Theologe Suess: Papst von Traditionalisten "in die Ecke gedrängt"
Ein Jahr nach der Amazonas-Synode im Vatikan haben mehrere deutschsprachige Teilnehmer Bilanz gezogen. Kritisch äußerte sich der Befreiungstheologe Paulo Suess. In den Debatten bei der Synode habe es eine große Offenheit für echte Reformen gegeben, doch am Ende hätten sich "Traditionalisten" durchgesetzt, die möglichst wenig Veränderung wollten. Sie hätten den Papst "in die Ecke gedrängt" und ihm sogar Spaltungsabsichten und Häresien, also Irrlehren, vorgeworfen. Infolgedessen habe sich Franziskus im Schlussdokument zur Synode "doch sehr zurückgehalten". Dabei wäre aus seiner Sicht eine starke indigene Ortskirche eine "Bereicherung für die ganze Weltkirche und keinesfalls eine Bedrohung, wie es manche befürchten". Suess nahm am Dienstagabend an einer Videokonferenz der Hilfswerke Misereor und Adveniat teil.
Dagegen positiv äußerte sich der deutsche Bischof Johannes Bahlmann aus Obidos in Brasilien. Die Indigenen und alle anderen Menschen aus der Amazonas-Region fühlten sich durch die Synode gestärkt und hätten ein neues Selbstbewusstsein entwickelt, erklärte Bahlmann. Innerkirchlich sei es erfreulich, dass Frauen und Indigene in Lateinamerika inzwischen stärker beteiligt würden, betonte Schwester Birgit Weiler aus Peru. Wichtig sei aber, dass sie nicht nur beraten dürften, sondern auch mitentscheiden. Hier gebe es viele positive Signale, so die Ordensfrau, und sie hoffe sehr, dass diese auch weiter in die Tat umgesetzt würden.
Als Folge der Synode seien in der Amazonas-Region neue Netzwerke entstanden, ergänzte der Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Michael Heinz. Und anders als in Deutschland, wo Papiere oft "abgeheftet und schnell vergessen werden", seien die Synodendokumente in Lateinamerika viel diskutiert und "mit Leben erfüllt" worden. Zusätzlich zur bisherigen Option für die Armen und für die Jugend sei außerdem eine "Option für die Schöpfung und für die Indigenen" dazugekommen, so der Ordensmann. Adveniat und die Kirche in Deutschland sollten dies unterstützen. Außerdem könne man "als synodale Kirche in Deutschland davon lernen und der Kirche ein amazonisches Gesicht geben".
Corona trifft Region "mit aller Brutalität"
Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel verwies auf aktuelle Debatten über das EU-Mercosur-Abkommen zu Handelsbeziehungen mit südamerikanischen Ländern. Dass hier Fragen nach Umweltstandards, Menschenrechten und demokratischer Kontrolle eine entscheidende Rolle spielten, könne man auch als Beispiel dafür ansehen, was konkret aus den Debatten bei der Amazonas-Synode folgen könne.
Mit Blick auf die aktuelle Corona-Pandemie ergänzte Weiler, diese habe "mit aller Brutalität" gezeigt, wie dramatisch die sozialen Unterschiede seien und die damit verbundenen Ungerechtigkeiten: Opfer seien vor allem die Armen, die auf das marode öffentliche Gesundheitssystem angewiesen seien und auch nicht zu Hause bleiben könnten, um sich zu schützen. Außerdem habe die Gewalt gegen Frauen stark zugenommen. Die Kirche müsse daher noch viel mehr Druck auf die Politik machen, um Gewalt zu bestrafen und Menschenrechte zu achten.
Die Amazonas-Synode fand vom 6. bis zum 27. Oktober 2019 im Vatikan statt. In seinem im Februar veröffentlichten nachsynodalen Schreiben "Querida Amazonia" griff der Papst die Anregung der Synode, in Ausnahmefällen auch ältere verheiratete Männer zu Priester zu weihen oder ein Diakonat für Frauen zu schaffen, nicht auf. Als erste Maßnahmen gegen Priestermangel in Amazonien empfahl Franziskus stattdessen Gebete für mehr Berufungen, verstärkten Einsatz vorhandener Priester in der Region sowie eine gezieltere Ausbildung. Insgesamt müssten die Kirche und ihre Seelsorge im Amazonasgebiet noch stärker von engagierten Laien geprägt werden, so Franziskus weiter. Daraufhin war der Papst wegen fehlender Reformen von verschiedenen Seiten kritisiert worden. (tmg/KNA)