Pater Brown: Ein unscheinbarer Detektiv in Soutane
Es ist eine nicht festgeschriebene, aber doch seit vielen Jahren bestehende Tradition: Jedes Jahr zu Ostern und Weihnachten lassen die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender die Verfilmungen der Detektiverzählungen um Pater Brown mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle über den Bildschirm flimmern. Die beiden Schwarz-Weiß-Klassiker aus den Jahren 1960 ("Das schwarze Schaf") und 1962 ("Er kann's nicht lassen") wurden fürs Kino gedreht und waren auf Anhieb ein Publikumserfolg. Dafür verantwortlich ist wohl vor allem die Besetzung der geistlichen Hauptfigur mit dem bis heute sehr beliebten Schauspieler Rühmann.
Doch auch die eingängige Filmmusik von Martin Böttcher und die humorvollen Szenen und Dialoge haben ihr übriges zur Popularität der Pater-Brown-Filme hinzugetan. Während ein Soutane tragender Priester bei einer Verfolgungsfahrt auf einem Roller noch heute Schmunzeln hervorruft, war diese beliebte Szene des zweiten Films für die Zuschauer in den 60er-Jahren wohl auch eine Provokation in Richtung der Kirche – besonders da sie von den Verbrechern, die den Geistlichen verfolgen, mit einem schnoddrigen "Der Pater fährt wie der Teufel" kommentiert wird.
Anrede "Pater" ist ungenau
Dabei haben die Pater-Brown-Filme mit den Detektiverzählungen des englischen Autors Gilbert Keith Chesterton, die ihnen als Vorlage dienen, nur wenig gemein. Der Journalist und Schriftsteller veröffentlichte vor 110 Jahren, am 23. Juli 1910, seine erste Geschichte über den Kriminalfälle lösenden katholischen Geistlichen "Father Brown". Dass sich in den deutschen Übersetzungen die Anrede "Pater" durchgesetzt hat, ist auf eine Ungenauigkeit zurückzuführen: Während im Englischen alle Priester mit "Father" angeredet werden, führen im deutschen Sprachraum nur Ordenspriester die Bezeichnung "Pater". Der Diözesangeistliche Brown müsste also eher mit "Hochwürden" angesprochen werden. Aktuelle Übersetzungen lassen "Father" daher oft unübersetzt stehen.
In den mehr als 50 Erzählungen beschreibt Chesterton seinen Protagonisten Pater Brown als eine Art Anti-Held: Brown ist eine unansehnliche Erscheinung, da er klein und schmächtig ist sowie einen großen Kopf und ein rundes Gesicht besitzt, das ihn einfältig wirken lässt. Seine Gegenspieler sehen in ihm daher meist keine Gefahr. Als katholischer Priester ist er in England ein gesellschaftlicher Außenseiter, der im Konflikt mit der "Church of England", der anglikanischen Staatskirche, steht. Zudem spielen die Geschichten um den Geistlichen an verschiedenen Orten Englands und in aller Welt; die Verwurzelung in einer bestimmten Stadt oder Region fehlt als Charakteristikum Browns.
Das Interesse des Priesters an der Aufklärung von Verbrechen speist sich nicht aus einem Streben nach Gerechtigkeit oder Geltungsdrang, wie bei vielen anderen Detektiven der Kriminalliteratur jener Zeit. Vielmehr sieht Brown im Täter vor allem einen sündigen Menschen, in den er sich hineinfühlen und -denken kann, für den er Verständnis aufbringt. Er ist im Auftrag Gottes unterwegs und nutzt seine psychologischen Erfahrungen als Beichtvater: Der Priester stellt sich vor, wie ein Verbrechen ausgeführt wurde, begeht es in Gedanken gleichsam selbst und weiß nach eigener Angabe schließlich, wer der Täter ist, da er so fühlt wie dieser. Der Geistliche geht intuitiv bei der Lösung eines Falls vor und verfolgt damit einen ganz anderen Ansatz als der berühmte Sherlock Holmes, der 1886 vom Schriftsteller und Arzt Arthur Conan Doyle erschaffen wurde. Holmes geht deduktiv vor und wird als genialer Denker charakterisiert – Brown ist das genaue Gegenteil.
In den Erzählungen um Pater Brown verarbeitete der streitbare Essayist Chesterton, der für seine ungewöhnliche Denkweise und polarisierenden Aussagen bekannt war, seine Faszination für die katholische Kirche. Aus einer anglikanischen Familie kommend, die dem Unitarismus nahestand, entfernte er sich in jungen Jahren vom Christentum. Religiös interessiert experimentierte er mit okkulten Praktiken, wie Ouija. Später wandte er sich dem christlichen Glauben wieder zu und konvertierte 1922 zum Katholizismus. Der Priester John O‘Connor, der ihn bei diesem viele Jahre dauernden Prozess begleitete, diente Chesterton als Vorbild für Pater Brown. Gerade in konservativen katholischen Kreisen wird der Konvertit verehrt, der nach seinem Tod von Papst Pius XI. mit dem Titel "Fidei defensor" (Verteidiger des Glaubens) geehrt wurde. Die angestrebte Seligsprechung konnte jedoch nicht zum Ende geführt werden.
Stoff wurde häufig verfilmt
Waren die ersten Erzählungen um Pater Brown noch von einer scharfsinnigen und ungewöhnlichen Handlung geprägt, nahm die Qualität der späteren Geschichten ab. Chesterton neigte zunehmend zu religiösem Propagandismus, der in den Erzählungen Andersgläubige oder Atheisten als Kriminelle entlarvte. Außerdem gab der Autor zu, viele der Geschichten aus rein finanziellen Gründen geschrieben zu haben. Doch gleichzeitig zählt Chesterton wohl zu den philosophischsten der klassischen Kriminalschriftsteller: Immer wieder finden sich Anspielungen auf Denk- und religiöse Traditionen in den Pater-Brown-Storys. In seiner ersten Erzählung lässt er den stets unscheinbaren Detektiv etwa den markanten Satz sagen: "Die Vernunft anzugreifen ist schlechte Theologie".
Bis heute fasziniert die Figur des kriminalistisch ermittelnden Priesters in Soutane, was zu zahlreichen Verfilmungen des Stoffs geführt hat. In Deutschland ist neben den Rühmann-Filmen aus den 60er- Jahren vor allem die Fernseh-Reihe Pfarrer Braun zu nennen, in der Pater Brown vom bayerischen Kabarettisten Ottfried Fischer interpretiert wurde. Den Tiefgang der Detektivgeschichten von Chesterton haben diese seichten und klamaukigen TV-Filme zwar verloren, dennoch sind sie von einer realistischen Darstellung der Liturgie geprägt, die im deutschen Fernsehen nicht oft zu sehen ist.