe: "Väter dürfen das tun." Schönstatt ist kein Einzelfall: In der Kirche wimmelt es beispielsweise von "väterlichen Freunden", selbst heutzutage fällt der Begriff noch mit einiger Regelmäßigkeit. Diese Familienmetaphern für soziale Beziehungen sind ein Problem.

Ein Vater hat gegenüber seinen Kindern sehr weitreichende Kompetenzen: Das in der Regel auf Liebe gegründete Verhältnis ist immer auch durch ein Machtgefälle und Unterordnung geprägt – am Ende hat der Vater (oder natürlich die Mutter) das letzte Wort. Nicht umsonst machen Kinder mit der Pubertät einen langwierigen Prozess durch, in dem sie sich von ihren Eltern in einem gewissen Umfang emanzipieren. Doch selbst im Erwachsenenalter lassen sich oft noch Spuren dieses Gefälles erkennen.

Außerhalb der Kernfamilie in diesen Bildern zu sprechen, bekommt deshalb einen toxischen Beigeschmack. Wer die väterliche Rolle einnimmt, bekommt damit beinahe selbstverständlich auch die Macht und das Recht auf Unterordnung übertragen. Das ist einer Beziehung zwischen zwei unabhängigen, selbstbestimmten Menschen nicht angemessen – und öffnet sowohl geistlichem wie auch sexuellem Missbrauch Tor und Tür.

Diese Familienmetaphern sind in der Kirche leider noch häufig anzutreffen – in den geistlichen Gemeinschaften ebenso wie in Orden oder den Pfarreien. Sie sollten schnellstmöglich überdacht werden. Warum muss es ein "väterlicher Freund" sein? Warum nicht einfach ein Freund oder Mentor, mit dem man sich gut versteht und von dem man noch was lernen kann? Wozu dieser unnötige und gefährliche Familienbezug? In anderen Zusammenhängen ernten "väterliche Ratschläge" schon längst allenfalls rollende Augen. Hier hat die Kirche Nachholbedarf.

Sie braucht ein anderes, konkretes Vokabular für soziale Beziehungen. Es gibt nicht mehr nur die Familie; Menschen sind heute Freunde, Kollegen, Ratgeber, Spezialisten und vieles mehr. Wertschätzung funktioniert auch ohne eine zumindest potenziell problematische übermäßige Aufladung des Miteinanders.

Von Christoph Paul Hartmann

Der Autor

Christoph Paul Hartmann ist Redakteur bei katholisch.de.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.