Protzerei oder besonderer Schmuck für das Allerheiligste?

Gold: Ein Streit um Pracht und Reduktion in der Kirche

Veröffentlicht am 18.09.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Gold: Ein Streit um Pracht und Reduktion in der Kirche
Bild: © KNA

Münster ‐ Besonders in alten Kirchen wimmelt es vor Gold – und das hat nicht zuletzt theologische Gründe. Denn Gold stand für das Göttliche und wurde als Geschenk des Himmels betrachtet – erinnerte manche aber auch verdächtig an das goldene Kalb. Die Diskussion um das wertvolle Material hält bis heute an.

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Es ist ein großes Rätsel um das Gold: Eigentlich ist es ein völlig nutzloses Metall, zu weich, um Werkzeug daraus zu machen, zu schwer, um es zu verbauen. Trotzdem übt diese gelbliche Substanz eine derart große Anziehungskraft auf Menschen aus, dass sie in allen Jahrhunderten sprichwörtlich dafür getötet haben. Schon die Inka und Azteken kannten Gold als Teil der religiösen Verehrung – und auch im Christentum spielt es eine ganz zentrale Rolle. Skulpturen, Reliquiengefäße, Monstranzen, Schreine und nicht zuletzt Kelche und Hostienschalen sind aus dem Element Au mit der Ordnungszahl 79, das Theorien zu Folge als Nebenprodukt einer Supernova entstanden ist.

Die christliche Bewertung des Goldes hängt unter anderem mit seiner Ästhetik zusammen: Durch die Reflexion des Lichts entsteht ein Glänzen und Schimmern, das schon frühe Kulturen an den Glanz der Sonne erinnert hat. Daher könnte auch der Name kommen. Der Bischof und Enzyklopädist Isidor von Sevilla (560-636) erklärt die lateinische Bezeichnung "aurum" mit dem Verweis auf "aura", was Licht oder Leuchten bedeutet. Zusammen mit seiner Seltenheit, der Beständigkeit – Gold rostet nicht – und dem großen Gewicht des Goldes – es ist etwa dreimal so schwer wie Gestein – lässt sich das Material theologisch und spirituell aufladen.

Im Mittelalter wird das Material als Geschenk des Himmels gesehen. Da es im Feuer gereinigt wird, gilt es zudem als Sinnbild für den Reinigungsprozess der menschlichen Seele. Deshalb wird es zum Material für das Heilige – etwa in Form von Reliquienschreinen und -gefäßen. "Die Reliquien sollten nur mit den kostbarsten Materialien in Berührung kommen", erklärt die Kunsthistorikerin Petra Marx, die sich mit dem Thema unter anderem in der Ausstellung "Goldene Pracht. Mittelalterliche Schatzkunst in Westfalen" 2012 im Landesmuseum in Münster beschäftigt hat. Gleiches gilt für "vasa sacra", liturgische Geräte wie Kelch und Hostienschale, die durch den Glauben an die Realpräsenz Christi in der Eucharistiefeier mit seinem Leib und Blut unmittelbar in Berührung kommen und deshalb oft aus Gold sind. "Das war ein Zeichen der Verehrung – und damit auch des Gottesdienstes im ganz sprichwörtlichen Sinne."

Gold als religiöse Tauschware

Dieser "Gottesdienst" steht in Verbindung mit einer Frömmigkeitsform des Mittelalters, die Christen der Gegenwart fremd geworden ist: "Materielle Gaben etwa an Kirchen und Klöster konnten in Gebete und Messopfer umgewandelt werden, wodurch wiederum Sündenstrafen getilgt wurden und nach dem Tod der Aufenthalt im Fegefeuer kürzer wurde", so Marx. Im Sinne eines Gabentausches konnten also gut betuchte Gläubige ihrem Platz im Himmelreich näherkommen, indem sie Ordensleute oder Priester dafür bezahlten, dass sie für die eigene Familie beteten – etwa in Form von Geschenken in Form goldener "vasa sacra". Ein anderer Aspekt dieser Frömmigkeit bestand darin, die Heiligen um die Fürsprache bei Gott zu bitten. Es wurden kostbare Reliquiare gestiftet und Kirchen reich ausgestattet, denn – so der Glaube damals – in Kirchen mit ihren Reliquien seien die entsprechenden Heiligen eher für Bitten der Gläubigen empfänglich. Zudem würden sie durch die Präsentation ihrer Gebeine in goldenen Gefäßen dazu animiert, bei Gott ein gutes Wort für deren Stifter einzulegen. Es kam zu einem regen Wallfahrtstourismus und dem Zerteilen der Gebeine, weil möglichst viele Kirchen Reliquien ihr Eigen nennen wollten – denn viel hilft viel.

Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Gebeine von Heiligen sollten nur mit dem Kostbarsten in Berühung kommen, also Gold: Hier der Godehardschrein in der Krypta im Dom zu Hildesheim.

Im Austausch für das goldene Büstenreliquiar erwartete die stiftende Person also etwas. Wenn diese Forderung nicht erfüllt wurde, konnte es auch durchaus sein, dass die Gebeine der entsprechenden Heiligen entehrt oder beschimpft wurden: Sie hatten ihren Teil des Deals nicht eingehalten. Es ging also recht handfest zu. Ebenso leisteten sich die reichen Patrizierfamilien einer Stadt einen Überbietungswettbewerb: Wer die jeweils kostbarsten und am reichsten verzierten Stücke finanzierte, erhöhte seinen Wert im Himmel wie auf Erden.

Wichtig zu erwähnen ist, dass das Gold im Zusammenhang mit dem liturgischen Gerät und den Reliquiaren immer eine dienende Funktion hat: Nicht es selbst stellt den zentralen Wert dar, sondern es verweist auf die noch wertvolleren Gebeine beziehungsweise Brot und Wein. In Form der oft abgeschlossenen Schreine hat es sogar eine transportierende Wirkung: Durch den Glanz des Goldes als Abglanz des Heiligen im Inneren soll sich dieser "Heilige Schein" zu den Gläubigen hin verbreiten – obwohl man das Innere nicht sieht.

Goldschmiede sind angesehener als Maler

Deshalb spielt auch die Verarbeitung des Goldes eine große Rolle: Goldschmiede sind zeitweise Malern und Bildhauern an gesellschaftlichem Ansehen weit überlegen, denn sie dürfen das kostbare Gut bearbeiten. Damit leisteten sie einen Gottesdienst, der der überwiegenden Mehrheit der Gesellschaft nicht möglich war. Beim Endprodukt dieser Verarbeitung kommt es dann weniger auf den reinen Materialwert an als auf die äußere Erscheinung. Denn auch reich verzierte Figuren oder Evangeliare sind in der Regel nicht aus reinem Gold, sondern vergoldet, manchmal ist es sogar nur vergoldetes Silber. Das ist aber den Zeitgenossen egal: Wichtig ist die Sichtbarkeit des Goldes und dass das entsprechende Objekt dessen Eigenschaften annimmt.

Gerade diese Eigenschaften sind es aber auch, die das Gold zu einem umstrittenen Stoff machen. So findet Abt Suger von Saint-Denis (1081-1151), heiligen Gebeinen gebühre eine Hülle aus "glänzendem Gold, in einer Fülle von Rubinen, Smaragden und anderen Edelsteinen." Dem allerdings stellt sich ab dem 12. Jahrhundert etwa die Kirchenreformbewegung entgegen. Abt Bernhard von Claivaux (1090-1153) passt beispielsweise der ganze Prunk in der Kirche überhaupt nicht: "Durch den bloßen Anblick von prunkvollen, aber erstaunlichen Eitelkeiten werden Menschen eher zum Geben als zum Beten gebracht." Er bezweifelte also die vermittelnde Wirkung des Goldes. Es finden sich in dieser Zeit auch andere Stimmen mit Bedenken: Scheinen goldene Figuren durch die Lichtreflexion nicht allzu menschlich? Ähneln sie dadurch nicht eher Götzenstatuen des Heidentums als dem goldenen Fingerzeig zum Himmel? Und was ist überhaupt mit dem Armutsgebot der Bibel? "Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich." (Mt 5,3) Nach einem Meer aus Gold klingt das nicht.

Die Kritik am Gold hat sicherlich auch damit zu tun, dass so manche Stifter mehr dazu tendiert haben, ihre eigene Macht darzustellen, anstatt zur Heiligenverehrung beizutragen. Klerus und Adel hat das jahrhundertelang aber nicht davon abgehalten, manche Kirchen regelrecht mit Gold zu überschwemmen. Gleichzeitig sind auch die Mahner nie verstummt, die sich eine auf das Wesentliche reduzierte Form des Glaubenslebens wünschen. Der Streit wird die Kirche sicher weiter begleiten – und er hat mit Papst Franziskus als Verfechter einer "armen Kirche" noch einmal an Fahrt gewonnen. Zuletzt forderte bei der Amazonas-Synode der Missionar Dario Bossi, in der Kirche auf Gold zu verzichten, weil die Suche und Gewinnung des Materials im Amazonasgebiet zu schweren Umwelt- und Gesundheitsschäden, insbesondere bei Indigenen, führe. Dem hielt der Kölner Liturgiewissenschaftler Alexander Saberschinsky entgegen: Hinter dem Gold stecke keine Protzerei, sondern " eine ganz natürliche Regung, dass man nämlich Dinge, die für einen gefühlt wertvoll sind, auch rein äußerlich wertvoll ausgestaltet". So manches Argument hat sich über die Jahrhunderte also kaum verändert.

Von Christoph Paul Hartmann