FDP-Politiker Kubicki: Kirchen müssen sich der Sterbehilfe öffnen
Wolfgang Kubicki, FDP-Politiker und Vizepräsident des Bundestages, fordert von den Kirchen, Sterbehilfe in ihren Einrichtungen zuzulassen. "Vielen Menschen gibt es Trost, in ihren letzten Stunden in einer kirchlichen Einrichtung zu sein und dabei die erbauliche Kraft des Glaubens zu spüren", schreibt der FDP-Politiker in einem Gastbeitrag für die "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag). "Daher wäre es nur richtig, Sterbehilfe auch in kirchlichen Einrichtungen zu ermöglichen."
Kubicki bezieht sich auch auf persönliche Erfahrungen: Sein Bruder habe nach einem schweren Herzinfarkt zwei Jahre lang im Wachkoma gelegen, bevor er habe sterben dürfen. "In dieser Zeit hat sich meine Haltung zur Sterbehilfe um 180 Grad gedreht", so Kubicki. Er habe gelernt, dass Medizin nicht alles das machen dürfe, was sie könne. Der FDP-Politiker berief sich auf das Grundgesetz, das fordere, dass zu einem Leben in Würde auch ein Sterben in Würde dazugehören müsse. "Besteht die Aussicht auf Heilung nicht mehr, muss es also möglich sein, seinem Leben in Würde und selbstbestimmt ein Ende zu setzen." Bei diesem schwierigen Prozess sei eine professionelle Begleitung unabdingbar. "Es wäre menschenunwürdig und grausam, sollte nicht zumindest die Möglichkeit einer emotionalen Hilfeleistung in Aussicht stehen."
Anne Schneider, Frau des ehemaligen Ratspräsidenten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, sprach von einem Freiraum und einer aktiven Verantwortung, die jeder Mensch bei der Bestimmung seines Sterbezeitpunkts habe. "Ich sehe im Tod nicht nur und nicht immer einen grausamen Feind, sondern auch eine Tür in verheißenes unzerstörbares Leben bei Gott", schreibt sie. "Warum sollen Menschen nicht in einer eigenverantwortlichen Entscheidung den Schritt durch diese Tür beschleunigen?"
Anselm Grün und Philippa Rath widersprechen
Demgegenüber erklärte der Bestseller-Autor und Mönch Anselm Grün, Christen hätten die Aufgabe, "Sterbende mitfühlend zu begleiten, ihre Schmerzen zu mindern und ihnen ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen". Mit Blick auf aktive Sterbehilfe schreibt er in "Christ und Welt", kirchliche Einrichtungen sollten dem Druck danach nicht nachgeben. Die Bitte nach aktiver Sterbehilfe sei in Wirklichkeit ein Schrei nach Solidarität.
Auch Philippa Rath, Benediktinerin der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen, forderte einen Ausbau von Palliativmedizin und Hospizarbeit. "Das Leben als solches ist für die menschliche Freiheit unverfügbar, ist reines Geschenk, ist Gabe Gottes", schreibt sie. "Aktive Sterbehilfe und organisierte Beihilfe zum Suizid dürfen deshalb aus meiner Sicht in kirchlichen Einrichtungen keine Anwendung finden."
Ende Februar hatte das Bundesverfassungsgericht das vom Bundestag beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben. Die Richter betonten, es gebe ein umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Darin sei die Freiheit eingeschlossen, auch die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Hannovers evangelischer Landesbischof Ralf Meister sorgte daraufhin mit einem Vorstoß für Aufsehen, in dem er sich für ein Recht auf Selbsttötung aussprach. Auch eine entsprechende Beihilfe in kirchlichen Heimen halte er für zulässig. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) widersprach dieser Position deutlich. Auch nach dem Willen des Vatikan bleiben aktive Sterbehilfe und assistierter Suizid weiter ethisch verboten. In einem jüngst veröffentlichten Papier mit dem Titel "Samaritanus bonus" ("Der barmherzige Samariter") bekräftigt die Glaubenskongregation die katholische Lehre, nach der solche Schritte die ethischen und rechtlichen Grenzen der Selbstbestimmung überschreiten. Unterdessen soll es Ärzten künftig auch nach ihrem eigenen Berufsrecht erlaubt sein, Menschen beim Suizid zu helfen. Die Bundesärztekammer will zeitnah das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umsetzen. (tmg/KNA)