Kardinal Hollerich: Bin offen für Frauen als Priesterinnen
Der jüngste Rom-Besuch von Kardinal Jean-Claude Hollerich wurde vom Brand in Moria und den verfahrenen Brexit-Verhandlungen überschattet. Im Interview äußerte sich der Luxemburger Erzbischof und Vorsitzende der Kommission der EU-Bischfskonferenzen auch über den Papst und seine Sicht auf den Synodalen Weg in Deutschland.
Frage: Herr Kardinal, Sie leiten die Kommission der katholischen Bischofskonferenzen in der EU. Was befällt Sie angesichts der verfahrenen Situation zwischen den Briten und der EU?
Hollerich: Es tut mir weh. Ich habe Probleme zu verstehen, wenn man Verträge nicht mehr einhalten will, denn es werden Grundlagen der Zusammenarbeit in Frage gestellt. Ich will nicht unterstellen, Premierminister Johnson sei Populist, aber sein Verhalten trägt populistische Züge. Solch gefährliche Tendenzen können der Weltordnung sehr schaden. Ich hoffe, dass die Bürger der EU und des Vereinigten Königreichs Freunde bleiben und nicht zu viel Porzellan zerschlagen wird.
Frage: Sie haben sich nach dem Brand in Moria sehr klar für eine schnelle Aufnahme von Flüchtlingen von dort ausgesprochen. Damit liegen Sie ganz auf der Linie des Papstes. Wie ungeteilt ist diese Auffassung innerhalb der Bischofskonferenzen in der EU?
Hollerich: Da müssen Sie andere Bischofskonferenzen fragen. Dies ist aber nicht nur die Linie von Papst Franziskus, sondern die des Evangeliums. Dem bin ich verpflichtet und kann nichts anderes sagen. Es gibt Bischöfe, die Flüchtlinge als Bedrohung sehen, aber vom Evangelium her kann das nicht meine erste Reaktion sein.
Frage: Welche Stimmungen erfahren Sie diesbezüglich in Ihrem Land?
Hollerich: Ich stehe diesbezüglich in ständigem Kontakt mit Außenminister Jean Asselborn, der auch Minister für Immigration und Asyl ist. Bei ihm spüre ich, er hat ein großes Herz und möchte den Menschen helfen. Es gibt natürlich auch Leute, die keine Flüchtlinge mehr wollen. Die kann ich ein Stück weit verstehen. In Luxemburg sind Immobilien so teuer geworden, dass viele Familien ins benachbarte Ausland umziehen.
Frage: Steigen die Preise wegen der Flüchtlinge?
Hollerich: Nicht direkt. Aber diese bekommen Sozialwohnungen mit dem bei uns sehr hohen Standard. Ich selber könnte mir nach meiner Pensionierung eine solche Wohnung nicht mehr leisten. Vielleicht war es ein Fehler, die ganze Flüchtlingshilfe zu verstaatlichen. Hätte man dies den NRO und den Kirchen überlassen, würde unbürokratischer geholfen, man würde mehr teilen und Integration wäre einfacher. Ohne Frage müssen die ärmeren Bürger des Landes berücksichtigt werden. Aber um Populisten bei Wahlen zu schlagen, darf man sich nicht ihrer Argumente bedienen. Ich sehe mit Erstaunen, dass in Deutschland die Grünen und Linken in der Hinsicht viel offener sind als die C-Parteien.
Frage: Apropos "C": Franziskus hat Europa mehrfach flehentlich gemahnt, seiner Verantwortung gerecht zu werden. Wie frustriert ist der Papst angesichts der tatsächlichen Politik?
Hollerich: Er ist nicht frustriert. Er ist ein Mann des Gebets, hat sicher schwere Momente, aber er agiert aus seiner christlichen Hoffnung heraus. Und wird nicht müde, immer wieder dieselbe Botschaft des Evangeliums an die Welt zu richten. Für mich ist er in der Hinsicht ein Vorbild
Frage: In zwei Wochen erwarten wir die neue Papst-Enzyklika "Fratelli tutti" ...
Hollerich: Ich sage lieber: "Fratelli e sorelle tutti", also: alle Brüder und Schwestern ...
Frage: Was kann diese tatsächlich bewirken?
Hollerich: Ich glaube, dass sie wie schon "Laudato si" viel bewirken kann, indem sie das Handeln von Menschen motiviert. Als ich vor einiger Zeit den österreichischen Bundespräsidenten Van der Bellen traf, waren wir sofort bei "Laudato si". Das päpstliche Rundschreiben ermöglicht verschiedene Allianzen. So bin ich sicher, dass der Präsident der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg, Werner Hoyer, auf derselben Linien liegt.
Frage: Covid-Pandemie und Lockdown setzen den Kirchen sehr zu. Was setzen Sie als Bischof dem entgegen?
Hollerich: Bloß anordnen kann ich da nichts. Die Zahlen bei Erstkommunionen und Katechesen sind stark gesunken. Zwar gab es gute Online-Angebote, aber Familien waren überfordert, weil Eltern sich schon um die Schul-Hausaufgaben kümmern mussten. Zudem bleiben viele Gewohnheitschristen weg, die merken, dass ihnen die Kirche nicht fehlt. Die kommen auch nicht zurück, was aber auch eine Chance ist.
Frage: Wie das?
Hollerich: Wir können uns anders aufstellen, müssen jetzt Gemeinschaften bilden, nicht nur beim Kirchgang. Tod und Auferstehung von Jesus Christus müssen ins Zentrum, sonst hätten wir in der Covid-Krise nichts zu sagen. Wir können Hoffnung geben, brauchen neue Formen der Evangelisierung, keine Restauration früherer Verhältnisse.
Frage: Was genau ist Evangelisierung?
Hollerich: Die Botschaft des Evangeliums mit Wort und Tat zu verkünden, die Zuwendung Jesu zu den Menschen. Wenn man diese mit Überzeugung lebt, verändert das auch Strukturen und schafft neue Dienste in der Kirche.
Frage: Welchen Eindruck haben Sie vom Synodalen Weg der Kirche in Deutschland?
Hollerich: Ich habe sehr großen Respekt, dass man sich traut, sehr große Fragen zu stellen; die müssen auch gestellt werden. Ich will mich keinesfalls einmischen – aber ob man die Antworten auf diese Fragen in einem einzelnen Land geben kann oder es mit der Zeit nicht eine europäische Synode bräuchte? Wenn ich sehe, dass einzelne deutsche Bischöfe über Segnungen homosexueller Paare nachdenken, und höre, was Bischöfe in Polen zu solchen Themen äußern – das wird schwer. Die Kirchen denken oft zu national, auf die Lage in ihrem jeweiligen Land bezogen. Wir müssen uns mehr austauschen.
Frage: Sie sprachen von "sehr wichtigen Fragen" beim Synodalen Weg. Was ist die wichtigste?
Hollerich: Die Stellung der Frauen in der Kirche. Ich sage nicht, dass sie Priesterinnen werden müssen; das weiß ich ganz einfach nicht. Aber ich bin dafür offen. Klar ist jedoch, die jetzige Situation reicht nicht. Man muss sehen und merken, dass Frauen Mitspracherecht in der Kirche haben. Am Synodalen Weg mag ich, dass er ein Weg ist, von dem man nicht immer weiß, wie er weitergeht. Man unternimmt Schritte und schaut gemeinsam nach den nächsten.