Warum konservative Katholiken im Netz ungewöhnliche Allianzen eingehen
Wie geht man richtig mit der zunehmenden Anzahl von Hass-Kommentaren im Netz um? Für den Münchner Medienethiker Alexander Filipovic ist Bischof Oster in diesem Punkt ein gutes Beispiel. In Interview erklärt Filipovic, was der Passauer Oberhirte gut gemacht hat und warum es in den sozialen Netzwerken eine Tendenz zu aggressiver Kommunikation gibt.
Frage: Herr Filipovic, Anfang vergangener Woche hat sich der Passauer Bischof Stefan Oster scharf gegen Hass-Kommentare gegen evangelische Christen auf seiner Facebook-Seite ausgesprochen. Unter anderem wurde ihnen Häresie vorgeworfen. Überraschen Sie solche Kommentare von Christen im Netz?
Filipovic: Es verstört mich extrem, von offenbar engagierten Christinnen und Christen so etwas zu lesen, denn eine christliche Kommunikationshaltung sollte durch Offenheit, Mitgefühl und Aufeinander-Zugehen geprägt sein. Auf der anderen Seite überrascht mich diese Art der Kommunikation nicht: Dort wo es um die eigene Identität geht, entwickeln sich solche Diskussionen sehr schnell aggressiv. Die Leute bestehen auf ihrem Standpunkt und alle, die eine andere Meinung vertreten, bedrohen etwas, das mit der Identität dieser Akteure zusammenhängt und für sie daher sehr wertvoll ist. Diese Eskalation ist eine bekannte Dynamik der Social Media.
Frage: Oft wird dem Gegenüber in diesen Diskussionen das Katholisch-Sein oder Christ-Sein abgesprochen. Ist das auch ein Kennzeichen für emotionale Diskussion um die eigene Identität?
Filipovic: Ja, das ist so. Natürlich darf man unterschiedlicher Meinung sein und sagen, welche Möglichkeit man bevorzugt und selbst für besser hält. Aber es ist ein Unterschied, ob man im gleichen Atemzug die Orientierung anderer für unmöglich erklärt und das dann aggressiv kommuniziert. Das ist nicht hinnehmbar und zeigt, dass die Social Media eigentlich keine gute Plattform dafür sind, Meinungsverschiedenheiten oder Fragen der Identität zu klären. Die sozialen Netzwerke stehen diesem Versuch geradezu im Weg, unsere partikularen Perspektiven auf die Welt und die Religion miteinander in Verbindung zu bringen und weiterzuführen.
Frage: Woran liegt das?
Filipovic: Das liegt vor allem an der seltsamen Mischung aus Öffentlichkeit und privaten Kommunikationsräumen, die in Social Media entsteht. Die Menschen können es sehr leicht nutzen und wissen zwar, dass ihre Kommentare dort öffentlich sind, gehen aber dennoch sehr persönlich aufeinander ein. Viele haben das Gefühl, sie hätten einen Kommunikationsraum für sich, in diesem Fall den Kommentarbereich auf Bischof Osters Facebook-Seite. Hinzu kommt, dass dort standardmäßig die Kommentare zuerst angezeigt werden, die die meisten Reaktionen hervorrufen. Das sind in der Regel diejenigen, die am kontroversesten sind. Es ist eine Belohnung des Aufregenden: Wenn jemand Hitler, Häresie oder so etwas schreibt, wird das natürlich sofort kommentiert und wird bei den anderen Usern zuerst eingeblendet. Diese Dynamik führt dazu, dass Social Media kein diskursives Kommunikationsmittel ist, sondern bewirkt, dass die Menschen an ihren Einzelmeinungen festhalten und diese scharf verteidigen.
Frage: Beobachten Sie in dieser Sache einen Unterschied zwischen den Konfessionen? Sind Katholiken vielleicht anfälliger für Hass-Kommentare, weil sie die Wahrheit auf ihrer Seite wähnen?
Filipovic: Da wage ich kein Urteil zu treffen. Ich lese auch in entsprechenden evangelischen Foren Dinge, die sich nicht gehören und die man nicht zu lesen wünscht. Aber es mag bei manchen Katholikinnen und Katholiken so sein, dass sie sich aus einer falschen Auffassung heraus mit der letzten Wahrheit verbunden fühlen und deshalb rechthaberisch und aggressiv kommunizieren.
Frage: Hinzu kommt, dass es in der Kirche und auch in kirchlichen Internetforen sehr viele interne Streitpunkte gibt, etwa die klassischen "heißen Eisen" Pflichtzölibat, Frauenweihe etc. Ist das ein Beschleuniger für diese Entwicklung?
Filipovic: Es könnte sein, dass in dem Moment, in dem diese Themen zum Gespräch gestellt werden, mehr Leute versuchen, sich dort einzubringen, weil sie diese Themen für besonders wichtig halten. Die Entwicklung ist klar: Vor 50 Jahren gab es geschützte oder nicht für die ganze Welt einsehbare Bereiche, wie einen Zeitungsartikel oder eine Pfarrgemeinderatssitzung, in denen über diese Themen diskutiert wurde. Heute gibt es Social Media, wo jeder sehr leicht an der Diskussion teilnehmen kann. Derzeit liegen beim Synodalen Weg glücklicherweise die kontroversen Themen zur Diskussion auf dem Tisch. Es verwundert nicht, dass die Debatte daher auch verstärkt in Social Media stattfindet – allerdings mit dem Effekt, dass es dort meist nicht diskursiv oder deliberativ, sondern abschottend und aggressiv zugeht.
Frage: Haben Sie in der jüngsten Zeit eine Radikalisierung der Diskussionen in Social Media beobachtet?
Filipovic: Das würde ich nicht sagen. Viele werden sich noch an die rechtsextreme Internetseite kreuz.net erinnern; es gab also schon andere, schlimmere Zeiten. Die Beteiligung an der Diskussion um diese kontroversen Themen hat sich jetzt demokratisiert, passiert bei Facebook und Co., und findet nicht mehr auf so einer abstrusen Plattform wie kreuz.net statt. Eine starke Entwicklung der Radikalisierung sehe ich da nicht, sondern eher eine Verbreiterung und Demokratisierung des kritischen Diskurses.
Frage: Jüngst haben die Theologen Hoff, Knop und Söding vor den Gefahren der Digitalisierung gewarnt. Das Internet dürfe nicht zu einer "Projektionsfläche von Kirchenbildern werden, die mit Ausgrenzungen arbeiten". Sehen Ihre Kollegen die Lage nicht etwas zu negativ?
Filipovic: Es gibt natürlich diese Tendenzen und es ist wichtig davor zu warnen. Aber man darf nicht vergessen, dass die Social Media eine Demokratisierung von Teilhabemöglichkeiten darstellen. Wenn man jetzt auf der Facebook-Seite von Bischof Oster guckt, wie viele normale und zum Teil ältere Menschen ihm folgen, die sich in einer positiven und neugierigen Weise mit seinen Postings beschäftigen und ihre eigenen Erfahrungen teilen, dann zeigt das, wie enorm bedeutsam das ist. Der digitale Raum ist ein Ort, an dem es möglich ist, seine Erfahrungen mit anderen Menschen zu teilen. Und wenn man das mit Anstand macht, also die kommunikativen Regeln berücksichtigt, die auch im alltäglichen Umgang miteinander gelten, dann ist das eine positive Sache. Davon wird Bischof Oster sicherlich viel berichten können. Aber es gibt Tendenzen – das liegt am Kommunikationsverhalten der User und den Plattformen selbst – die diese großartigen Chancen des Internets und der Social Media bedrohen. Davor muss man warnen, aber auch darüber nachdenken, was die Politik machen kann, um "hate speech" zu verhindern. Außerdem sollte man sich selbst und etwa seine Kinder dazu erziehen, angemessen im Netz zu kommunizieren.
Frage: Sehen Sie in bestimmten Filterblasen und diesem aggressiven Verhalten Verbindungen zwischen rechtsextremen Gruppen und sehr konservativen katholischen Kreisen?
Filipovic: Das gibt es wohl, obwohl die zahlreichen seltsamen Allianzen, die sich im Netz bilden, sehr vielfältig sind. Die Dynamik, dass vor allem das Kontroverse nach oben gespült wird, hat den Effekt, dass sich Menschen polarisieren und die reflektierten Zwischentöne in Diskussionen verschwinden. Sie sind zwar noch da, doch man findet sie nur in der Tiefe. Das, was an der Oberfläche ist und viele Leute bemerken, was sie zum Kommentieren anregt, ist oft schon das Ergebnis einer Polarisierung. In diesem Gemenge gibt es die Rechtskatholiken, die sich mit den politischen Rechten zu einer unheilvollen Mischung zusammenfinden. Es gibt auch andere extreme Positionierungen, das merkt man jetzt im Zuge der Diskussion um die Corona-Pandemie, die sich in einer seltsamen Weise zusammentun. Teilweise sind es Gruppen, von denen man zuvor nicht gedacht hatte, dass sie zusammen auftauchen möchten, etwa Impfgegner, Reichsbürger und AfD-Anhänger. Aber in Zeiten der Digitalisierung passiert das – auch im katholischen Bereich.
Frage: Hat Bischof Oster aus Ihrer Sicht richtig gehandelt, indem er sich scharf gegen Hass-Kommentare auf seiner Seite ausgesprochen hat?
Filipovic: Er hat richtig gehandelt, das ist ganz klar. Es ist eine Grundüberzeugung, dass Hass-Kommentare und Beleidigungen nicht stehen bleiben dürfen. Wenn man ein Social-Media-Team hat oder auch selber Zeit für die Pflege seiner Social-Media-Auftritte aufwenden kann, hat jeder die Verantwortung, auf seinen Seiten dafür zu sorgen, dass keine herabwürdigen und beleidigenden Kommentare stehen bleiben. Das hat absolut nichts mit der Einschränkung von Meinungsfreiheit oder Zensur zu tun! Es ist zwar eine schwierige Frage, wie das politisch geregelt werden sollte: Wer hat bei den großen Plattformen die Verantwortung? Muss etwa Facebook selbst etwas dafür tun, dass auf der Seite von Bischof Oster keine Hass-Kommentare stehen? Das ist schwierig, aber es gibt etwa mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz gute Werkzeuge, die etwas Handlungsspielraum geben.
Frage: Würden Sie sich seitens der Kirche mehr klare Kante in diesem Bereich wünschen, so wie Bischof Oster es getan hat?
Filipovic: Ja! Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass es nicht einfach ist: Der eine sieht einen Kommentar als herablassend und zu aggressiv an, der andere versteht ihn als notwendiges Mittel zur Äußerung der persönlichen Meinung. Es ist oft Interpretationssache, was stehen bleiben kann und was nicht. Jedem steht es frei, in dem Bereich, den er moderiert, seine eigene Perspektive durchzusetzen. Man sollte durch eine öffentliche Policy transparent machen, was gelöscht wird. Im Raum von Kirche passiert das meiner Meinung nach recht gut.