Kirchlicher Lobbyismus in Berlin – Ein Fall für den Gesetzgeber?
Mit der Titulierung als Lobbyist hat Prälat Karl Jüsten so seine Probleme. Wenn überhaupt, so formulierte es der Leiter des Katholischen Büros in Berlin einmal, sei er ein Lobbyist "für Gott und die Menschen". Unterfüttert wird diese Selbsteinschätzung durch Informationen auf der Internetseite des Büros. Dort heißt es: "Die Arbeitsweise des Katholischen Büros ist geleitet von der Vorstellung, dass die katholische Kirche in Deutschland dem Gemeinwohl im Ganzen verpflichtet ist und sich in diesem Sinne in den politischen Meinungsbildungsprozess einbringt. Eine wesentliche Aufgabe der Kirche besteht in der Erhaltung und Stärkung grundlegender sinn- und gemeinschaftsstiftender Wertvorstellungen. Sie will insbesondere den Schwachen und Hilfsbedürftigen in unserer Gesellschaft eine Stimme geben." Dies zeigt: Mit den zahlreichen schlecht beleumundeten Interessenvertretern von Unternehmen und Wirtschaftsverbänden, die im Berliner Regierungsviertel aktiv sind und teilweise aggressiv für ihre Ziele werben, wollen Jüsten und seine Kolleginnen und Kollegen im Katholischen Büro auf keinen Fall in einen Topf geworfen werden.
Allerdings ist die Selbsteinschätzung des Büros nicht unumstritten. Vor allem kirchenkritische Kreise vertreten regelmäßig die These, dass die beiden großen Kirchen mit ihren Hauptstadtrepräsentanzen und ihren engen Kontakten zu Bundestag und Bundesregierung sehr wohl klassische Lobbyisten seien. Zuletzt kritisierte etwa der von der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung und dem Humanistischen Verband Deutschlands initiierte "Humanistische Pressedienst", dass die Kirchen in Berlin einen "unkontrollierten Lobbyismus" betreiben könnten. Und weiter: "Die Rolle der Kirchen als Lobbyisten ist der Öffentlichkeit kaum bekannt. Und das, obwohl ihre Vernetzung so perfekt ist, dass sie sogar von der Autoindustrie beneidet werden."
Arbeiter für das Gemeinwohl oder Vertreter eigener Interessen?
Ob selbstlose Arbeiter für das Gemeinwohl oder knallharte Vertreter eigener Interessen: So unterschiedlich die beiden Perspektiven auf die Tätigkeit der kirchlichen Hautstadtvertretungen auch seien mögen – zumindest die Tatsache, dass es sich dabei um eine Form der Interessenvertretung handelt, ist unstrittig. Und das führt direkt zur nächsten Frage. Denn im Bundestag wird derzeit über ein Lobbyregistergesetz debattiert, mit dem die Arbeit der Interessenvertreter im politischen Berlin transparenter gemacht werden soll. Aktueller Auslöser für die Gesetzesinitiative war die Lobbyaffäre des CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor in diesem Sommer; entsprechende Initiativen hatte es vor allem von Grünen und Linken aber bereits in früheren Jahren gegeben.
Im Zuge der Beratungen über den Anfang September von der Großen Koalition vorgelegten Gesetzentwurf rückten in den vergangenen Wochen auch die Kirchen in den Fokus – denn sie werden in dem Entwurf in einer Weise aufgeführt, die Kritikern missfällt. So plant die Große Koalition zwar, dass sich Interessenvertreter im Umfeld des Bundestags künftig verpflichtend in einem Register eintragen müssen, in dem ihre Namen, ihre Auftraggeber und ihre Branche aufgelistet werden. Allerdings sieht der Gesetzentwurf weitreichende Ausnahmen von dieser Registrierungspflicht vor, etwa für Parteien, kommunale Spitzenverbände – und die Kirchen.
Im Gesetzentwurf der Koalition heißt es dazu in Paragraf 1, Absatz 3: "Der Eintragungspflicht unterliegt die Interessenvertretung nicht (...) im Rahmen der Tätigkeit der Kirchen und sonstigen Religionsgemeinschaften". Begründet wird diese Ausnahme mit Artikel 4, Absatz 1 des Grundgesetzes, in dem die Unverletzlichkeit der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses garantiert wird. Durch dieses Grundrecht, so die Große Koalition, sei die Tätigkeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften ohne Gesetzesvorbehalt geschützt.
Kritik von Sachverständigen an geplanter Ausnahme für die Kirchen
Doch diese Begründung stößt durchaus auf Kritik. Das zeigte sich kürzlich bei einer Anhörung im Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, bei der externe Sachverständige ihre Einschätzungen zu dem Gesetzentwurf der Koalition und den ebenfalls vorliegenden Entwürfen und Anträgen der vier Oppositionsfraktionen abgaben. Hartmut Bäumer von "Transparency International" betonte etwa, dass er mit Blick auf die geplante Ausnahmeregelung für die Kirchen doch "einige Bedenken" habe. An die Koalitionsvertreter im Ausschuss gewandt sagte er: "Die Kirchen sind mit die größten Arbeitgeber bei uns. Wollen Sie ernsthaft sagen, wenn es um soziale Fragen geht, und die Kirchen dann Ihre Interessen vertreten, dass diese das anders machen als andere Lobbyisten?"
„Die Kirchen sind mit die größten Arbeitgeber bei uns. Wollen Sie ernsthaft sagen, wenn es um soziale Fragen geht, und die Kirchen dann Ihre Interessen vertreten, dass diese das anders machen als andere Lobbyisten?“
Ähnlich äußerte sich Albrecht von der Hagen vom Interessenverband "Die Familienunternehmer". Zwar handele es sich dort, wo es um Religion gehe, sicher um einen geschützten Bereich. "Aber die Kirchen und auch manche anderen Religionsgemeinschaften sind wie Unternehmensgruppen. Solche Unternehmensgruppen haben auch ganz ureigene Interessen. Auch das gehört dazu, dass da einmal hingeguckt wird, was für Einflüsse genommen werden." Timo Lange von "Lobbycontrol" betonte, dass auch aus seiner Sicht die geplanten Ausnahmen zu weit gingen. Er zeigte sich gegenüber dem Ausschuss überzeugt, dass es möglich sei, eine verfassungskonforme Lösung zu finden, wie "die Kirchen in ihrer politischen Vertretung Teil des Lobbyregisters werden können".
Juraprofessor verweist auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Eine gegenteilige Position nahm dagegen Christian Waldhoff von der Berliner Humboldt-Universität ein. Der Professor für Öffentliches Recht und Finanzrecht führte aus, dass er die Ausnahmebegründung im Gesetzentwurf der Großen Koalition für richtig halte. Zwar zählten die Kirchen tatsächlich zu den größten Arbeitgebern in Deutschland. Das Bundesverfassungsgericht sage aber in ständiger Rechtsprechung, dass auch die Tätigkeit der Kirchen als Arbeitgeber unter die Religionsausübung falle und damit vom Schutz des vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts umfasst sei. "Das muss man nicht für richtig halten, diese Rechtsprechung ist aber auch in der letzten Entscheidung zu einem arbeitsrechtlichen Fall in der Sache noch einmal bestätigt worden", so Waldhoff.
Philipp Austermann von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl äußerte sich ähnlich. Zwar betonte er, dass er grundsätzlich keine schwerwiegenden Probleme für eine Registrierungspflicht sehe. Gleichwohl nannte er zwei Gruppen, die er "auf alle Fälle" von der Pflicht zur Eintragung im Lobbyregister ausnehmen würde – darunter die Interessenvertretung der Kirchen und Religionsgemeinschaften.
Ob es am Ende des Gesetzgebungsverfahrens – die Abstimmung über das Gesetz im Bundestag ist für 29. Oktober geplant – bei der geplanten Ausnahme von der Registrierungspflicht für die Kirchen und Religionsgemeinschaften bleibt, ist noch nicht absehbar. Zumal Vertreter der Koalition inzwischen angekündigt haben, den Gesetzentwurf im weiteren parlamentarischen Verfahren noch an einigen Stellen ändern zu wollen. Beobachter gehen aber davon aus, dass die Ausnahmeregelung für die Kirchen nicht mehr aus dem Gesetz herausfallen wird.
Kirchenvertreter signalisieren Bereitschaft für freiwillige Eintragung
Doch was sagen eigentlich die Kirchenvertreter in Berlin zu dem Gesetzentwurf? Karl Jüsten betont im Gespräch mit katholisch.de einerseits, dass er sich freue, dass die Kirchen von der Registrierungspflicht im Lobbyregister ausgenommen werden sollten. Dies sei ein positives Zeichen der Koalition und entspreche dem anerkannten Staat-Kirche-Verhältnis. Andererseits kündigt der Leiter des Katholischen Büros an, im Zweifel nicht auf der Ausnahmeregelung bestehen zu wollen. Sein Büro stimme sich derzeit mit anderen kirchlichen Einrichtungen in Berlin ab, ob man sich – "im Sinne der Gleichbehandlung" aller Akteure – eventuell freiwillig registrieren lasse. Eine Entscheidung dazu sei aber noch nicht getroffen.
Der Deutsche Caritasverband und der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) sind da schon weiter. Der Caritasverband erklärt auf Anfrage von katholisch.de, dass man von der vorgesehenen Ausnahmeregelung keinen Gebrauch machen wolle. Im Sinne der Transparenz beabsichtige man, sich in das geplante Lobbyregister eintragen zu lassen. Ähnlich äußert sich die BDKJ-Vorsitzende Lisi Maier: "Für uns als BDKJ steht einer Eintragung in ein Lobbyregister nichts im Wege." Wenn eine Registrierungspflicht für Interessensvertreter eingeführt werde, "werden auch wir uns für unsere Tätigkeiten im politischen Berlin registrieren", so Maier.