Vatikan-Instruktion zu Gemeindereformen sei "Dokument der Hilflosigkeit"

Essen: Geltendes Kirchenrecht kann Wirklichkeit nicht mehr gestalten

Veröffentlicht am 27.07.2020 um 12:10 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Vatikan-Instruktion hin oder her: Laut dem Berliner Theologen Georg Essen kann das geltende Kirchenrecht die Realität nicht mehr produktiv gestalten. Wenn es der Papst mit seinen Forderungen ernst meine, sei es an ihm, Abhilfe zu schaffen.

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Nach Ansicht des Berliner Theologen Georg Essen braucht es eine Weiterentwicklung des Kirchenrechts. Die geltende Rechtsordnung scheine nicht mehr in der Lage, "produktiv und konstruktiv Wirklichkeit zu gestalten", sagte er am Montag im Deutschlandfunk. Für Strukturreformen sei das bestehende Kirchenrecht daher nicht das geeignete Instrument.

Hintergrund von Essens Aussagen ist die vergangene Woche veröffentlichte Vatikan-Instruktion "Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche", nach der Laien von der Gemeindeleitung ausgeschlossen bleiben. Auch Bestrebungen, die Leitung von Pfarreien beispielsweise Teams aus Priestern und kirchlich Engagierten sowie anderen Mitarbeitern anzuvertrauen, erteilt das Schreiben eine Absage. Zahlreiche deutsche Kirchenvertreter, darunter auch Bischöfe, kritisierten das Dokument. Andere Oberhirten und Laieninitiativen hingegen begrüßten das Schreiben.

Essen bezeichnete das Papier als "Dokument der Hilflosigkeit". Inhaltlich bewege es sich zwar im Rahmen der geltenden Glaubenslehre und des geltenden Kirchenrechtes, dass amtliche Leit- und Entscheidungsgewalt ausschließlich Klerikern vorbehalten sei. Allerdings sei in der Instruktion das "Zueinander von Weltkirche und Ortskirche" aus den Fugen geraten: "Ein so klerikerfixiertes Papier, das ist doch wirklich sehr merkwürdig." Es sei für ihn ein "Ärgernis", dass darin weltkirchliche Nöte ignoriert würden.

Wenn Papstworte beherzigt würden, komme der "Gegenschlag"

Der Theologe erinnerte an die Ermutigungen von Papst Franziskus, "die Strukturen sozusagen zu verflüssigen, über bestehende, auch erstarrte Strukturen hinwegzugehen" und an die Ränder von Kirche und Gesellschaft zu gehen. Wenn die Menschen dies jedoch tatsächlich täten, "dann kommt gewissermaßen aus der Zentrale Roms der Gegenschlag". Es sei bislang nur unzureichend gelungen, die Kirche aus den Strukturen und der Hermetik des 19. Jahrhunderts zu befreien. Essen wörtlich: "Etwas überspitzt formuliert möchte man den Papst doch tatsächlich manchmal daran erinnern, dass er auch der oberste Gesetzgeber dieser Kirche ist." Dem Pontifex "als dem wirklich absoluten Monarchen dieser Kirche" komme es zu, die Strukturen so zu ändern, "wie er es immer wieder rhetorisch einfordert".

Die Reaktionen vieler deutscher Bischöfe auf die Instruktion zeugten von Mut, fügte Essen hinzu. Dass innerhalb kurzer Zeit so viel Widerspruch komme, zeige, "wie brisant die innerkatholische Situation ist". Die Bischöfe machten zudem deutlich, dass sie sich für das Heil der Seelen in ihrer jeweiligen Diözese verantwortlich fühlten: "Von dieser Aufgabe kann man einen Bischof in seiner Diözese nicht dispensieren." Es bedürfe "offenbar immer noch des Mutes, aus einer bestimmten konfliktscheuen Umgangskultur auszubrechen".

Der Theologe warnte zugleich vor einem Bruch. Wenn Rom die aktuellen Reaktionen abprallen lasse, drohe eine Spaltung in die offiziellen Regularien einerseits und deren Missachtung in Gemeinden vor Ort andererseits. Dass die Durchsetzungskraft Roms abnehme, sei teils berechtigt, "weil die Wirklichkeit einfach nicht wahrgenommen wird. Aber ich halte das für eine ungute Situation." (mal/KNA)