Himmelklar – der katholische Podcast

Amazonas-Bischof Bahlmann: Wollen nicht die ganze Kirche reformieren

Veröffentlicht am 19.08.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Obidos ‐ Die Ausbreitung des Coronavirus macht Amazonas-Bischof Johannes Bahlmann Sorgen, denn in seiner Diözese gibt es viele Infektionen. Ansonsten hat er einen ganz eigenen Blick auf eine Kirche, die so ganz anders funktioniert als in Westeuropa.

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Ein Leben zwischen Corona-Angst und extremem Priestermangel. So sieht das Leben im Bistum Obidos in Brasilien aus. Der deutsche Franziskaner Johannes Bahlmann ist Bischof des Amazonas-Bistums, und spricht über ein Leben, dass ganz anderes funktioniert als in Deutschland.

Frage: Sie leben weitab der großen Metropolen als Bischof von Obidos direkt am Amazonas in Brasilien. Da sieht das Leben wahrscheinlich anders aus als in Deutschland …

Bahlmann: Das Leben hier am Amazonas ist schon ganz anders. Anders auch als in den anderen Regionen Brasiliens, wie zum Beispiel im Nordosten oder Südosten, also den Regionen Rio de Janeiro, Sao Paulo. Anders auch als im Süden, wo noch viele Menschen europäischer Abstammung leben.

Das Leben ist sehr viel einfacher, würde ich sagen, manchmal auch etwas schwieriger. Es fehlt oftmals an dem, was man braucht für das tägliche Leben. Zum Einkaufen müssen wir für bestimmte Dinge 120 Kilometer den Amazonas hinunterfahren. Das Leben wird dadurch halt sehr viel schwieriger, auch weil die Infrastruktur nicht funktioniert, beziehungsweise die Gesellschaft als solche auf einem gewissen Minimum funktioniert.

Frage: Und Ihr Bischofsleben sieht vermutlich auch anders aus als bei den deutschen Bischöfen? Palais oder Fahrer gibt’s da wahrscheinlich auch nicht?

Bahlmann: Nein. Wir fahren selber mit dem Auto. Das mache ich zumindest, ich vermute die Bischöfe, die nicht fahren können, haben auch einen Fahrer. Ich fahre selber. Das einzige, was ich nicht selber mache, ist Schnellboot fahren oder Kleinflugzeuge fliegen, wenn ich zum Beispiel zu unserer Indigenen-Mission muss, oben im Norden unserer Diözese, das ist gut 500 Kilometer entfernt, an der Grenze zu Surinam. Aber sonst: Mit dem Auto fahre ich selber. Ich nehme aber immer jemanden mit, als Begleiter. Teils, wenn mal etwas sein sollte, der Reifen platt ist oder es andere Probleme mit dem Wagen gibt. Dann ist es besser, wenn man jemanden hat, der helfen kann. Es ist aber auch wichtig, gleichzeitig als Schutz. Man weiß nie, ob man überfallen werden kann. Das muss man also gut überlegen. Deswegen nehme ich meistens ein, zwei Leute mit, die mich begleiten. Meistens sind das die Seminaristen, zur Zeit sind unsere Theologiestudenten hier bei uns. Die fahren dann mit, helfen in der Messe, das ist schon gut. Da kann man sich unterhalten und lernt sich auch besser kennen.

Frage: Sie sind als deutscher Bischof in Lateinamerika bei weitem kein Einzelfall, das hat viel mit der Geschichte der Orden und der Mission zu tun. Denken wir zum Beispiel an Bischof Erwin Kräutler. Führt das nicht zu Konflikten, wenn der örtliche Klerus aus dem Ausland kommt?

Bahlmann: Nein, eigentlich nicht. Es ist sehr selten, dass es da zu Konflikten kommt. Es kommt auch immer sehr darauf an, wie man damit umgeht. Wenn man als Ausländer in einem Land lebt, muss man sich den Gepflogenheiten anpassen. Das ist nicht immer ganz einfach, weil man auch seine eigene Kultur hat und die eigenen Wurzeln. Aber: Ich lebe in einem anderen Land, insofern muss ich mich da einfügen.

Frage: Schauen wir auf die Corona-Lage. Brasilien verzeichnet neben Indien und den USA die meisten Neuinfektionen und auch eine hohe Sterberate. Viel wird über das Vorgehen von Präsident Bolsonaro diskutiert. Nun sind Sie im Amazonas weit weg von den Metropolen, was kommt da bei Ihnen an?

Bahlmann: Bei uns ist die Situation im Moment noch sehr angespannt. Wir haben jeden Tag noch sehr viele Infizierte. Wir haben in unserem Landkreis 50.000 Einwohner, davon leben ca. 30.000 hier in der Stadt. Jeden Tag haben wir 20 bis 30 Neuinfizierte – und insgesamt haben sich schon 1.700 Menschen mit dem Virus infiziert. Allein in unserem Landkreis haben wir 40 Tote. Das ist eine sehr hohe Zahl, deshalb gibt es auch viel Angst bei uns. Die Menschen sind ziemlich gestresst vom Coronavirus. Aber das Leben geht weiter.

Man merkt, dass viele Menschen nicht wirklich diszipliniert sind und sich auch nicht dementsprechend an die Maßnahmen halten. Leider kann sich das Virus deshalb auch noch sehr stark ausbreiten.

Bild: ©Privat

Amazonas-Bischof Bahlmann beim Pfarrfest in Santo Antônio de Oriximiná.

Frage: Das heißt also Abstand, Masken, Desinfektion sind in der Form gar nicht wirklich verbreitet?

Bahlmann: Teilweise schon, bei den Menschen, die jetzt bewusster leben und das auch einschätzen können. Die tragen natürlich Masken und halten sich natürlich auch an die Distanz. Aber viele Menschen tun das eben auch nicht. Vor allem kommt es aber auch immer wieder zu Gruppenbildung vor öffentlichen Gebäuden, Banken oder auf dem Markt. Da wird der Abstand nicht eingehalten und die Menschen sind nicht so diszipliniert. Man kann den Virus nicht sehen, deshalb wird er oft unterschätzt.

Frage: Wie gehen Sie in Ihrem Bistum mit den Gottesdiensten um?

Bahlmann: Wir hatten jetzt über Wochen keine öffentlichen Gottesdienste. Wir hatten aber jeden Tag Messen, die übertragen wurden in den Sozialen Netzwerken. Vor zwei Wochen haben wir aber wieder damit angefangen, in den Pfarrkirchen – also den Hauptkirchen – wieder öffentliche Gottesdienste zu feiern. Man muss sich dafür anmelden, und man versucht auch wirklich die Maßnahmen einzuhalten. Wir könnten eigentlich viel mehr Menschen hineinlassen in die Kirchen, aber wir versuchen wirklich das Maß, was angegeben ist, zu halten, damit wir niemanden in Gefahr bringen. So weit es möglich ist, versuchen wir auch schon in den Filialkirchen Gottesdienste anzubieten. Wenn wir Temperaturmessung garantieren können, Hygienestandards einhalten, dann kann auch ein Gottesdienst stattfinden. Das hängt aber davon ab, wie jede Gemeinde das selbst organisiert.

Frage: Wenn wir mit Ihnen im Amazonas sprechen, müssen wir auch das Thema Kirchenreform ansprechen. Vergangenes Jahr gab es in Rom die große Amazonas-Synode, von der sich viele unter anderem eine Zulassung von verheirateten Männern zum Priesteramt erhofft hatten. – Sie sitzen vor Ort, genau in der Region, um die es geht. Wie kommt diese Diskussion denn bei Ihnen an?

Bahlmann: Man muss erst mal sagen, dass diese Reformdebatten hier gar nicht so ausgeprägt sind. Die Amazonas-Synode war ja eigentlich auf unsere Region hier gerichtet und wir hatten nicht den Anspruch die Kirche im Allgemeinen zu reformieren, also die Weltkirche. Es ging darum, sich hier mit der Situation vor Ort auseinanderzusetzen. Da geht es einmal um die kirchliche Situation, aber auch um die gesellschaftliche Situation.

Man muss sehen, dass wir hier eine besondere Form haben, Kirche zu sein. Wir leben in einem sehr weitläufigen Gebiet. Wir haben hier Pfarrgemeinden mit bis zu 150 Filialgemeinden. Eine Pfarrgemeinde setzt sich aus vielen Teilgemeinden zusammen. Mal kleiner, mal größer, das kommt immer darauf an, wie viele Menschen in den Dörfern leben. Da stellt sich die Frage: Wie können wir damit umgehen? Zu allererst kommt es auf das kirchliche Leben an. Wie kann ich garantieren, dass die Liturgie, die Katechese, die Caritas stattfinden? Wie kann ich garantieren, dass die Gemeinde vor Ort existiert? Da braucht es engagierte Laien, die diese Gemeinden auch leiten, beziehungsweise koordinieren. Immer zusammen mit einem Gemeinderat – was aber etwas anderes bedeutet als ein Pfarrgemeinderat in Deutschland.

Wie kann das aber funktionieren in Regionen, wo es schwierig ist, überhaupt die Eucharistie zu feiern? Ohne, dass wir eine größere Zahl von Priestern haben. Da muss als erstes die Berufungspastoral stimmen. Das heißt wir müssen nicht nur für Priester werben, sondern auch für Ordensleute und engagierte Laien. Jeder hat seine Berufung. Wir müssen aber auch zum Beispiel an die Indigenen im Norden unserer Diözese denken. Da gibt es 20 Gemeinden, aber nur einen Priester, einen Franziskaner, der zusammen mit einem Laienbruder dort arbeitet. Der Priester ist aber gleichzeitig auch noch Zahnarzt. Wie kann der die Gemeinden betreuen, als Priester, und auch die Sakramente spenden, wenn diese Gemeinden 50, 100 oder 150 km entfernt liegen? Teilweise sind die auch nur zu Fuß erreichbar. Wie soll das gehen? Da steht man vor einer fast unmöglichen Situation.

In diese Lage muss man sich erst mal hineinversetzen, um zu verstehen, warum wir gesagt haben, dass wir uns verheiratete Männer als Priester wünschen. Genau wie in diesem Fall sollte dadurch die Eucharistie garantiert werden. Das sind aber natürlich Extremsituationen.

Frage: Bischof Bahlmann, was bringt Ihnen Hoffnung in dieser Corona-Zeit?

Bahlmann: Ich merke, dass es eine größere Sensibilität gibt. Mehr Feingefühl gegenüber dem anderen, aber auch gegenüber der Schöpfung. Man setzt sich heute noch mehr mit der Situation der Welt im Allgemeinen auseinander, aber auch mit all den Fragen der Umwelt, des Umweltschutzes. Das ist ein sehr positives Zeichen, wo ich merke, hier wächst ein neues Bewusstsein.

Ich sehe aber auch, wie viele Menschen sich für den nächsten einsetzen, um zu helfen. Wirklich auch ganz konkrete Aktionen. Verteilen von Lebensmitteln, von Hygienematerial. Hier bei uns haben sich viele Menschen für unsere katholischen Hospitäler eingesetzt. Wir haben vier insgesamt, drei Gebäude und das Krankenhausschiff Papa Francisco. Bis zum Jahresende bekommen wir noch ein weiteres Krankenhausschiff, das Johannes Paul II. – Joao Paulo II. – heißen wird. Wir sind sehr froh diesen Weg weiter zu gehen, dass die Menschen auch Gesundheit haben.

Von Renardo Schlegelmilch