Verbandsleiterin der GCL-MF über People of Color in den Nachwuchsorganisationen

Priya George: Kirchliche Jugendverbände sind nicht frei von Rassismus

Veröffentlicht am 13.07.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Werden People of Color in den kirchlichen Jugendverbänden ausreichend repräsentiert? Priya George, Verbandsleiterin der GCL-MF mit indischen Wurzeln, spricht im Interview über strukturelle Hürden, den Umgang der Organisationen mit dem Thema Rassismus und über eigene Erfahrungen mit Diskriminierung.

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Die "Black Lives Matter"-Debatte hat auch die Kirche in Deutschland erreicht. Kritiker bemängeln, dass in den Gremien und Verbänden People of Color trotz ihres zunehmenden Anteils an der Katholikenzahl unterrepräsentiert seien – gerade in den Vorstandspositionen. Dass sie vertreten sind, zeigt Priya George. Sie ist eine der Verbandsleiterinnen der Jugendorganisation "Gemeinschaft Christlichen Lebens – Mädchen und Frauen" (GCL-MF), eines Mitgliedsverbands im Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). Die 24-Jährige wurde in Indien geboren und als kleines Kind von einem deutschen katholischen Paar adoptiert. Sie findet, dass die kirchlichen Jugendverbände das Thema Rassismus noch besser in den Vordergrund stellen müssten – und plädiert für die Revision der etablierten Strukturen.

Frage: Frau George, der Kölner Priester Regamy Thillainathan warf kürzlich die Frage auf, warum es in den kirchlichen Gremien kaum People of Color gebe, obwohl ein Viertel aller Katholiken in Deutschland einen weltkirchlichen Hintergrund habe. Hat er mit dieser Beobachtung Recht – zumindest, was die Jugendverbände betrifft?

George: Genaue Zahlen, wie viele People of Color insgesamt in den kirchlichen Jugendverbänden aktiv sind, kann ich nicht nennen. Aber in den Verbänden des BDKJ sind schon einige vertreten – auch in Vorstandspositionen. Das gilt für die Bundesebene genauso wie für die Diözesanebene. Natürlich wird das Verhältnis in der Bevölkerung nicht eins zu eins abgebildet, aber wir Jugendverbände bemühen uns, offen zu sein und allen jungen Menschen Raum zu bieten – unabhängig von ihrer Hautfarbe.

Frage: Aber dennoch scheint es Hürden zu geben, sonst würde sich dieses Verhältnis in den kirchlichen Jugendverbänden doch besser spiegeln…

George: Jugendverbände sind nicht frei von Rassismus, das ist klar. Es gibt auch bei uns Strukturen, die eine Hürde darstellen. Die Jugendverbände der Gemeinschaft Christlichen Lebens sind vorwiegend an Gymnasien organisiert. Da sind People of Color ja oftmals auch unterrepräsentiert. Es spielt sicher auch eine Rolle, dass auf der Ortsebene die Leiterinnen oder Leiter die nachfolgende Generation wählen. Da ist es dann möglicherweise nicht so leicht zu partizipieren, wenn man in irgendeiner Form anders ist. Manchmal fehlt es in Jugendverbänden an der Reflexion der eigenen Strukturen, weil sich die einfach etabliert haben. Damit werden wir uns demnächst sicher auseinandersetzen, weil wir wollen, dass alle sich bei uns engagieren können und mögliche Hürden abgebaut werden.

Frage: Werden in den katholischen Jugendverbänden die Anliegen der People of Color aus Ihrer Sicht bislang genügend repräsentiert?

George: Ich würde nicht grundsätzlich sagen, dass People of Color andere Anliegen als weiße Menschen haben. Aber ich möchte mich beispielsweise gerne chancengleich entwickeln dürfen und einen diskriminierungsfreien Alltag erleben. Da dies in Jugendverbänden passiert beziehungsweise die Bereitschaft dafür da ist, fühle ich mich in diesem Umfeld verstanden und erfahre Unterstützung.

Priya George
Bild: ©J-GCL

Priya George ist ehrenamtliche Verbandsleiert der GCL-MF.

Frage: Was würde in der Verbandsarbeit fehlen, wenn sich keine People of Color einbrächten?

George: Aus meiner Sicht würde vor allem eine Vielfalt an Meinungen und Themen fehlen. People of Color bringen oftmals aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen mit Diskriminierung und Rassismus viel Empathie und ein besonderes Verständnis für andere Perspektiven und die Herausforderungen von Minderheiten und benachteiligten Gruppen mit.

Frage: Wenn Sie in Ihrem Jugendverband unterwegs sind: Spüren Sie da manchmal, dass die Menschen anders auf Sie schauen?

George: Ich habe hier und da schon manche Vorbehalte erlebt, allerdings nicht im Kontext des Jugendverbands. Manchmal kommt es vor, dass Leute einen unpassenden Kommentar machen. Ich wurde auch schon mal auf der Straße rassistisch beleidigt. Was mir übrigens aufgefallen ist: Kinder gehen entspannter und ungezwungener damit um, wenn sie eine Person treffen, die "anders" aussieht. Sie sind immer relativ interessiert und fragen nach, warum meine Hautfarbe anders ist, und wollen das erklärt bekommen. Sie setzen sich offen und vorurteilsfrei damit auseinander.

Frage: Wie wird in Ihrem Verband über das Thema Rassismus diskutiert? Gibt es da in manchen Fragen auch mal andere Meinungen?

George: Bei einer Tagung wurde einmal diskutiert, wie das denn mit der Frage sei, wo jemand "wirklich" herkomme. Zwei junge Männer haben dabei gesagt, dass sie auf ihr Recht bestehen, allen Personen diese Frage stellen zu dürfen. Damit zeige man schließlich Interesse an der Person. Die meisten in der Runde fanden das ziemlich verwunderlich, dass Leute das als ihr Recht ansehen, so eine persönliche Frage zu stellen. Gerade bei Dunkelhäutigen, die diese Frage deutlich häufiger gestellt bekommen, wird dadurch unterstellt, dass sie nicht deutsch sein können. Dabei sind sie oftmals hier geboren und leben teilweise schon mindestens in der dritten Generation hier. Oder in meinem Fall: Ich bin zwar in Indien geboren, bin aber in Deutschland in einer weißen Familie aufgewachsen. Ich habe überhaupt keinen Kontakt zu meiner indischen Familie. Die Frage, woher man "wirklich" kommt, ist in der Regel zwar nie böse gemeint, aber trotzdem manchmal unangebracht.

Frage: Wenn sich Jugendverbände insgesamt mit dem Thema Rassismus auseinandersetzen – stimmt da auch die Perspektive? Immerhin wird da über Erfahrungen gesprochen, die die meisten Mitglieder noch nie gemacht haben.

George: Natürlich machen die meisten Jugendlichen glücklicherweise keine rassistischen Erfahrungen. Und in einem mehrheitlich weißen Verband kann man sicher auch nicht erwarten, dass sich die Leute tagtäglich darüber Gedanken machen. Mir ist vor allem wichtig, dass sie versuchen, rassistische Strukturen zu verstehen, dass sie lernen, rassistisches Verhalten aufzuzeigen, und sich an die Seite der Betroffenen stellen. Der BDKJ und seine Mitgliedsverbände setzen sich für Demokratie, Vielfalt, Gerechtigkeit und eine offene Gesellschaft ein. Dabei geht es viel um Minderheitenrechte und Unterstützung von benachteiligten Gruppen. Da passiert schon sehr viel, was in die richtige Richtung geht. Das einzige, was noch fehlt und ein nächster Schritt sein könnte, ist eine explizite Auseinandersetzung mit Rassismus. Beim Thema Prävention von sexuellem Missbrauch sind Jugendverbände sehr stark – vielleicht kann man ein ähnliches Konzept auf das Thema Rassismus übertragen und in Zukunft etablieren.

„Gerade bei Dunkelhäutigen, die diese Frage deutlich häufiger gestellt bekommen, wird dadurch unterstellt, dass sie nicht deutsch sein können. Dabei sind sie oftmals hier geboren und leben teilweise schon mindestens in der dritten Generation hier.“

—  Zitat: Priya George zur Debatte über Frage, wo jemand "wirklich" herkomme.

Frage: Wie könnte das genau aussehen?

George: Da gibt es viele Möglichkeiten, die schrittweise umgesetzt werden können. Das Ganze ist ja ein Prozess. Zunächst einmal könnte man methodisch rassistisches Verhalten und Strukturen erlebbar machen. Hierzu gibt es sehr viel Material. Ein nächster Schritt könnte sein, mit betroffenen Personen ins Gespräch zu kommen oder auf andere Erfahrungsberichte zurückzugreifen. Nach dieser Sensibilisierung gilt es schließlich zu lernen, wie man sich in Situationen, in denen eine Person Rassismus erfährt, richtig und solidarisch verhält. Ein Beispiel: Der BDKJ bietet bereits ein Argumentationstraining gegen Stammtisch-Parolen an.

Frage: Diesen Prozess, den Sie da skizzieren, ist ja vor allem ein interner. Was könnten die Jungendverbände nach außen tun?

George: Man könnte das Gespräch mit anderen Jugendverbänden suchen, die nicht katholisch, sondern beispielsweise muslimisch oder jüdisch sind, und mit ihnen zusammenarbeiten. Das sollte nicht unbedingt zum Thema Rassismus sein. So wäre es leichter möglich, sich bei unterschiedlichen und nicht ganz so schweren Themen kennenzulernen und auszutauschen. Dadurch könnten sich Kooperationen etablieren. Der BDKJ tut dies schon im Bereich internationale Jugendarbeit, zum Beispiel gibt es Kooperationen mit Israel und der Ukraine sowie das Förderprogramm "Go East".

Frage: Was ist aus Ihrer Sicht grundsätzlich die beste Prävention gegen Rassismus jeglicher Art?

George: Es gibt zwei Dinge, die jede und jeder tun kann: Zum einen sollten nicht von Rassismus betroffene Personen People of Color zuhören und ihre Rassismus-Erfahrungen ernst nehmen. Dabei ist es wichtig, diese Aussagen nicht infrage zu stellen oder zu versuchen, diese zu relativieren. Zum anderen ist es ganz wichtig, eigene Vorurteile zu reflektieren. Ein Beispiel: Viele glauben, dass alle Menschen, die aus Afrika kommen, arm sind. Deshalb werden Menschen, die vom afrikanischen Kontinent kommen oder afrikanisch aussehen, oft anders betrachtet – selbst, wenn man sich nicht für rassistisch hält. Gerade bei diesem Vorurteil ist es aber wichtig, sich bewusst zu sein, dass afrikanische Staaten es um ein Vielfaches schwerer haben, da Europa diese systematisch ausbeutet, sowohl in der Vergangenheit als auch heute. So rückt das Vorurteil in ein ganz anderes Licht. Niemand ist perfekt und frei von Rassismen. Jede Person muss ihr eigenes Verhalten kritisch hinterfragen. Das ist sicher ein langer Prozess. Aber wenn die Menschen offen und bereit sind, dazuzulernen, kann er gelingen.

Von Matthias Altmann

Zur Person

Priya George (24) studiert Politikwissenschaft und Öffentliches Recht in Erlangen. Seit 2015 ist sie ehrenamtliche Verbandsleiterin der Gemeinschaft Christlichen Lebens – Mädchen und Frauen (GCL-MF). Zusätzlich ist sie Schatzmeistern beim Verein "United Nations Society Nuremberg", der sich für sogenannte "Model United Nations", eine UN-Simulation für Schüler, sowie politische Bildung im Bereich "Internationale Politik" an Schulen und Universitäten um Raum Nürnberg einsetzt.