Sinnfragen, Reformen und die Ökumene
Frage: Herr Prälat Wakenhut, 13 Jahre waren sie Militärgeneralvikar. Das heißt: als Geistlicher dem Militärbischof unterstellt, zugleich aber als Leiter des Militärbischofsamts, einer Bundesoberbehörde, dem Verteidigungsminister. Wie haben Sie es geschafft, diese Arbeit "zwischen den Stühlen" zu meistern?
Wakenhut: Das war eigentlich gar nicht so schwierig. Das Ziel, Seelsorge zu ermöglichen, ist sowohl beim Militärbischof als auch beim Verteidigungsminister stark ausgeprägt. Die Militärseelsorge ist der vom Staat gewünschte und von den Kirchen zur Verfügung gestellte Dienst der Seelsorge an Soldaten. Unter diesem Obergedanken konnte ich immer gut arbeiten.
Frage: Gab es Ereignisse, bei denen Ihnen der Spagat zwischen Kirche und Staat nur sehr schwer oder auch gar nicht gelungen ist?
Wakenhut: Den größten Spagat hatte ich auszuhalten, als ich nach dem Rücktritt von Bischof Walter Mixa im Jahr 2010 und dem Antritt von Bischof Franz-Josef Overbeck im Jahr 2011 keinen Militärbischof hatte. Da lag ich manchmal mit mir selbst im Konflikt, ob ich jetzt die Interessen des Militärbischofs vertreten muss, der ich in diesem Moment quasi war, oder die des Staates. Aber es war immer in meinem eigenen Herzen zu lösen.
Frage: Die vergangenen Jahre waren für die Bundeswehr eine Zeit voller Umbrüche - zum Beispiel der Afghanistan-Einsatz, der Kampf gegen den Terror, die Bundeswehrreform mit Standortschließungen oder die Aussetzung der Wehrpflicht. Welche Auswirkungen hatte das auf die Militärseelsorge?
Wakenhut: Das hatte große Auswirkungen. Durch die Bundeswehrreform werden sich beispielsweise unsere Dienststellen in den nächsten Monaten von 91 auf 75 reduzieren. Zur Zeit des Kalten Krieges waren es über 130. Es hat sich zudem eine enorme Reduzierung der Pfarrerzahlen ergeben. Somit ist es schwierig, die zusätzlichen Aufgaben, die sich durch Auslandseinsätze ergeben, zu bewältigen. Durch die hohe Motivation unserer Mitarbeiter ist uns das aber immer gut gelungen. Was man in seiner ganzen Dimension noch nicht ausloten kann, ist die Aussetzung der Wehrpflicht. Die Soldaten, die jetzt kommen, haben sich bewusst dafür entschieden. Sie leisten keine Pflicht ab, sondern kommen freiwillig. Das hat auch Auswirkungen auf die berufsethische Qualifikation dieser Leute.
Frage: Gerade seit dem Beginn des Afghanistan-Einsatzes wird in der Öffentlichkeit viel und kritisch über die Bundeswehreinsätze im Ausland diskutiert. Ist das eine Herausforderung für die Militärseelsorge?
Wakenhut: Die mangelnde Akzeptanz des Einsatzes in Afghanistan ist natürlich ein Thema. Ich lese gerade noch einmal das Schreiben "Gaudium et Spes" des Zweiten Vatikanischen Konzils, in dem die globale Verantwortung der Christen festgehalten ist. Menschenrechte und Menschenwürde zu verteidigen, ist für unsere Soldaten ein ehrenwertes Motiv, auch in Afghanistan. Natürlich wissen sie, dass sie immer nur der Notnagel der Politik sind, wenn alle nicht-militärischen Möglichkeiten erschöpft sind.
Frage: Im aktuellen "Kompass", der Zeitschrift des katholischen Militärbischofs, spricht Militärbischof Overbeck davon, dass der "zu registrierende, deutlicher werdende Verzicht unter den Soldatinnen und Soldaten auf den Gottesdienst und den sakramentalen Dienst der Kirche in den Einrichtungen der Bundeswehr einer Antwort durch die Militärseelsorge bedarf". Wenn immer weniger Soldaten sich als Christen bekennen, brauchen wir dann überhaupt noch Militärseelsorge?
Wakenhut: Seelsorge heißt zunächst einmal, sich um den Menschen zu kümmern. Im Rückblick auf meine Arbeit ist mir klar geworden, wie sehr sich die Aufgaben verlagert haben. Vor 50 Jahren war die Haupttätigkeit der Militärseelsorge, Gottesdienste abzuhalten. Mittlerweile stehen die individuelle Seelsorge und persönliche Gespräche im Vordergrund.
Frage: Es bedarf also einer Neujustierung?
Wakenhut: Auf jeden Fall. Militärseelsorger müssen sich ganz anders qualifizieren. Es ist nicht mehr der gute Sänger für Gottesdienste gefragt, sondern derjenige, der gut mit seiner Theologie umgehen und die jungen Leute in ihren Lebenssituationen begleiten kann, zum Beispiel bei der Sinnfrage eines Einsatzes in Afghanistan.
Frage: Priestermangel ist nicht nur ein Problem der Bistümer, sondern auch der Militärseelsorge. Muss man daher mehr auf Ökumene und Laien setzen?
Wakenhut: Die Militärseelsorge steht auf zwei Beinen: evangelisch und katholisch. Wenn eines wegfällt, funktioniert das Ganze nicht mehr. Mit diesem Prinzip arbeiten wir sehr gut und haben ein hervorragendes Verhältnis zu unseren evangelischen Brüdern und Schwestern. Wir haben das Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften übernommen und die evangelische Seite legt den Schwerpunkt auf Einsatz- und Hinterbliebenen-Seelsorge. Es geht nur ökumenisch. Bezüglich der Laien hat Militärbischof Overbeck vorgegeben, zu 50 Prozent Pastoralreferentinnen und -referenten einzusetzen. Wobei es schwierig wird, auf die Zahl zu kommen. Ebenso sind wir dabei, neue Konzepte zu entwickeln, um gut-katholische Soldaten zu einer noch aktiveren Teilnahme an der Militärseelsorge zu motivieren.
Frage: Zum 1. November tritt ihr Nachfolger, Monsignore Reinhold Bartmann, an. Welchen Tipp können Sie ihm für sein neues Amt mitgeben?
Wakenhut: Zunächst einmal, dass Militärseelsorge viel Freude macht. Und, dass es sehr viel auf die Vernetzung innerhalb der Bundeswehr ankommt. Aber Bartmann bringt die besten Voraussetzungen mit, da er schon seit vielen Jahren in der Militärseelsorge aktiv ist.
Frage: Wie geht es für Sie weiter?
Wakenhut: Als ich 1997 Wehrbereichsdekan in München wurde, habe ich zugleich eine kleine Gemeinde im Süden von München übernommen. Dort werde ich wieder hingehen und das sein, was ich von Anfang an sein wollte: Seelsorger in einer kleinen Gemeinde.
Das Interview führte Christoph Meurer