Ein Gastbeitrag des ökumenischen Arbeitskreises "Tiwis – Tiere und wir"

Corona als Weckruf: Warum Christen auf das Tierwohl achten sollten

Veröffentlicht am 10.10.2020 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 
Debatte

Wiesbaden ‐ Die Gier nach Fleisch und tierischen Produkten verursacht Leid bei Tier und Mensch, kritisieren Monika Hoffmann und Ruth Kaiser vom ökumenischen Arbeitskreis "Tiwis – Tiere und wir". Sie plädieren in ihrem Gastbeitrag auch angesichts der Corona-Pandemie für ein Umdenken im Umgang mit der Schöpfung.

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Was haben Tiere mit Corona zu tun? Sehr viel. Ausgangspunkt der Pandemie waren chinesische Lebendtiermärkte. Dort werden Wildtiere, die eigentlich fernab vom Menschen leben, als Delikatesse, Stärkungsmittel oder Pelzlieferant feilgeboten. Eingepfercht in Käfigen, unversorgt und in Todesangst warten sie darauf, geschlachtet zu werden. Und genau dabei oder beim anschließenden Verzehr ist das Virus auf den Menschen übergesprungen.

Hier bei uns in Deutschland sind Tiere während der Pandemie vor allem in zwei Zusammenhängen hervorgetreten. Die Tierheime erleben einen wahren Ansturm von Anfragen, weil einige, denen es zu Hause langweilig ist, sich nach Gesellschaft sehnen. Da ist der Hund als Freund oder die Katze zum Pläsier gefragt, das Tier als Gefährte des Menschen (was bei manchen allerdings nur für die Dauer der Langeweile gedacht war). Und dann war da noch die Sache mit dem Schlachtbetrieb Tönnies. Die hohen Infektionszahlen unter den Lohnarbeitern dort ließen es nicht länger leugnen: Die Gier nach Fleisch und tierischen Produkten verursacht Leid bei Tier und Mensch. Wo ein Tierleben allein in Cent gerechnet wird und ansonsten gar keinen Wert zuerkannt bekommt, da wird auch mit Menschen nicht zimperlich verfahren. Die Arbeitskräfte bei Tönnies mussten das am eigenen Leib erleben.

Was hat das alles mit uns als Christinnen zu tun?

Was hat das alles mit uns als Christinnen zu tun? Ebenfalls sehr viel. In diesem Fall: dreifaltig viel. Hier lohnt es sich nämlich, unseren Umgang mit Tieren in Beziehung zu setzen zu jeder einzelnen göttlichen Person. Und dabei gilt es, fest das Ziel des Ganzen im Auge zu halten: das Reich Gottes, zu dem wir hinstreben. Gott Vater hat uns alle – Menschen wie Tiere – in ein gemeinsames Haus gesetzt mit einer wunderbaren Ordnung. So schildert es die priesterschriftliche Schöpfungserzählung (Gen 1,1-2,4a). Darin haben Mensch und Tier einiges gemeinsam: Sie teilen Schöpfungstag und Lebensraum und bekommen beide Pflanzen zur Nahrung. Es muss nicht einer über den anderen herfallen, um satt zu werden. Gott, der Freund des Lebens, errichtet ein lebensfreundliches Haus.

Bei aller Gemeinsamkeit mit den Tieren ist der Mensch doch in besonderer Weise von Gott ausgezeichnet: Gott beauftragt ihn, an seiner statt die Ordnung zu hüten. Der Mensch soll die Erde so verwalten und gestalten, wie Gott es tun würde, wenn er es selbst täte. Dazu sind ihm Kreativität und Freiheit gegeben. Was gemeinhin gerne (und eigennützig) als "Herrschaftsauftrag" bezeichnet wird, ist also von der Sache her mehr ein Fürsorgeauftrag. Nehmen wir als Christinnen diesen Auftrag an, so müssen wir uns zumindest bemühen, in Gottes Sinne zu handeln. Unterdrückung und Ausbeutung von Mitgeschöpfen, Beschädigung und Zerstörung von Lebensraum scheiden damit aus.

Fleisch in der Fleischfabrik (Symbolbild).
Bild: ©elnariz/Fotolia.com

Fleisch in der Fleischfabrik (Symbolbild).

Noch im selben Buch der Bibel, nämlich nach der Sintflut, wird die Lage um einiges komplexer. Einerseits gibt Gott den Menschen die Tiere zur Nahrung (Gen 9,2), andererseits schließt er einen Bund mit allen Geschöpfen (Gen 9,9-10). Wie passt das zusammen? Der vermeintliche Widerspruch löst sich auf, wenn man auf den Schöpfer schaut. Vor der Sintflut sieht er die Bosheit der Menschen, und sie tut ihm im Herzen weh. Es reut ihn, den Menschen gemacht zu haben, und am liebsten würde er gleich alles Lebende von der Erde vertilgen. Nach der Sintflut wird ihm schlagartig bewusst, wie sehr er an den Menschen und allen Lebewesen hängt, die er um ein Haar vernichtet hätte. Er liebt sie, wie eine Mutter ihre Kinder liebt: mit all ihren Schwächen. Er erkennt an, dass der Mensch sich und den Rest der Schöpfung in Sünde verstrickt hat. Aber er erkennt ebenfalls an, dass das seiner Liebe keinen Abbruch tut. Aus dieser doppelten Erkenntnis heraus macht er Zugeständnisse, und dazu gehört das Fleischessen samt der damit verbundenen Gewalt gegen Tiere. Es ist nicht das, was Gott will, sondern das, was er notgedrungen hinnimmt. An seinem eigenen Verhältnis zu den Tieren ändert das nichts: Er liebt sie ungebrochen. Das Bundeszeichen – der Bogen in den Wolken, an dem der Mensch nicht rütteln kann, – gilt auch für sie. Wir als Christinnen können nun entscheiden, ob wir unsere tierischen Mitgeschöpfe so behandeln, wie Gott es hinnimmt und gerade so erträgt, oder ob wir nicht zumindest versuchen, sie so zu behandeln, wie es Gott gefällt.

Leben, wie es Gott gefällt, das hat Jesus uns vorgemacht. Deshalb wird zwecks Bestimmung tierethischer Maßstäbe gerne gefragt, ob Jesus Tiere gegessen hat. Ja, sagen die einen, man denke an Paschalamm und Fisch für alle. Nein, sagen die anderen, die Evangelien seien da nicht unbedingt wörtlich zu nehmen. Wer Recht hat, kann man nicht sagen. Dazu reicht das historisch gesicherte Wissen nicht aus. Was man aber sagen kann, ist, dass Jesus in einer Zeit und Kultur gelebt hat, in der Fleischessen zumindest für das einfache Volk nichts Alltägliches war. Hauptnahrungsmittel war Brot. Insofern wäre selbst eine klare Antwort auf die Frage, ob Jesus im Galiläa vor 2.000 Jahren vegetarisch gelebt hat, nur bedingt verwertbar als Richtschnur für heutiges Handeln.

Viel ergiebiger ist die Frage, wie Jesus sein Leben ausgerichtet hat, was ihm wichtig war. Hier ist die Antwort eindeutig: Für Jesus steht Gottverbundenheit über allem. Den Willen des Vaters zu tun, das ist sein Ziel. Unermüdlich sucht er Gerechtigkeit und stellt sich an die Seite der Schwächsten. Für sie, für uns alle geht er den Weg des Kreuzes bis in den Tod. Eigenes Wohl und Wehe sind Jesus nicht wichtig. Er verzichtet auf ein Zuhause, auf eine Familie, auf jegliche Absicherung. Selbst zu seiner Zeit ist ein solches Leben alles andere als normal. Und Jesus weiß, dass auch die Menschen in seiner Nachfolge sich über manche Norm werden hinwegsetzen müssen. Wenn es normal geworden ist, andere – Menschen wie Tiere – auszubeuten bis aufs Blut, dann ist es christlich, aus der Normalität auszubrechen. Dann haben Christinnen die Sandkörner zu sein, die das Getriebe zum Halten bringen.

Bild: ©picture alliance / Bildagentur-online/Elena Elissee

Vielleicht können wir die Pandemie als Weckruf verstehen, uns wieder mehr auf das Wesentliche zu besinnen, das uns anvertraute Haus der Schöpfung besser zu pflegen, so die Autorinnen.

Jesus Christus ist uns vorangegangen, hat uns aber trotzdem nicht allein gelassen. Der Heilige Geist ist mit uns. Man kann ihn sich vorstellen als Band der Liebe zwischen Vater und Sohn, an dem die Glaubenden teilhaben dürfen. Für sie wirkt dieses Band wie ein Rettungsseil: Es ist zuverlässig da, wenn der Mensch den Tritt verliert. Es bewahrt vor dem Absturz in den Tod. Es führt sicher zu Gott und zum Leben. Das Schlimmste, was ein Mensch tun kann, ist, sich vom Rettungsseil abschneiden, um sich von Gott zu lösen. Das Beste, was er tun kann, ist, ein geistgemäßes, Gott zugewandtes Leben führen.

Ein geistgemäßes Leben führen – wie geht das? Vielleicht am einfachsten, indem man überlegt, was den Geist ausmacht, und daraus folgerichtiges Verhalten ableitet. Dazu drei Beispiele: 1. Der Heilige Geist ist verankert im Vater und im Sohn, also in doppelter Hinsicht ein lebendig machender Geist: Er ist Schöpfergeist und Geist der Neuschöpfung gleichermaßen. Also heißt geistgemäß leben: das Seufzen der Schöpfung hören und sanft und sachte mit ihr umgehen. 2. Der Heilige Geist ist ein Geist der Liebe. Da Liebe die Eigenart hat, andere erreichen zu wollen, lässt sie sich keine Grenzen setzen. Liebe hört niemals auf und macht vor niemandem Halt. Entsprechend heißt geistgemäß leben: ein Herz haben für alle Geschöpfe. 3. Der Heilige Geist ist ein Geist der Freiheit. Wahre Freiheit bedeutet, selbst bestimmen zu können, was wichtig ist, und diesen Weg des Wichtigen zu gehen. Wir Christinnen gehen ihn, indem wir uns denen zuwenden, die Hilfe brauchen. Das sind die vielen Menschen, die gezwungen sind, in erbärmlichen Umständen zu leben. Das sind die Tiere, die nur noch als Konsumgut gehandelt werden. Es sind die ausgelaugten Böden, die sterbenden Wälder, die abgetragenen Berge, die schmelzenden Gletscher. Wenn all dieses Geschaffene, was sich in Not befindet, heilende Zuwendung erfährt, dann wird mit Hilfe des Geistes sichtbar, was zählt: das Reich Gottes.

Der tierethische kategorische Imperativ

"Dein Reich komme" beten wir mit jedem Vaterunser. Es steht ganz oben auf unserer Wunschliste; es ist der Frieden und das Heil Gottes, das wir glühend herbeisehnen. Und doch realisieren wir im täglichen Verhalten oft genug genau das Gegenteil: Schmerz und Leid, Unfrieden und Unheil. Ein Grund für diesen Widerspruch mag sein, dass wir eine wesentliche Dimension des Reiches Gottes verkennen: Es ist bereits da! Es liegt nicht in ferner Zukunft und nicht im Jenseits. Jesus hat es uns zurückgebracht in die Welt. Und wenn wir es haben wollen, brauchen wir es nur beherzt zu ergreifen. Das tun wir, indem wir uns wie Jesus Gott und den Nächsten in tatkräftiger Liebe zuwenden, indem wir barmherzig sind mit der leidenden Kreatur, indem wir Not und Leid lindern, wo immer es geht. Damit können wir uns zwar nicht gegen den Tod an sich stellen, wohl aber gegen die Macht des Todes, die Bedrohung, Angst und Schrecken verbreitet. Wer das Reich Gottes bezeugt, verbreitet Freude am Leben, wie Gott es gemacht hat und wie er es der Schöpfung – den Menschen, den Tieren, der ganzen Erde – in unendlicher Fülle verheißen hat.

Vielleicht können wir die Pandemie als Weckruf verstehen, uns wieder mehr auf das Wesentliche zu besinnen, das uns anvertraute Haus der Schöpfung besser zu pflegen und unseren Mitgeschöpfen mit mehr Achtung zu begegnen. Für den Umgang mit Tieren können wir uns dabei an den tierethischen kategorischen Imperativ halten, wie ihn der Moraltheologe Pater Martin Lintner formuliert hat: "Handle so, dass du die Tiere nie bloß als Mittel zur Befriedigung eigener Interessen brauchst, sondern ihnen zugleich auch entsprechend ihren je eigenen artspezifischen und individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten gerecht wirst." Vereinfacht gesagt: Wir können Tiere, statt sie immer nur zu nutzen, um ihrer selbst willen würdigen. Was haben wir davon? Wir werden reich beschenkt. Wir können staunen über das Wunder der Schöpfung und uns freuen, ein von Gott gerufenes und geliebtes Geschöpf in ihr zu sein.

Von Monika Hoffmann und Ruth Kaiser

Die Autorinnen

Monika Hoffmann und Ruth Kaiser sind die Mitbegründerinnen des ökumenischen Arbeitskreises "Tiwis – Tiere und wir" in St. Bonifatius Wiesbaden.