Wie ich meinen Schülern die Wahrheit der Bibel näherbringe
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In einer Unterrichtsreihe der neunten Klasse geht es lehrplangemäß um die Bedeutung des Gewissens und die Frage nach Maßstäben und Orientierungspunkten für das eigene Handeln. In diesem Kontext lernen die Schülerinnen und Schüler die Geschichte von David, Batseba und dem Propheten Natan (2.Sam 11,1-27) kennen. Die Jugendlichen wissen, dass sie es hier mit einer Erzählung zu tun haben, verorten diese aber – möglicherweise aufgrund der knapp gehaltenen Einleitung – zunächst gar nicht im biblischen Kontext. Dass niemand aus der Lerngruppe mit der alttestamentlichen Perikope vertraut ist, überrascht mich als Lehrer nicht weiter, erscheint mir in der konkreten Situation aber auch nicht unbedingt als Nachteil, ermöglicht es mir doch, die Schülerinnen und Schülern unvoreingenommen mit dem Erzählten zu konfrontieren.
Zu meiner Freude lassen sich die Jugendlichen auf das Geschehen ein, hören zu, kommen miteinander ins Gespräch – etwa über den König, der ihrer Meinung nach durch Größenwahn und Macht geblendet ist, über Batseba, die als Lustobjekt männlicher Wünsche fungieren muss, über den menschlichen Hang zur Doppelmoral, und auch über die Frage nach Möglichkeiten der Selbstreflexion und Selbsterkenntnis, die am Ende der Geschichte eine Rolle spielt. Weitgehend einig ist sich die Lerngruppe darin, dass es auch im realen Leben einer großen Klugheit bedarf, wenn man – so wie Natan – vor der Aufgabe steht, einem gierigen Herrscher wie David die Augen zu öffnen und ihn zurechtzuweisen. Die Schülerinnen und Schüler erkennen, dass der gewählte Umweg über das Erzählen einer Parabel einen geschickten Schachzug darstellt, um dem König ein Korrektiv entgegenzuhalten.
Alles in allem kommt es in dieser Stunde zu einer durchaus gewinnbringenden und facettenreichen Auseinandersetzung mit der biblischen Perikope, die für den Fortgang der Reihe etliche Anknüpfungs- und Korrelationspunkte bietet.
Biblische Texte können Jugendliche doch noch berühren
Die hier beschriebene Unterrichtssituation mag den einen oder anderen Bibelfreund ermutigen und ihm als Beleg dafür dienen, dass die Heilige Schrift im Religionsunterricht doch noch nicht zum alten Eisen gehört. Offenbar können die biblischen Texte Jugendliche doch noch berühren, irritieren oder ihnen Denkanstöße geben. Doch warum erlebe nicht nur ich, sondern erleben auch viele meiner Kolleginnen und Kollegen, dass solche Erfahrungen leider eher die Ausnahme als die Regel bilden? Warum erweist sich im alltäglichen Unterrichtsgeschäft beispielsweise gerade die Bibelarbeit oftmals als sperrig? Und warum wird vieles von dem, was zu den Kerninhalten des Faches gehört, von Außenstehenden auch gerne mal mit einem augenzwinkernden Lächeln kommentiert, gemäß der Devise "Was Ihr da in Religion macht, ist ja ohnehin alles wundersam – das ist heute ehe nicht mehr so richtig vermittelbar?!"
Es würde zu weit führen, an dieser Stelle eine detaillierte Ursachenanalyse der genannten Probleme zu betreiben. Dennoch lohnt es sich, auf einen Aspekt einzugehen, der meiner Einschätzung nach in die beschriebenen Schwierigkeiten mit hineinspielt und zweifelsohne auch in einem größeren gesellschaftlichen Kontext gesehen werden muss. Dabei geht es weniger um den immer wieder beklagten Traditionsabbruch und Relevanzverlust des Glaubens als vielmehr um die generelle Herausforderung, ein angemessenes Verständnis für biblische Texte und deren Wahrheitsansprüche zu schaffen.
Der Kern des Problems liegt im Wesentlichen darin, dass es trotz aller Bemühungen der modernen Exegese, Theologie und Literaturwissenschaft noch immer nicht ausreichend gelungen ist bzw. gelingt, auf breiter Basis ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es sich bei vielen der biblischen Texte um fiktionale Texte, das heißt im wahrsten Sinne des Wortes um Erzählungen handelt, deren Wert und Wahrheitsgehalt sich nicht daran messen lässt, ob und inwiefern ihnen ein (wie auch immer gearteter) historischer Kern zugrunde liegt.
Die üblichen Reaktionen, die zu beobachten sind, wenn es um die Frage nach der Wahrheit der Bibel geht, lassen sich grob in zwei Richtungen unterscheiden: Auf der einen Seite stehen diejenigen, die gewissermaßen als "Verteidiger des Glaubens" die Plausibilität der Schrift dadurch sicherstellen wollen, dass sie das Wunderbare dieser Texte durch immer wieder neue Erklärungsansätze zu legitimieren suchen. So wie es etwa die jährlich zu den Feiertagen wiederkehrenden Fernsehformate tun, versuchen auch sie, die Wahrheit der Bibel vor allem dadurch hochzuhalten, dass sie die Geschehnisse mit diversen Theorien untermauern, um sie dann doch noch und irgendwie als (historisch) "wahr" erscheinen zu lassen: Den Durchzug durch das Schilfmeer, den Stern über der Krippe, die Sturmstillung auf dem See Genezareth und so weiter.
Auf der anderen Seite finden sich all diejenigen, denen längst klar geworden ist, dass es in religiösen Schriften nur selten um ein wortwörtliches Verständnis, sondern eher um ein metaphorisches Interpretieren und Suchen geht. Sehr oft wird diese Einsicht allerdings von einem gewissen Relevanzverlust begleitet, der dazu führt, dass der Bibel – überspitzt gesagt – nicht viel mehr zugetraut wird als einem großen Märchenbuch: "Dann sind das ja alles nur Geschichten…", so oder ähnlich lauten typische Reaktionen, die auch von Schülerinnen und Schülern oft zu hören sind.
Während es im ersten Fall nicht gelingt, überhaupt ein Verständnis für die Fiktionalität (und eine entsprechende Lesart) der biblischen Texte zu schaffen, besteht im zweiten Fall die Schwierigkeit darin, eine bleibende Relevanz und einen entsprechenden Wahrheitsgehalt aufzuzeigen.
Dass in fiktionalen Texten grundsätzlich Wahrheit stecken kann, scheint dabei erstaunlicherweise gar nicht so sehr das Problem zu sein: Wenn im Deutschunterricht beispielsweise ein Gedicht von Rilke oder ein Drama von Dürrenmatt gelesen werden, dürfte allen Beteiligten klar sein, dass dieses nicht in einem naturwissenschaftlichen oder historischen Sinne Wahrheit enthält. Niemand würde glauben, dass Rilkes lyrisches Ich wirklich "Dinge singen" hört, oder Dürrenmatts Physiker jemals in einer psychiatrischen Anstalt zusammengehockt haben. Durch die Berücksichtigung der entsprechenden literarischen Gattungen ist in diesen Fällen von vornherein klar, auf welchen Ebenen hier Wahrheiten verhandelt werden bzw. worin der (Bildungs-)Wert dieser Texte liegt.
Wortwörtliche Auslegung verkennt den Sinn biblischer Texte
Dass dieser Schritt, der aus hermeneutischer Sicht unverzichtbar ist, gerade im Bereich der Bibel so oft nicht (oder nur unter großen Anstrengungen) gelingt, kann für den Religionsunterricht nur Problemanzeige und Auftrag zugleich sein. Im Sinne religiöser Sach- und Urteilskompetenz müssen Schülerinnen und Schüler hier lernen, dass eine buchstabengetreue Lesart den Sinn vieler biblischer Texte völlig verkennt. Gleichzeitig muss ihnen aber auch gezeigt werden, welche existenziellen Wahrheiten stattdessen in den biblischen Narrativen zu finden sind.
In der eingangs skizzierten Stunde konnten die Schülerinnen und Schüler gleich in einem doppelten Sinne nachvollziehen, inwiefern Erzählungen elementare Einsichten zu Tage fördern: So wie Natan mit Hilfe seiner Parabel bei David einiges ins Rollen bringt, so hat die Erzählung aus dem Buch Samuel auch der Klasse dabei geholfen, grundsätzliche Fragen und Erkenntnisse über menschliche Verhaltensweisen zu formulieren.
Doch mit einem einzigen Lehrstück dieser Art wird es nicht getan sein. Vielmehr wird es im Kontext biblischen Lernens immer wieder darum gehen müssen, Zugangsweisen und -wege aufzuzeigen, die keine Kategorienfehler begehen. Denn weder eine historisierende noch eine relativistische Lesart werden auf Dauer dabei helfen, das biblischen Fundament unseres Glaubens stark zu machen. Darüber hinaus wäre es wünschenswert (und notwendig), dass diese Probleme beispielsweise auch in manchen kirchlichen Kontexten stärker berücksichtigt werden, wenn über biblische Wahrheiten gepredigt oder gesprochen wird. Nur so wird verhindert, dass wichtige Erkenntnisse nicht an anderer Stelle konterkariert werden. Im Sinne Jorge Bucays gilt es deutlich zu machen: "Kindern erzählt man Geschichten zum Einschlafen – Erwachsenen, damit sie aufwachen."