Schau zeigt jüdische Geschichte und Gegenwart in Deutschland

"Spektakulär schön": Neue Dauerausstellung im Jüdischen Museum Berlin

Veröffentlicht am 22.08.2020 um 12:31 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Nach mehr als zweieinhalb Jahren Umbau eröffnet an diesem Sonntag die neue Dauerausstellung im Jüdischen Museum Berlin. Die Schau will knapp 20 Jahre nach der Eröffnung des beliebten Museums neue Perspektiven auf die Geschichte und Gegenwart des jüdischen Lebens in Deutschland ermöglichen.

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"Spektakulär schön": Für die Hülle des Jüdischen Museums Berlin – den eindrucksvollen, an einen zerbrochenen Davidstern oder einen Blitz erinnernden Daniel-Libeskind-Bau – gilt das inzwischen schon seit rund zwei Jahrzehnten. Ab diesem Sonntag soll es nun auch wieder für den Inhalt gelten. Dann nämlich eröffnet das größte jüdische Museum Europas nach einem mehr als zweieinhalb Jahre dauernden Umbau seine laut Kuratorin Cilly Kugelmann "spektakulär schöne" neue Dauerausstellung.

Auf 3.500 Quadratmetern will das Museum im Stadtteil Kreuzberg die Geschichte und Gegenwart der Juden in Deutschland künftig "mit neuen Schwerpunkten und neuer Szenografie" zeigen, wie die seit April amtierende Museumsdirektorin Hetty Berg im Vorfeld bei einer Pressekonferenz sagte. Die neue Ausstellung, die von einem 20-köpfigen Team unter Leitung Kugelmanns konzipiert wurde, löst die alte Schau ab, die von 2001 bis zu ihrer Schließung im Dezember 2017 von mehr als elf Millionen Menschen besucht worden war.

Neue Ausstellung als Befreiungsschlag nach schwerer Zeit

Für das Museum soll die neue Ausstellung auch eine Art Befreiungsschlag werden – immerhin hat die Institution eine schwere Zeit hinter sich: Im Sommer vergangenen Jahres musste der langjährige Direktor Peter Schäfer seinen Hut nehmen, nachdem das Museum immer mehr in die Kritik geraten war. Zuerst stieß die Ausstellung "Welcome to Jerusalem" auf das Missfallen der israelischen Regierung. Dann rief ein unklar formulierter Tweet zur israelfeindlichen Initiative "Boycott, Divestment and Sanctions" (BDS) den Zentralrat der Juden in Deutschland auf den Plan. Dessen Präsident Josef Schuster schrieb auf Twitter, das Museum scheine "gänzlich außer Kontrolle" geraten zu sein, die Leitung des Hauses habe das Vertrauen der jüdischen Gemeinschaft verspielt. Israelische Zeitungen sprachen dem Museum schließlich sogar das Recht ab, sich noch "jüdisch" zu nennen.

Bild: ©Jüdisches Museum Berlin/Yves Sucksdorff

Blick in den Epochenraum "Katastrophe" in der neuen Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin.

Mit der neuen Direktorin Berg und der neuen Dauerausstellung sollen diese Querelen vergessen gemacht werden. "Die neue Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin markiert den Beginn einer neuen Ära", betonte Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) am Dienstag. Sie sei froh und dankbar, dass das Museum jetzt wieder der Öffentlichkeit übergeben werden könne. "Die neue Dauerausstellung löst ein großes Versprechen ein: Hier können Juden ihre Lebenswelt wiedererkennen und andere Gäste viel über die Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland über 1.700 Jahre hinweg lernen", so Grütters, die das Museum mit ihrem Etat maßgeblich finanziert.

"Die Geschichte der Juden hat sich nicht geändert – aber unsere Perspektive darauf. Die Gesellschaft wandelt sich und mit ihr auch das Publikum des Jüdischen Museums Berlin", erklärte Berg, die vor ihrem Engagement in Berlin Chefkuratorin des Jüdischen Kulturviertels in Amsterdam war, bei der Pressekonferenz den Ansatz der neuen Schau. Diese wolle die Vielfalt des Judentums zeigen und die Besucher ermutigen, jüdische Kultur in Vergangenheit und Gegenwart aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.

Jüdische Geschichte vom Mittelalter bis heute

Die Ausstellung erzählt die Geschichte der Juden in Deutschland vom Mittelalter bis heute. Das beginnt mit den Anfängen jüdischen Lebens in Aschkenas – die Bezeichnung wurde in der mittelalterlichen rabbinischen Literatur für Deutschland verwendet – und führt über die Emanzipationsbewegung im 19. Jahrhundert und deren gewaltsames Ende durch den Nationalsozialismus bis zum jüdischen Leben in Deutschland heute. Anders als in der früheren Schau wird dabei aber nicht streng chronologisch erzählt. "Wir setzen andere Schwerpunkte als vor 20 Jahren: So bereichern wir den Rundgang durch die Epochen mit Einblicken in jüdische Kultur und Tradition und zeigen, wie Judentum heute gelebt wird", so Kuratorin Kugelmann. Acht thematische Inseln laden die Besucher zum Beispiel dazu ein, sich mit allen Sinnen in jüdische Kultur und Tradition zu vertiefen. Sie können etwa liturgischen Gesängen, Purim-Rasseln und Popmusik lauschen oder in Interviews erfahren, ob, wie und warum Juden heute den Geboten folgen.

Bild: ©Jüdisches Museum Berlin, Foto: Yves Sucksdorff

Blick auf das Jüdische Museum Berlin mit dem Altbau (l.) und dem vor knapp 20 Jahren eröffneten spektakulären Neubau von Daniel Libeskind.

Ein Schwerpunkt der Ausstellung liegt zudem auf der Geschichte nach 1945: Diese reicht vom Umgang mit der Zäsur des Holocaust über den Neubeginn jüdischen Lebens in der Bundesrepublik und der DDR bis hin zur Migrationsgesellschaft im heutigen Deutschland. Was zeichnet die jüdische Gemeinschaft aus? Welche Perspektiven hat sie auf politische, gesellschaftliche und kulturelle Phänomene ihrer Zeit? Und wie definiert sie sich heute? Die Ausstellung lässt zu diesen Fragen eine Vielzahl jüdischer Stimmen zu Wort kommen.

Zwei Themen ziehen sich darüber hinaus wie ein roter Faden durch alle Ausstellungskapitel: Jüdische Identität und Judenfeindlichkeit in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen. Durchdekliniert werden dabei auch die vielen Spielarten des Antisemitismus, die den deutschen Juden im Laufe der Jahrhunderte entgegenschlugen – und ihre Ambivalenzen. Zum Beispiel die Verehrung vieler deutscher Juden für den Komponisten Richard Wagner, einem eingefleischten Antisemiten. Ausgerechnet Theodor Herzl etwa wird in der Ausstellung damit zitiert, dass ihm an Tagen, an denen er keine Wagner-Opern hören könne, die Inspiration für die Arbeit an seinem Buch "Der Judenstaat" fehle.

1.000 Austellungsobjekte – überwiegend aus dem eigenen Bestand

Die Nazi-Zeit wird mit Installationen aus den 962 Gesetzen erzählt, die nach 1933 gegen Juden in Deutschland erlassen wurden. Die Räume sind auch hier hell, die Wände aus kaltem Aluminium. Sie halte nichts davon, den Besuchern durch dunkle Räume die Dramatik einer Erzählung zu signalisieren, so Kugelmann. Stärker noch als zuvor stellt das Museum in der neuen Schau schließlich den Reichtum der eigenen Sammlung ins Zentrum. Von den mehr als 1.000 ausgestellten Objekten stammen knapp 70 Prozent aus dem eigenen Bestand, der in den vergangenen Jahrzehnten durch private Schenkungen und Familiennachlässe auf einen beträchtlichen Umfang angewachsen ist.

Ob die neue Dauerausstellung tatsächlich "spektakulär schön" ist, können die Besucher ab Sonntag selbst beurteilen. Auf jeden Fall aber stellt die Schau das Judentum stärker als ihre Vorgängerin als lebendige Kultur dar. Und auch die Architektur und Ästhetik Daniel Libeskinds wird von den Gestaltern neu – und ja: spektakulär – in Szene gesetzt.

Von Steffen Zimmermann