Sternberg: "Ich bedauere wirklich jeden Kirchenaustritt"
Beim Synodalen Weg soll es um die Zukunft der Kirche in Deutschland gehen. Anfang des Jahres fand die erste Synodalversammlung statt – dann kam Corona. Jetzt wollen die Bischöfe und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) die Initiative wieder mit mehr Leben füllen. Am Wochenende traf sich das Forum zu Machtfragen zu einer ersten Sitzung. Im Interview spricht Zdk-Präsident Thomas Sternberg darüber, wie es mit dem Synodalen Weg jetzt weitergehen sollte und sagt auch, warum man die Rassismus-Debatte aus den USA nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen kann.
Frage: Herr Sternberg, eigentlich hätte Anfang September in Frankfurt die zweite Vollversammlung des Synodalen Wegs stattfinden sollen. Das wird nun nicht passieren. Warum?
Sternberg: Seit Aschermittwoch dieses Jahres leben wir in einer neuen Zeit. Angesichts der Corona-Pandemie mussten wir feststellen, dass wir an dem vorgesehenen Termin keine Synodalversammlung mit 230 Teilnehmern und Gästen durchführen können. Selbst in einer Frankfurter Messehalle wäre das nicht möglich gewesen. Gleichzeitig war klar: Ein solches Treffen wollen wir nicht als reine Videokonferenz abhalten. Beim Auftakt in Frankfurt haben wir gemerkt, wie wichtig gerade der persönliche Austausch ist, unabhängig davon, welche Weihestufe, welches Geschlecht, welche Rolle man in der Kirche hat.
Frage: Was aber können und sollen die stattdessen anberaumten fünf Regionalkonferenzen bringen? In der Satzung des Synodalen Wegs sind sie nicht vorgesehen.
Sternberg: Anders als manche vielleicht meinen, geht es nicht um die Verhandlung bereits fester Positionen. Es gibt den erklärten Willen, die Themen gemeinsam zu diskutieren und Lösungen zu finden sowohl aufseiten der Laien als auch der Bischöfe. Die Positionen sind keineswegs so unverrückbar, wie sie scheinen mögen. Die Foren können bei dieser Gelegenheit erste Ergebnisse ihrer Arbeit in die Synodalversammlung rückkoppeln und zur Diskussion stellen. Und schließlich müssen wir unsere Texte im Licht der Corona-Pandemie und ihrer Auswirkungen auf Gesellschaft und Kirche lesen.
Frage: Bleibt das nicht alles sehr unverbindlich?
Sternberg: Beschlüsse werden wir keine fassen können, aber die Befassung aller 230 Synodalen mit dem, was in den vier Foren diskutiert wird, ist ein wichtiger Schritt. Ob das auch in einer Erklärung des Präsidiums zusammengefasst werden kann, ist noch offen.
Frage: Unterdessen hat der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp seinen Rückzug aus dem Forum zur Sexualmoral bekanntgegeben. Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer forderte mit Verweis auf die Satzung eine Absage der Regionalkonferenzen. Täuscht der Eindruck, oder haben Sie die Kritiker aus dem Rheinland und aus Bayern bereits auf der ersten Wegstrecke verloren?
Sternberg: Das sehe ich überhaupt nicht so. Auffällig ist doch vor allem eines: Die Zahl der grundsätzlichen Kritiker ist nicht größer geworden. Die positive Einstellung zum Synodalen Weg, sowohl unter den deutschen Bischöfen als auch unter den Laien, die gute Stimmung vom Auftakt in Frankfurt, sind geblieben. Und was den Kölner Weihbischof anbelangt, muss ich sagen: Wenn jemand der Meinung ist, dass es keinen Veränderungsbedarf gibt, dann ist es besser, seine Mitarbeit in einem Forum zur Erarbeitung neuer Lösungen zu beenden. Er scheidet ja nicht aus der Synodalversammlung aus.
„Und was den Kölner Weihbischof anbelangt, muss ich sagen: Wenn jemand der Meinung ist, dass es keinen Veränderungsbedarf gibt, dann ist es besser, seine Mitarbeit in einem Forum zur Erarbeitung neuer Lösungen zu beenden.“
Frage: Das könnte er qua Satzung auch gar nicht, oder?
Sternberg: Ich weiß nicht, was dann passieren würde, aber einen Willen zum Boykott habe ich auch noch nirgends wahrgenommen.
Frage: Die Kirchensteuereinnahmen werden zurückgehen. Wo kann Ihrer Ansicht nach gespart werden, wo eher nicht?
Sternberg: Sparpotenziale sehe ich vor allem bei den bischöflichen Verwaltungen. Es sollten wieder mehr Kompetenzen in die Pfarreien zurück verlagert werden, damit die Menschen auch wissen, wofür ihr Geld eingesetzt wird. Subsidiarität ist nicht teurer als Zentralismus. Auch beim Immobilienbesitz werden wir überlegen müssen, ob wir uns das weiter leisten können.
Frage: Nicht sparen ...
Sternberg: ... sollte man meines Erachtens nach bei den Themen Erziehung, Bildung, internationale Zusammenarbeit. Da sind wir mitten in unseren kirchlichen Grundaufträgen: Gottesdienst, Caritas und Glaubensverkündigung - alle drei Felder müssen die Leitlinien unseres Engagements sein.
Frage: Was ist ihnen durch den Kopf gegangen, als sie die jüngsten Mitgliederzahlen der beiden großen Kirchen gesehen haben?
Sternberg: Ich hatte das befürchtet, sehe es zugleich mit ganz großer Sorge. Ich bedaure jeden Austritt, auch weil inzwischen Leute die Kirche verlassen, die lange Jahre zu ihr gehört haben, aber ihr jetzt den Rücken kehren, weil sie über Reformstau und Anderes verärgert sind und weil sie der Kirche nicht mehr vertrauen. Das ist ja einer der Gründe, warum wir uns auf den Synodalen Weg begeben haben.
Frage: Rassismus ist derzeit ein großes Thema in der öffentlichen Debatte. Was denkt der Politiker und Theologe Sternberg über die Idee, den Begriff der Rasse aus dem Grundgesetz zu streichen?
Sternberg: Es ist eine wichtige Debatte, die da geführt wird. Der Kampf gegen Rassismus wird aber nicht dadurch gewonnen, indem man die Begriffe "Rasse" oder "Rassismus" streicht. Mit Blick auf das Grundgesetz könnte man sich vielleicht auf eine Formulierung einigen, wonach niemand aufgrund seines Aussehens benachteiligt werden darf. Allerdings sollten wir die in den USA geführte Debatte auch nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen.
Frage: Wie meinen Sie das?
Sternberg: Sicher ist auch hierzulande im Umgang mit nicht-weißen Menschen keineswegs alles gut. Aber wir haben in Deutschland dieses Problem nicht in gleichem Maße wie in den USA. Dafür haben wir hier andere spezifische Ausgrenzungen, vor allem von Muslimen und arabisch aussehenden Menschen, aber auch Antisemitismus. Darüber wird in der Übertragung der amerikanischen Debatten zu wenig geredet.
Frage: Spiegeln kirchliche Gremien die Pluralität der Gesellschaft angemessen wider oder sitzen beispielsweise im ZdK nur alte, weiße Männer?
Sternberg: Erstens mag ich schon diesen Begriff "alte, weiße Männer" nicht. Zweitens stimmt es schlicht nicht, dass diese Gruppe beim ZdK oder in anderen Gremien vorherrscht. Da treffen selbstverständlich Frauen und Männer aller Altersstufen zusammen. Die Gemeindearbeit hat längst ein weibliches Gesicht und Priester aus Indien oder Afrika sind inzwischen zu einem vertrauten Anblick geworden.
Frage: Stichwort Priester – hier haben die Bischöfe unlängst Überlegungen öffentlich gemacht, die Ausbildung auf wenige Orte zu konzentrieren. Begründet wird das mit der geringen Zahl von Priesteramtskandidaten.
Sternberg: Die Veröffentlichung und der Veröffentlichungszeitpunkt haben mich erstaunt.
Frage: Warum?
Sternberg: Die Ausbildung der Priester gehört zu einer der zentralen Fragen des Synodalen Wegs. Will die Bischofskonferenz hier etwas vorwegnehmen und einer Debatte in der Synodalversammlung entziehen? Dafür hätte ich kein Verständnis. Ein Theologiestudium mit dem Ziel der Priesterweihe wird durch die immer stärkere Überhöhung des Amtes bereits in den ersten Semestern zur immer exotischeren Studien- und Berufswahl.
Frage: Das Problem eines steten Rückgangs bei der Zahl der Priesteramtskandidaten existiert aber doch schon länger. Ist es nicht sinnvoll, allmählich zu handeln?
Sternberg: Zur Priesterausbildung gehört die Theologie als Wissenschaft. Die findet bei uns an Universitäten statt und ist durch Verträge, Konkordate, geregelt. Ich warne sehr davor, dieses System der katholischen Fakultäten in Deutschland dadurch zu gefährden, indem man jetzt Planspiele für eine Konzentration des Studiums der Priesteramtskandidaten anstellt, die alle anderen Standorte der katholischen Theologie massiv bedrohen werden.