Wolfgang Bosbach: Für die Krise habe ich keine Zeit
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In der Corona-Krise ist alles anders - auch für den CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. Angesichts der Krise ist er hin- und hergerissen zwischen einer Sehnsucht nach seinem früheren Alltag und einem unerschütterlichen rheinischen Optimismus. Ein Vorbild ist seine 92-jährige Mutter.
Frage: Diese Sommer- und auch Urlaubszeit ist definitiv für uns alle anders als wir es kennen. Ob man in Deutschland Urlaub macht, der Flug gecancelt wurde oder es Ärger um das Maske-Tragen im Urlaubsort gibt. Haben Sie schon Urlaub gemacht oder noch geplant?
Wolfgang Bosbach: Ja und nein. Wir waren ein paar Tage Golfspielen mit Freunden in Italien. Der Flug wurde, wie sich das gehört, in diesen Zeiten gecancelt. Und dann sind wir mit dem Auto gefahren. Aber mit meiner ältesten Tochter möchte ich noch ein paar Tage nach Mallorca fliegen. Bis jetzt ist der Flug noch nicht gecancelt. Und mir tun die Bilder aus Mallorca unendlich leid, denn das sind ja nicht die meisten Touristen, die sich daneben benehmen. Aber die, die sich daneben benehmen, sorgen dann eben dafür, dass es neue Restriktionen gibt, die für alle gelten.
Frage: Wie gefährlich ist es, im Moment Urlaub zu machen? Sie sagen, Sie fahren trotzdem.
Bosbach: Ich passe auf, aber ich lasse mich nicht verrückt machen. Ich beachte wirklich peinlich genau alle Regeln, ob das Abstand ist, Hygiene, Mundschutz – schon, damit keiner sagen kann "Um Gottes Willen, der Bosbach, der nimmt sich Sachen heraus, die wir uns nicht herausnehmen dürfen." Da passe ich wirklich auf. Im Urlaub stürze ich mich ohnehin nicht in den Trubel. Wenn ich das haben will, kann ich zu Hause bleiben. Ich bin hochzufrieden mit einem Pool, einem Liegestuhl oder einem ruhigen Strandabschnitt. Ich nehme nicht an Massen-Besäufnissen oder anderen schrägen Veranstaltungen teil. Deswegen gehe ich mal davon aus, dass es am Ort in Mallorca nicht gefährlicher ist als hier in Bergisch Gladbach.
Frage: Und vorher sind Sie auch ins Homeoffice gegangen, verbannt worden. Da ging es Ihnen genauso wie vielen von uns. Wie war das für Sie während des sogenannten Lockdowns, den wir hier in Deutschland hatten?
Bosbach: Es war ein Drama in drei Akten. Im ersten Akt habe ich gedacht: Das ist ja nicht so schlimm, wie die Pandemie ist. Jetzt habe ich aber mal Zeit, mangels Veranstaltungen, alles das nachzuholen, was du bislang versäumt hast. Ich hatte blitzblanke Schreibtische zu Hause, in der Kanzlei und hier im Büro, in dem ich jetzt sitze, bei der CDU. Dann kam der zweite Akt. Schreibtische leer. Jetzt hast du mal ungeplant Freizeit. Ist auch nett, aber die Phase ist schnell vorbeigegangen. Ich befinde mich jetzt in der dritten Phase: Ich möchte mein altes Leben wieder zurück. Denn bei dem ganzen Trubel, den ich permanent um die Ohren habe oder um die Ohren hatte – ich hab's ja immer gerne gemacht. Das vermisse ich jetzt.
Frage: Das heißt, langweilig wurde es aber nie …
Bosbach: Langweilig würde ich nicht sagen. Aber man guckt sich schon um, was man jetzt noch tun könnte. Denn Däumchen drehen ist nicht mein Ding. Und in gut hundert Tagen sind 63 Veranstaltungen von mir abgesagt worden, viele ja auch mit längeren Reisewegen verbunden. Das war natürlich ein großer Aufwand. Flüge gecancelt oder storniert, Mietwagen abbestellt, Hotel gecancelt und so. Aber das ist jetzt alles vorbei. Jetzt hoffe ich, dass wieder neue Anfragen und Einladungen kommen, wobei ich vor Ende August nichts mache. Denn was ich jetzt für diesen Zeitraum geplant hatte, ist sowieso alles wieder abgesagt.
Frage: Sie zählen ja selbst zur Risikogruppe. Sie haben gesundheitlich was am Herzen, Krebs und sind 68 geworden dieses Jahr. Wie groß war oder ist die Angst, sich mit dem Virus zu infizieren?
Bosbach: Ich habe schon mein Päckchen zu tragen, mehr wird man mir wohl nicht aufladen. Ich passe auf, aber mache mir viel mehr Gedanken um meine fast 92-jährige Mutter. Mami steht da im Mittelpunkt des familiären Interesses und nicht der Vater. Denn das ist nun wirklich ganz, ganz schlecht. Mami hat sich den Arm gebrochen, war im Krankenhaus. Wir durften sie nicht besuchen. Sie hat zu Hause eine Pflegekraft. Da ziehen wir uns zum Beispiel immer Mundschutz an. Immer vorher die Hände desinfizieren. Mama darf nichts passieren.
Frage: Welche Gedanken gehen einem da durch den Kopf, wenn die Pandemie ist und wenn man Abstand halten muss?
Bosbach: Ja, das war natürlich in der dreiwöchigen Phase im Krankenhaus sehr, sehr bitter. Gott sei Dank wohnen die Kinder in der Nähe. Das gilt für meine Schwester, die in Köln wohnt. Ich wohne ja am Ort, ich brauche zu meiner Mutter nur zehn Minuten. Aber Besuchsverbot ist Besuchsverbot. Und da haben wir uns auch dran gehalten. Das ist natürlich bitter für die Patientin.
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Bosbach: Die eine oder andere Entscheidung hätte ich mir auch früher, später oder anders vorstellen können. Aber darauf kommt es doch überhaupt nicht an. Für mich ist entscheidend der Blick in andere Länder, in vergleichbarer Situation. Und wer sich hier über die Politik beklagt – ich meine, wenn wir jetzt mal ehrlich sind, gemeckert wird immer –, aber wer sich hier über die Politik beklagt, möge bitte mal einen Blick werfen nach Großbritannien, Spanien, Italien, Brasilien, USA. Die Länder sind viel, viel stärker betroffen als wir hier in der Bundesrepublik Deutschland. Die größte Sorge war ja in dem Zeitraum März, April, dass durch eine Vielzahl von Infektionen mit schweren Verläufen unser Gesundheitssystem überlastet werden könnte. Intensivmedizinische Betreuung, Beatmungsgeräte und so weiter. Wir waren in keiner Sekunde in der Gefahr, dass das passieren könnte.
Frage: Das alles brauchen ja auch andere Länder. Wenn wir jetzt mal gucken, wie es Italien und Spanien ging, jetzt dann besonders Lateinamerika oder die USA, die hat es schwer getroffen. Bei der Diskussion damals um die Hilfspakete für Griechenland hatten Sie eine klare Meinung. Da war nach dem ersten Deal Schluss für Sie. Sehen Sie das mit den Hilfen während der Corona-Pandemie ähnlich? Müssen wir da erstmal auf Deutschland gucken?
Bosbach: Ja und nein. Deutsche Politiker sind verpflichtet, auch nach Deutschland zu gucken. Aber deutsche Politiker sind auch verpflichtet, sich in der Welt umzusehen. Und wenn es Europa nicht gut geht, geht es uns auch nicht gut. Aber dass wir jetzt diesmal unter der Überschrift Corona einen fundamentalen Systemwechsel vornehmen, ist klar. Bis jetzt galt immer über Jahrzehnte hinweg: Die Europäische Union ist eine Solidargemeinschaft. Aber als Europäische Union. Jetzt nimmt die Europäische Union erstmals in ihrer Geschichte einen riesigen Berg an Schulden auf, der auch nur zu einem kleinen Teil zurückgezahlt werden soll. Der größere Teil sind direkte Haushalts-Zuschüsse, also neben der Umverteilung in der Europäischen Union durch die Beitragszahlungen der Länder, kommt jetzt die Umverteilung durch Schuldenaufnahme dazu. Das ist genau das, was immer vermieden werden sollte. Die Europäische Union sollte eine Wirtschaftsunion sein, eine Werteunion, aber nie eine Schuldenunion.
Frage: Uns beschäftigt das ja auf jeden Fall noch weiter. Wie gucken Sie da in die Zukunft?
Bosbach: Ich bin der festen Überzeugung, auch wenn Corona langsam an Dramatik und vielleicht auch an Bedeutung verliert: Aus der Schuldenunion werden wir in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr rauskommen. Wenn man das einmal beginnt, dann wird es immer neue Begründungen geben. Staaten sind in besonders schwieriger Situation und denen muss jetzt geholfen werden, über die ja ohnehin stattfindende Umverteilung in der EU hinaus. Da kann ich mir nicht vorstellen, dass man da wieder zurückkommt zu dem ursprünglichen Gedanken: Umverteilung durch die Mitgliedsleistungen der Länder ja, aber keine Schuldenaufnahme. Ich gehe sogar davon aus, dass die Europäische Union in Kürze auf die Idee kommen wird, dass sie eigene Steuereinnahmen braucht. Auch das war nie geplant.
Frage: Haben Sie einen Vorschlag, wie man stattdessen anders damit umgehen kann oder da wieder rauskommt?
Bosbach: Nein, ich bin da völlig illusionslos. Ich habe schon in meinen fast 50 Jahren Politik so oft erlebt, dass man gesagt hat: Bis hierhin und nicht weiter, oder das kommt auf keinen Fall. Und wenige Jahre später ist es dann genau so gekommen. Das ist eine interessante Lehre der letzten Jahre: Es müssen sich ja diejenigen rechtfertigen, die bei ihrer Meinung bleiben, nicht etwa diejenigen, die ihre Meinung total ändern.
Frage: Sie haben nach wie vor Kontakt innerhalb der Politik. Aber Sie sind auch bekannt als jemand, der weiß, was bei seinen Bürgern los ist. Was haben Sie in Ihrem Umfeld so mitbekommen? Wie ist es den Menschen in der Krise ergangen?
Bosbach: Ganz unterschiedlich, je nach Betroffenheit. Es gab ja Branchen, die haben sogar von der Krise profitiert, ein kleiner Teil. Dann gab es wiederum Branchen, die Probleme hatten. Nehmen Sie mal den Handel jetzt – das läuft ja nur ganz langsam, schleppend wieder an. Und dann gab es Branchen, die fundamental getroffen waren. Kunst und Kultur: Das sind ja faktische Veranstaltungs-Verbote, die immer noch gelten. Gastronomie, Hotellerie. Da wird man nicht sagen können: Jetzt machen wir die Tür auf, das Licht an, und dann geht's weiter wie zuvor. Das wird noch größere Verwerfungen geben.
Frage: Es gab auch einige andere Punkte, wo Missstände ans Licht gekommen sind, die wir natürlich schon kannten, aber die jetzt groß geworden sind. Ich denke an die Pflege, vielleicht auch der Sport. Die Fleischindustrie jetzt ist ein großes Thema. Hat Sie das überrascht?
Bosbach: Ja und nein. Die Themen kommen immer dann wieder hoch, wenn es einen aktuellen Anlass gibt. Aber es ist in Deutschland traditionell so, dass wir die Arbeit an und mit Maschinen besser bezahlen als die Arbeit an Menschen. Das ist ja jetzt keine neue Erkenntnis. Das war traditionell immer schon so. Allerdings fehlt mir so ein bisschen die zweite Halbzeit der Wahrheit. Es gibt gute Argumente in der Pflege – Altenpflege, Krankenpflege – mehr zu bezahlen, aber auch bei der Erziehungsarbeit. Dann muss man den Menschen aber auch sagen, was das kostet, und spätestens in dieser Sekunde endet die Talkshow. Zu glauben, wir können überall mit guten Gründen und guten Argumenten die Tarife annehmen, besser bezahlen, aber das Ganze kostet nicht mehr? Nein, das wird nicht funktionieren. Dann muss man sagen, was das kostet. Und dann steige ich gerne in jede Diskussion pro und contra ein. Sie werden sich auch an keine Debatte erinnern, wo gefragt wurde: Was kostet das insgesamt für Millionen und Milliarden? Und wie soll das bezahlt werden? Diese Debatten vermisse ich.
Frage: Jetzt haben Sie gesagt, jeder hat sein Päckchen zu tragen. Sie haben auch Ihres. Wie kommen Sie da gut durch? Sie sind christlich – CDU natürlich, das C in der Partei, katholisch. Was ist da Ihr Fundament?
Bosbach: Ich halte mich in so einer Zeit an den schönen rheinischen Grundsatz: "Krise? Hab ich keine Zeit für." Solange ich mein Leben leben kann, solange ich das machen kann, was ich gerne machen würde, ist die Welt für mich in Ordnung. Trotz Herzerkrankung, trotz Krebserkrankung. Es gibt Hunderttausende, die sind wesentlich schlechter dran als ich. Natürlich grübelt man manchmal vor sich hin und man macht sich seine Gedanken: Wie geht es weiter? Aber da halte ich mich nicht lange mit auf. Auch durch die Corona-Krise: Es sind doch viele wesentlich schwerer betroffen als ich. Und warum soll ich jetzt mit meinem Schicksal hadern, wenn ich sehe, um mich herum gibt's Menschen, die viel ärmer dran sind?!
Frage: Was sagen Sie diesen Menschen? Beziehungsweise jeden, mit dem wir hier im "Himmelklar"-Podcast sprechen, fragen wir ja auch, was ihm Hoffnung gibt. Was gibt Ihnen Hoffnung in dieser Zeit, Herr Bosbach?
Bosbach: Zum einen der Satz – das klingt jetzt etwas platt, aber da ist sehr viel Wahrheit, sehr viel Sinn drin: Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand. Wir neigen natürlich dazu, immer auch das Schlechteste anzunehmen. Im Buch "Sorge dich nicht, lebe!" von Dale Carnegie gibt's den schönen Satz, den einzigen Satz, den ich mir aus dem Buch behalten habe: "Zehn Sorgen machen wir uns, neun sind unbegründet." Unser Problem ist nur: Wir wissen nicht, welches die begründete Sorge ist von den zehn. Deswegen machen wir uns um alle zehn Punkte Sorgen. Aber bei allem Kummer, den wir haben, bei allen Sorgen, die wir haben, dann guck ich mir das Leben meiner Mutter an. Was die Dame mit 92 Jahren mit Krieg und beide Brüder verloren, das Haus ausgebombt ... Was die alles erlebt und durchgestanden hat! Und wenn man dann zu Hause in der Familie darüber spricht, hebt die Mutter nur den Arm und sagt: Ach wenn ihr wüsstet, was wir alles hinter uns haben. Und sie sieht das viel gelassener, mit ihren 92 Jahren.