Kolumne: Römische Notizen

Hüpfburgen und aufblasbare Pools: Ferienfreizeit im Vatikan

Veröffentlicht am 21.07.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Rom ‐ Zum ersten Mal findet in diesen Wochen ein Sommercamp in den Vatikanischen Gärten statt. Mitten in der Corona-Krise verschaffte Papst Franziskus römischen Kindern und Jugendlichen Abwechslung – und den Eltern Entlastung. Super Idee, findet unsere Kolumnistin Gudrun Sailer, nur: Warum erst jetzt?

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Gewummer und Gelächter dringen aus der vatikanischen Audienzhalle, ortsuntypische Klänge fürwahr. Dort, wo seit den frühen 1970er Jahren Päpste in wohlgesetzten Worten Pilger und Pilgerinnen im Glauben unterweisen, ist heute Party. Statt Orgel: ein Ohrwurm aus den Boxen. Kinder kreischen durch ihren Mundschutz, eine stattliche Hüpfburg wobbelt, eine Studentin mit Mikrofon gibt aufgedreht den Ton an. Man wähnt sich im Cluburlaub, aber es ist eigentlich viel besser. Es ist die Sause nach Corona. Und das im Vatikan.

Vier Monate lang waren römische Kinder mehr oder weniger zu Hause kaserniert. Die Schulen zu seit 5. März, die Ausgangssperre eisern, erst nach und nach durfte man wieder raus, dann öffneten im Mai die Parks, ein wenig Unterricht fand weiterhin am Bildschirm statt, aber nur im besten Fall. Vier Monate Ausnahmezustand zu Hause, und römische Wohnungen sind teuer, also klein. Ich verhehle nicht: Es war fordernd.

Keine Klimaanlagen in den Schulen – Dreieinhalb Monate Ferien

Und dann die ungewissen Aussichten auf den Sommer! In Italien haben Schulkinder jedes Jahr fast dreieinhalb Monate Ferien, von Anfang Juni bis Mitte September, weil die Schulen nicht mit Klimaanlagen ausgestattet sind und es ohne leider wirklich kaum geht. Ich höre Sie fragen: Was macht man in normalen, seuchenfreien Zeiten dreieinhalb Monate mit Kindern, wenn man nicht zufällig Lehrerin oder Hausfrau ist? Easy! Man expediert sie aufs Land zu den Großeltern. Sollten solche nicht vorhanden oder willig sein, gilt es auf das diversifizierte Angebot einer Kinderbespaßungsindustrie zurückzugreifen, die sich in Zeiten immer höherer Beschäftigungsquoten von Italienerinnen zu nachvollziehbarer Blüte entwickelt hat. Abenteuerwoche in den Abruzzen. Sommerlager mit Animation, Bogenschießen und Basteln auf dem Sportplatz. Tenniscamp. Schreibwerkstatt. Für die ärgsten Pechvögel: Sammelnachhilfe unterm Gazebo auf dem Schulhof. 8 bis 16 Uhr, Zugang flexibel, Preis fix, selten unter 100 Euro pro Nase und Woche, gerne auch bedeutend mehr. Nach vier Monaten Lockdown zu Hause hätte man aber ohnehin fast jede Summe hingeblättert. Damit die Kinder mal wieder raus kommen. Und man selber zu sich. Bloß wars bis zuletzt eine Zitterpartie, ob die Sommercamps 2020 öffnen dürfen.

 Papst Franziskus lächelnd auf dem Petersplatz
Bild: ©KNA/Paul Haring/CNS photo (Archivbild)

Überrascht Papst Franziskus die Kinder des Sommercamps? Wer weiß…

Dabei ist eines festzuhalten: Die hochentwickelte italienische Kinderbespaßungsindustrie wächst aus kirchlichen, ja sogar römischen Wurzeln. Hier am Tiber entwickelte der Stadtheilige Filippo Neri im 16. Jahrhundert das Oratorium als Institution, die auch Straßenkindern Bildung, Spaß und gute Gemeinschaft bot. Ähnliches setzte im 19. Jahrhundert der große Heilige Don Bosco in Turin ins Werk. Bis heute ist Italien durchsetzt mit Oratorien. Im Alltag von Kindern und Jugendlichen spielen sie eine geringere Rolle als früher, aber sie leben, und zwar im Umkreis von Pfarreien und Ordensgemeinschaften. Oratorien bieten einen Bolzplatz, einen Gruppenraum, einen Kaplan und ein paar Freiwillige, die immer ansprechbar sind. Es sind Orte, wo Teens, eher unaufdringlich, eine religiöse Grundversorgung erfahren, vor allem aber Orte, wo sie sein dürfen.

Genau diese Idee des Oratoriums lebt im Vatikan im Corona-Krisenjahr 2020 neu auf. Und das ist so erfreulich wie erstaunlich. Wie oft haben wir working moms (und sogar dads) im Vatikan einen Betriebskindergarten im Stillen ersehnt und im Gespräch mit höheren Stellen angeregt. Konzepte wurden eingereicht, eine katholische Stiftung brachte ihr Füllhorn in Position, ein Standort war bereits gefunden, dann nahm das Projekt das Ende vieler guten Dinge. Es war nichts mehr davon zu hören. Und jetzt gleich ein Sommercamp mit richtig viel Spaß!

Überraschende Entscheidung des Papstes

Man muss wissen: Das Gros derer, die im Vatikan arbeiten, sind nicht etwa Priester und Ordensleute, sondern Laien, und zu den Privilegien der Laien zählt es bekanntlich, Kinder zu haben. Dass nun ein Papst beschloss, den Familien seiner Angestellten die Organisation ihres langen Sommers zu erleichtern, kam überraschend. So überraschend, dass die Familien es aus der Zeitung ("Il Messaggero") erfuhren und nicht per Hauspost oder über den vatikanischen Frauenverein, der weder konsultiert noch informiert wurde. Aber das nur am Rande! Wir freuen uns alle sehr über die Initiative, haben unsere Kinder umgehend angemeldet und bauen auf lange Jahre vatikanischer Sommercamps.

Blick aus den vatikanischen Gärten auf die Kuppel des Petersdoms.
Bild: ©Gabriele Höfling/katholisch.de

Ist in den vatikanischen Gärten allgegenwärtig: Die Kuppel des Petersdoms.

Und so flitzen sie tagsüber im Papststaat herum, die etwa 100 Kinder pro Woche, mit T-Shirts in einer von drei Farben, je nach Altersgruppe zwischen fünf und 14 Jahren. Aufblasbare Pools sind in heftigem Gebrauch, wohl eine Premiere im Staat der Vatikanstadt. Ein wenig Katechese ist auch eingewoben, ansonsten sportliche Wettkämpfe, alles recht straff organisiert. Auf die Beine gestellt hat das der Salesianerorden, die heutigen Mitstreiter Don Boscos. Einer von ihnen, Don Franco Fontana, ist seit letztem Jahr Kaplan der Vatikanischen Museen und der Gendarmerie. Es ist sein Verdienst, dass die Ferienwochen, die in den Museen für die Kinder der dort Beschäftigten schon etliche Jahre stattfinden, 2020 auf den ganzen Papststaat und alle seine Angestellten ausgeweitet wurden.

Bespielt werden nicht die gesamten vatikanischen Gärten, sondern im Wesentlichen zwei Orte, die Audienzhalle und ein Areal rund um den Tennisplatz, der sich von einem weniger frequentierten Flügel der Museen aus erspähen lässt. Die Audienzhalle liegt im Süden, der Tennisplatz im Norden des Staates, und von A nach B wird marschiert, weshalb letztlich doch die gesamten Gärten Kinderspielplatz sind oder zumindest so klingen, wenn die bunte Meute mit Mundschutz zwar, doch umso lauter schnatternd durchzieht. Gendarmen, residierende Monsignori und die Kollegen und Kolleginnen im Radio-Vatikan-Turm neben dem Klösterchen, in dem der emeritierte Papst Benedikt wohnt, brauchten ein paar Tage, um zu realisieren, dass hier im Wortsinn etwas Unerhörtes geschieht. Ein Paradigmenwechsel im Kleinen, ein unscheinbarer Schwenk im sonoren und sozialen Gefüge des ehrwürdigen Papststaates. So wie seinerzeit der heilige Papst Paul VI. in den 60er Jahren die vatikanischen Gärten für zahlende Besucher öffnete, so öffnet sein Nachfolger Franziskus sie für spielende Kinder. Damit hilft er ihnen und ihren Familien, seinen Angestellten, einen Schritt aus der Coronamisere heraus. Die Kosten sind mit 60 Euro moderat. Bis Ende Juli läuft das Ganze. Und dass Franziskus mal bei den Kindern vorbeischauen würde, war klar.

Von Gudrun Sailer