Für den Opfervertreter sind es "keine Einzelfälle"

Katsch: Missbrauch im Sport wie in der Kirche systemisches Problem

Veröffentlicht am 13.10.2020 um 15:46 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/Berlin ‐ Im Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch müssten die Sportvereine und -verbände noch viel tun, findet Matthias Katsch. Der Opfervertreter betont, dass es nicht bloß um einzelne, isolierte Taten gehe – und zieht eine Parallele zur Kirche.

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Aus Sicht des Sprechers des Opferverbandes "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, geht es bei Missbrauchstaten im Sport nicht um "Einzelfälle", die "isoliert voneinander" betrachtet werden müssten. Es gehe "wie bei den Kirchen auch" um "systemische Fragen", sagte Katsch am Montag in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. "Das hat zu tun beim Sport mit dem Nähe-Distanz-Verhältnis, mit der Körperlichkeit, mit dem besonderen Vertrauensraum, der da entsteht, mit dem Machtgefälle zwischen Kindern und Jugendlichen auf der einen Seite und der Institution, den Trainern und so weiter auf der anderen Seite."

Auch im Sinne der Prävention sei es wichtig, dass die Institutionen wie Vereine und Verbände die Verantwortung für systemisches Versagen übernähmen. Zum Kampf gegen Missbrauch gehörten auch finanzielle Entschädigungen. "Es braucht eine Diskussion zwischen den Sportvereinen, den Sportverbänden, den Geldgebern, wie denn ein Hilfesystem und eine Verantwortungsübernahme auch in Bezug auf Schmerzensgeld oder Entschädigung aussehen kann", fordert der Opfervertreter.

Über unabhängige Stellen müssten den Betroffenen Brücken gebaut werden, damit diese sich offenbaren könnten. Das sei bisher noch zu selten der Fall, so Katsch: "Es scheint so zu sein, dass der Sport die Menschen in eine sehr tiefe Schweigespirale hineinzieht. Das kann damit zu tun haben, dass Opfer, das, was ihnen widerfahren ist an Grenzüberschreitung, zunächst mal gar nicht als sexuellen Missbrauch erlebt haben, sondern als 'eine andere Art von Beziehung'." Die Betroffenen trauten sich häufig nicht, Ansprüche zu formulieren. Grund dafür seien Tabus, über Sexualität oder Geld zu sprechen.

Katsch ist einer von drei ehemaligen Schülern des Jesuitengymnasiums "Canisius-Kolleg" in Berlin, die vor über zehn Jahren den damaligen Rektor Klaus Mertes aufsuchten, um Missbrauch durch zwei Patres der Schule anzuzeigen. Dies löste eine bundesweite Debatte über sexuellen Missbrauch aus und führte zur Aufdeckung weiterer Fälle auch in nichtkirchlichen Einrichtungen.

Andresen: Man hat es vielfach mit Vertuschung zu tun

Auch die Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, Sabine Andresen, fordert die Verantwortlichen im Sport auf, die Taten aufzuarbeiten. Sie gehe von einer hohen Dunkelziffer an sexuellen Gewalttaten im Sport aus, sagte Andresen am Dienstag in Berlin. Man habe es vielfach mit Vertuschung der Übergriffe zu tun. Häufig seien auch Täter geschützt worden. Künftig brauche es unabhängige Anlaufstellen, die Anerkennung der Folgen für die Betroffenen und deren Unterstützung durch die Sportverbände, sowie eine unabhängige Aufarbeitung aller bisherigen Fälle.

Rund sieben Millionen Kinder und Jugendliche seien im Sport aktiv und machten dort wichtige und gute Erfahrungen, sagte Andresen. Der Sport sei allerdings auch ein Ort, an dem Kinder nicht geschützt worden seien. Während bei der Prävention inzwischen Bemühungen zu erkennen seien, sexueller Gewalt vorzubeugen, stehe die Aufarbeitung vergangener Taten noch am Anfang. Andresen äußerte sich anlässlich eines öffentlichen Hearings über sexuellen Kindesmissbrauch im Sport. Die Aufarbeitungskommission stützt ihre Arbeit auf Anhörungen von Menschen, die sexuelle Gewalt erlebt haben. Nach eigenen Angaben hat die Kommission seit 2016 insgesamt rund 1.750 Betroffene angehört. Sie legte Berichte vor zu sexueller Gewalt in den Kirchen, in Familien, in Institutionen der DDR und besonders schwerer organisierter sexualisierter Gewalt. (cbr/epd)