Erzbistum Köln will künftig nur noch um die 50 Pfarreien

Generalvikar zur Kölner Pfarreienreform: "Es gibt keinen Masterplan"

Veröffentlicht am 17.09.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Auch in Köln gibt es Skepsis angesichts der Pfarreienreform, die aus 180 Seelsorgebereichen 50 bis 60 Pfarreien machen soll. Doch Generalvikar Markus Hofmann ist optimistisch, dass das gelingt: mit Transparenz und Beteiligung – und ganz auf der Linie der Pfarreien-Instruktion aus Rom, wie er im katholisch.de-Interview erklärt.

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Bisher gibt es 180 Seelsorgebereiche im Erzbistum Köln – bis 2030 sollen daraus 50 bis 60 Pfarreien werden. Damit das gelingt, setzt die Erzdiözese auf Transparenz und Beteiligung. Der Kölner Generalvikar Markus Hofmann ist für den Prozess verantwortlich. Im Interview erläutert er, wie die Pfarreien künftig aussehen werden – und wie man überhaupt genug Priester findet, die sie leiten wollen.

Frage: Herr Generalvikar, als Sie ins Priesterseminar eingetreten sind, hatten Sie da eine Berufung, Manager einer Institution von der Größe eines mittelständischen Unternehmens zu werden?

Hofmann: Als ich mich entschieden habe, Priester zu werden, habe ich Jesus Christus gesagt: Ich stelle mich dir zur Verfügung. Meine Vorstellung war, dass ich Pastor werden wollte, wie man das hier im Rheinland sagt, Pfarrer einer Pfarrgemeinde. Mir war natürlich schon damals Ende der 1980-er Jahre bewusst, dass die Kirche im Umbruch ist, und ich war nicht so naiv zu meinen, dass ich irgendwie dann in einem einzigen kleinen Dorf Verantwortung haben werde. Meine Grundeinstellung ist: Wenn ich mich zur Verfügung stelle, dann stehe ich zu dem Wort, dann mache ich das, was mir der Bischof aufträgt.

Frage: Wie nehmen Sie das bei heutigen Seminaristen wahr? Wie gehen die mit der Aussicht um, einmal so große Gebilde leiten zu müssen oder zu dürfen wie die kommenden Großpfarreien?

Hofmann: Die heutigen Seminaristen leben in einer sich dynamisch verändernden Wirklichkeit von Kirche. Das heißt: Sie haben keine nostalgische Vorstellung von früher als Lebensrealität, sondern sie wissen, dass Kirche sich verändert. Sie erleben bereits in ihrer Ausbildung Veränderungen. Seminaristen sammeln während der Studienzeit zunehmend Erfahrungen in den Gemeinden. Dort lernen sie: Ein Priester hat vielfältige Aufgaben. Er muss aber nicht in jeder Aufgabe Spezialist sein, er arbeitet mit anderen zusammen in multiprofessionellen Teams. Wir versuchen generell, Verwaltungsaufwand zu reduzieren und dann speziell das zu verlagern, was die Priester nicht notwendig selbst machen müssen. Dazu haben wir etwa Verwaltungsleiter eingeführt. Die Resonanz darauf ist insgesamt sehr positiv.

Eine Priesterweihe in Seoul, Südkorea.
Bild: ©picture-alliance/ dpa/epa Lee Ki-Tae (Archivbild)

So große Weihejahrgänge wie hier in Seoul (Südkorea) gibt es in Deutschland auf absehbare Zeit nicht mehr. Gibt es genug Priester, die die neuen Großpfarreien leiten können?

Frage: Blicken wir in die Zukunft: Ist die Zahl 50 bis 60 Pfarreien zukunftssicher? Haben Sie künftig 50 bis 60 Priester, die willens und in der Lage sind, Pfarrer einer Großpfarrei zu sein?

Hofmann: Wir haben das mit unserer Personalabteilung überlegt, und das ist eine der Kenngrößen, die wir nach aktuellem Stand sehen. Wir müssen aber erheblich in die Aus- und Weiterbildung im Sinne einer kontinuierlichen Personalentwicklung investieren. Ohne eine solche Weiterentwicklung würden wir diese Zahl von Pfarrern nicht haben. Die jetzt für 2030 genannte Zahl ist eine Größe, die auch in den Folgejahren noch sicher trägt.

Frage: Kardinal Woelki hatte in der vergangenen Woche gesagt, dass er mit Konflikten rechne. In anderen Bistümern ging es teilweise sehr hoch her bei Pfarreireformen. Nehmen Sie Protestbewegungen wahr?

Hofmann: Dass es viel Skepsis gibt, ist verständlich und menschlich. Schließlich geht es letztlich um unsere Identität als Kirche. Wir haben uns deshalb von Beginn an vorgenommen, so transparent wie möglich zu agieren. Es ist wichtig zu erklären, was gemeint ist und mögliche Missverständnisse erst gar nicht aufkommen zu lassen, und wenn sie doch entstanden sind, sie aufzuklären.

Frage: Welches Missverständnis gab es denn?

Hofmann: In der Presse hieß es, dass es eine Reduktion von 500 Pfarreien auf 50 geben solle. Das bildet aber nicht die Realität ab: Für uns sind die 180 Seelsorgebereiche im Erzbistum Köln die Bezugsgröße, die pastorale Einheit. Es gibt schon jetzt Seelsorgebereiche, die aus einer einzigen Pfarrei bestehen. Andere haben mehr als 20 relativ kleine Pfarreien. Das relativiert die Zahlen. Aber das verdeutlicht auch: Pfarrei heute und Pfarrei der Zukunft sind nicht dasselbe.

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Frage: Die Pfarreien sollen aus vielen Gemeinden bestehen, die nicht ausschließlich territorial bestimmt sind. Gibt es Ideen, welche Arten von neuen Gemeinden entstehen können?

Hofmann: Es gibt zum Beispiel Jugendkirchen, da kann ich mir gut vorstellen, dass dort neue Gemeinden entstehen. Auch an Krankenhäusern könnten Gemeinden entstehen, wenn sich Menschen dort aus ihrem Glauben heraus entsprechend engagieren. Wir sind da offen für weitere Entwicklungen und haben keine abschließende Liste an Formen, die möglich oder unmöglich sind. Auch hier wollen wir schauen, wo etwas Neues entstehen kann, das wir heute noch gar nicht sehen.

Frage: Parallel zu den neueren Strukturen gibt es auch viele klassische Verbandsstrukturen. Wie werden die bei der Pfarreienreform mitgedacht? Ist es denkbar, dass beispielsweise ein Pfadfinderstamm als Gemeinde ein Ort von Kirche ist?

Hofmann: Die Verbände sind unverändert von großer Bedeutung. Wir sind mit ihnen im Gespräch. Gemeinde, wie wir sie verstehen, ist aber etwas Plurales und pluralitätsförderndes. Es wäre deshalb eine Verengung, wenn eine bestimmte Gruppe sich zur Gemeinde erklärt und ihre Weise des Christseins dann exklusiv pflegt. Es geht vielmehr um eine Öffnung. Ich glaube auch nicht, dass ein Pfadfinderstamm als Gemeinde Teil einer Pfarrei werden will, wie wir sie verstehen. Das würde unter anderem bedeuten, dass der Pfarrer die Letztverantwortung übernähme – hier stünde dann das Selbstverständnis verbandlicher Selbstverwaltung zur Debatte. Dass es aber Pfadfinder und andere Jugendverbände gibt, halte ich für wertvoll, wenn sie ein Profil zeigen, das für katholische Jugendarbeit angemessen ist. Dass sie als eine Gemeinschaft in der Gemeinde agieren, ist also nach wie vor wichtig.

Frage: Gilt das auch für geistliche Bewegungen? Oder vielleicht für Klöster, um die sich Gemeinden bilden? Gemeinschaften wie der neokatechumenale Weg verstehen sich gelegentlich als alternative Gemeinden.

Hofmann: Pfarrei der Zukunft heißt: Gemeinden müssen auch am Pastoralprogramm der Pfarrei mitwirken wollen, sich als Teil der Pfarrei verstehen und ihre Ziele mittragen. Die drei Grundvollzüge der Kirche müssen im Blick sein: Feier des Glaubens, Verkündigung des Glaubens, Dienst am Nächsten. Auch die schon genannte Offenheit für Vielfalt und die Einbindung in die Eucharistiegemeinschaft der Pfarrei sind Kriterien für Gemeindesein. Wenn diese Kriterien erfüllt sind, kann ich mir durchaus vorstellen, dass eine geistliche Gemeinschaft auch als Gemeinde Teil einer Pfarrei wird. Eine Ordensgemeinschaft allerdings wird sich selbst wahrscheinlich nicht in erster Linie als Teil einer Pfarrei verstehen. Das schließt aber überhaupt nicht aus, dass sie in einer Pfarrei oder einer Gemeinde eine wichtige Rolle spielt. Wichtig ist auch, dass die Pfarrei insgesamt „Ja“ zu der möglichen Gemeinde sagt – es gibt keine einseitige Selbsterklärung. Gemeinde werden und sein geschieht immer im Austausch mit den anderen Menschen und Gremien in der gemeinsamen Pfarrei.

Pfadfinderlager im Mai 2007 in Westernohe. Die Jugendlichen bauen Klappstühle.
Bild: ©KNA (Archivbild)

Auch weiterhin bleiben die Verbände eigenständig und werden kein Teil der Pfarrei, auch nicht als eine der Gemeinden.

Frage: Wird es die Möglichkeit ökumenischer Gemeinden geben?

Hofmann: Eine ökumenische Pfarrei oder Gemeinde kann ich mir nicht vorstellen, das ist keine Größe, die der aktuellen kirchlichen Realität angemessen wäre. Dass man aber innerhalb einer Pfarrei oder über Pfarreigrenzen hinweg ökumenische Partnerschaften intensiviert, das scheint mir auf jeden Fall erstrebenswert. Schon jetzt gibt es bewährte Partnerschaften, die wir weiterführen und vertiefen wollen, und wir haben evangelische, orthodoxe und andere Christen und ihre Situation im Blick. Auch die gemeinsame Nutzung von Gebäuden kann ich mir künftig intensiver vorstellen, mit dem entsprechenden Respekt voreinander. Es ist wichtig, dass nicht der Eindruck entsteht, die Christen zögen sich aus einer Region komplett zurück.

Frage: Was ist das Ziel bei der Schaffung der neuen Pfarreien: Homogenität oder Diversität? Sollen ähnliche Milieus konzentriert werden, oder soll es innerhalb der Pfarreien auch etwa von der sozialen Situation her Vielfalt geben?

Hofmann: Wir müssen eine Reihe von Faktoren berücksichtigen: Gewachsene Bindungen wollen wir nicht auseinanderreißen, wir achten auf das Lebensgefühl von Menschen. Dann gibt es die Infrastruktur und die Geographie zu beachten, wenn etwa Straßen, Bahndämme, Flüsse Gebiete trennen. Und natürlich gibt es auch sehr unterschiedliche Milieus. Manchmal kann es hilfreich sein, ähnliche Milieus zusammenzubringen, manchmal kann es aber auch sinnvoll sein, eine besser situierte Gegend mit einer weniger gut situierten zusammenzubringen, damit sie sich gegenseitig bereichern, nicht nur einseitig materiell, sondern auch was Sichtweisen angeht. Das alles muss jeweils individuell und im Austausch mit allen Beteiligten festgelegt werden. Es gibt keinen Masterplan mit Kriterien, die mechanisch angewandt werden. Das wäre lebensfremd.

Frage: Die Reform wird nun kurz nach der Pfarreien-Instruktion aus dem Vatikan diskutiert. Die Instruktion wurde in Deutschland größtenteils negativ kommentiert, wenn auch nicht von der Kölner Bistumsleitung. Haben Sie den Eindruck, dass dadurch Motivation zerstört wurde, auch im Erzbistum Köln?

Hofmann: Es ist tatsächlich Verunsicherung eingetreten, auch bei uns im Erzbistum habe ich das wahrgenommen. Denn die erste Wahrnehmung war doch sehr auf die Frage reduziert, was Laien „dürfen“ und was nicht. Es ist wichtig zu verstehen, was das Ziel der Instruktion wie auch unseres Pastoralen Zukunftsweges ist: Es geht um einen missionarischen Aufbruch. Das Ziel ist, deutlich zu machen, dass wir aus der Komfortzone herauskommen müssen, in der einfach alles weitergeht wie bisher. Namentlich die Mitarbeit von Laien, echte Verantwortung von Nichtgeweihten ist auch in der Instruktion deutlich erwähnt und gewollt.

Diagramm zur Pfarrei der Zukunft
Bild: ©Erzbistum Köln

So soll die Pfarrei der Zukunft aussehen – in der Mitte, ganz klein im Bild, laufen alle Fäden beim leitenden Pfarrer zusammen.

Frage: Missionarischer Aufbruch ist auch Ihr erklärtes Ziel. Wie schafft man es, dass die bestehenden, oft sehr familiären Gemeinden sich missionarisch weiten?

Hofmann: Wichtig ist, dass wir stärker noch als bisher ins Bewusstsein heben, dass jeder Getaufte auch gleichzeitig eine Berufung, einen Auftrag hat, und jeder, der die Firmung empfangen hat, auch zu anderen gesandt ist. Das ist nicht etwas für eine bestimmte kleine Gruppe, eine Elite, für Leute, die sich dann irgendwie besonders engagieren wollen. Wenn das wieder deutlicher wird, wenn auch die Schönheit der Taufberufung erfahrbar wird, dann wird das auch nicht überfordern. Es macht Freude, den Glauben zu teilen und anzubieten.

Frage: Und wo kommen dafür die Ehrenamtlichen her? Wie qualifiziert man sie?

Hofmann: Es braucht Unterstützung, Hilfen und Qualifikation, auch Anerkennung und Wertschätzung – und die Übertragung echter Verantwortung und Gestaltungsfreiheit. Wir haben in unserem Erzbistum seit einigen Jahren Engagement-Förderinnen und -Förderer. 60 Personen, die dabei sehr gute Erfahrungen machen und zeigen, dass es möglich ist, Menschen anzusprechen, die sich bisher nicht engagiert haben. Das macht mir Mut. Deshalb sollen in Zukunft zu jedem multiprofessionellen Pastoralteam auch eine hauptberufliche Engagementförderin oder ein Engagementförderer gehören.

Frage: Ein Aspekt in der Instruktion, der sehr kritisch aufgenommen wurde, ist die Rolle des Priesters in Organen der gemeinsamen Verantwortung: Immer muss klar sein, dass er Vorsitzender eines Gremiums ist. Funktioniert das in einem deutschen Kontext: Klarzumachen, dass der Priester die Leitung und nicht Teil eines Teams ist?

Hofmann: Der Priester leitet die Pfarrei und trägt die Letztverantwortung. Das heißt aber nicht, dass er selbst alles bestimmen muss. Er muss auch nicht alles entscheiden. Wir haben heute die Praxis, dass es in einem Kirchenvorstand einen geschäftsführenden Vorsitzenden gibt. Ich habe selbst einige Monate übergangsweise eine Pfarrei geleitet und war sehr dankbar, dass ich in vier Kirchenvorständen und einem Kirchengemeindeverband sehr kompetente Personen hatte, die es mir ermöglicht haben, meine Verantwortung insgesamt wahrzunehmen, ohne in jedem Detail immer der Fachmann sein zu müssen. Das geht ja auch gar nicht. Unser Modell einer oder eines geschäftsführenden Vorsitzenden, die oder der in Absprache mit dem Pfarrer Sitzungen leitet und auch Entscheidungen mit anderen zusammen treffen kann, halte ich auch für die Zukunft für sinnvoll und gangbar.

Die Kölner Basilika St. Severin
Bild: ©Eckhard Henkel – stock.adobe.com (Archivbild)

Blick auf die Basilika St. Severin in Köln und das zugehörige Stadtviertel. Weiterhin werden Kirchen die zentralen kirchlichen Landmarken sein. Doch über die ökumenische Nutzung von Gebäuden wird auch verstärkt nachgedacht werden.

Frage: Aber ist es nach der Pfarreien-Instruktion auch kirchenrechtlich gangbar? Das klingt, als würde da dem Pfarrer nur noch pro forma die Leitung zugesprochen.

Hofmann: Ich bin nicht nur pro forma Leiter, wenn ich nicht alles im Einzelnen festlege. Das gibt es auch in anderen Organisationen. Da muss nicht immer die Leitung eines Unternehmens oder einer Abteilung alles bis ins letzte Detail selber vorgeben. Delegation ist ein wesentlicher Faktor intelligenter Leitung. Ob am geltenden Kirchenvorstandsrecht etwas geändert werden muss, ist aber noch genauer zu klären. Ich hoffe, dass die bei uns geltende Regelung so weiter möglich ist. Dazu braucht es noch Gespräche. Die Signale, die dazu bei mir ankommen, sind aber positiv.

Frage: Veränderungen sind schwierig. Was sagen Sie Menschen, die ihre gewohnten Pfarrei- und Gemeindestrukturen lieber behalten würden?

Hofmann: Wichtig ist, dass es zuerst eine geistliche Herausforderung, nicht nur ein Strukturprozess ist. Es gibt das Wort „Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit“. Realitäten, die wir heute haben, sind nicht einfach etwas Negatives, etwas Schädliches, sie sind zunächst da, und da begegnet uns Gott. Es geht darum zu sehen: Was ist in alledem ein Ruf Gottes an uns, ein Ruf zur Bekehrung? Was heißt das für mich, wie soll ich mein Leben als Christ heute gestalten? Welche Chancen stecken darin? Ein zweiter Punkt: Wir fragen oft zuerst, was wir möglicherweise an Bewährtem und Gewohnten aufgeben. Das ist menschlich. Wir sollten aber an erster Stelle danach suchen, wo die Chancen liegen, Neues zu entwickeln. Wo eröffnen sich uns neue Spielräume, aus der Zuwendung Gottes zu leben? Das ist zukunftsweisend.

Von Felix Neumann