Sterbehilfe-Debatte: Streit um die Rolle von Ärzten am Lebensende
In die Debatte um die Rolle von Ärztinnen und Ärzten am Lebensende kommt Bewegung. Die Bundesärztekammer denkt an ein Tolerieren ärztlicher Beihilfe zu Selbsttötungen und an eine Änderung des Berufsrechts. "Wir können nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine Norm aufrechterhalten, die dem Arzt jede Form von Unterstützung untersagt. Die Berufsordnung kann so nicht bleiben", sagte Ärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt dem "Spiegel".
Ende Februar hatte das Bundesverfassungsgericht das vom Bundestag beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben. Die Richter betonten, es gebe ein umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Darin sei die Freiheit eingeschlossen, auch die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen.
Zuletzt hatte daraufhin Hannovers evangelischer Landesbischof Ralf Meister mit einem Vorstoß für Aufsehen gesorgt, in dem er sich für ein Recht auf Selbsttötung aussprach. Auch eine entsprechende Beihilfe in kirchlichen Heimen halte er für zulässig. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hatte dieser Position widersprochen. "Der Gedanke, die dem Menschen von Gott geschenkte Autonomie umfasse auch ein fundamentales Recht, sich selbst zu töten, ist problematisch", sagte DBK-Sprecher Matthias Kopp.
Wie der "Spiegel" jetzt weiter berichtet, soll im Mai 2021 der nächste Ärztetag über eine Änderung der Berufsordnung abstimmen. Nach Darstellung des Magazins hat der Vorstand der Ärztekammer das Thema im Juni beraten und empfiehlt eine Änderung der Berufsordnung. In dieser heißt es derzeit: "Ärzte dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten." Denkbar sei eine Streichung des Satzes.
"Dann sollte es ihm möglich sein, Hilfe zu leisten"
Reinhardt sagte, er halte die Sterbehilfe zwar nicht für eine ärztliche Aufgabe. "Aber es kann Einzelfälle geben, das ist zumindest meine persönliche Meinung, in denen es für einen Arzt gerechtfertigt erscheinen kann, einem Patienten beizustehen. Dann sollte es ihm möglich sein, Hilfe zu leisten."
Abgeordnete des Bundestags wollen dem Bericht zufolge in der kommenden Woche fraktionsübergreifend nach Lösungen suchen. Der SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach forderte Rechtssicherheit für Ärzte. Ein neues Gesetz müsse so klar sein, dass auch die Kammern es nicht umgehen könnten. "Die Frage, ob ein Arzt seinem Gewissen folgen darf, um schwerstkranken Menschen unter großem Leidensdruck zu helfen, darf nicht davon abhängig sein, wer gerade Präsident einer Ärztekammer ist", so Lauterbach.
Die katholische Kirche zeigt sich weiterhin besorgt über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und über neue Initiativen zu einer Aufweichung des Ist-Zustands. In der Praxis bestehe "die große Gefahr, dass der assistierte Suizid zu einer normalen Option am Ende des Lebens wird", erklärte Kopp Anfang September. An erster Stelle müsse das Bemühen stehen, Menschen am Lebensende Fürsorge, Begleitung und Linderung anzubieten." Entscheidend sei ein weiterer Ausbau von Hospizarbeit und Schmerzbehandlung.
Auch aus Sicht des Vatikans bleiben aktive Sterbehilfe und assistierter Suizid weiterhin ethisch verboten. Lebensverkürzende Maßnahmen seien Zeichen einer "Wegwerfkultur" und keine Lösungen für die Probleme todkranker Patienten, heißt es im am Dienstag im Vatikan veröffentlichten Dokument "Samaritanus bonus" der Glaubenskongregation. In komplexen Gesundheitssystemen drohe das Verhältnis zwischen Arzt und Patient auf technische und vertragliche Aspekte reduziert zu werden. Dieses Risiko bestehe vor allem in Ländern, in denen man Beihilfe oder gar gewerbsmäßige Hilfe zum Suizid sowie Tötung auf Verlangen legalisiere. Hinter dem Verlangen von Schwerkranken nach einer Beendigung ihres Lebens stehe fast immer der Ruf nach Hilfe und Liebe. (cbr/KNA)