Keine Aussage zu Vermerk mit Heßes Namenskürzel

Erzbistum Köln weist Medienberichte über Vertuschung teilweise zurück

Veröffentlicht am 23.10.2020 um 13:36 Uhr – Lesedauer: 

Köln/Hamburg ‐ Wurde im Erzbistum Köln versucht, sexualisierte Gewalt zu vertuschen, und war der jetzige Hamburger Erzbischof Stefan Heße dafür verantwortlich? Eine Stellungnahme der Erzdiözese will einiges klarstellen – Heße begrüßt das. Doch es bleiben Fragen.

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Das Erzbistum Köln kritisiert die Berichterstattung über einen mutmaßlichen Fall sexualisierter Gewalt während der Amtszeit des heutigen Hamburger Erzbischofs Stefan Heße als Kölner Personalchef. In einer Stellungnahme vom Donnerstag beklagt die Diözese, dass "einige in der Öffentlichkeit diskutierte Informationen nicht belastbar" seien und "teilweise Interpretationen" darstellten. Zudem "vermischten" sich Sachverhalte.

Die Erzdiözese legte nun eine Darstellung der Vorgänge vor. Dabei geht es um einen Pfarrer, dem sexualisierte Gewalt gegen seine drei Nichten vorgeworfen wird. Die Fälle sollen sich bereits in den 1990er Jahren ereignet haben. Der Stellungnahme zufolge sei der Verdachtsfall dann am 7. Juni 2010 zur Anzeige gebracht und der verdächtigte Pfarrer am 29. Oktober 2010 "mit sofortiger Wirkung" durch Kardinal Joachim Meisner, den damaligen Erzbischof von Köln, beurlaubt worden. Daraufhin habe ein Gespräch im Generalvikariat stattgefunden, über das eine handschriftliche Notiz angefertigt wurde, "die noch erhalten ist und vorliegt, deren Inhalt aber überwiegend schlecht lesbar ist".

Transkription-Experte entschlüsselt handschriftliche Notizen

Ein erster Transkriptionsversuch sei erfolglos verlaufen, am Donnerstag habe ein "Archivar und Experte für orthographische Transkriptionen" festgestellt, dass die Notiz aus drei Teilen bestehe: einer Mitschrift einer Anhörung des verdächtigten Pfarrers durch den damaligen Personalchef Heße sowie einer Gesprächsnotiz über ein Telefonat zwischen der Justiziarin des Erzbistums Köln und dem damaligen Strafverteidiger des verdächtigten Pfarrers. Der Inhalt des dritten Teils wird in der Stellungnahme nicht thematisiert. Laut dem Sprecher des Erzbistums Hamburg, Manfred Nielen, dem die Notiz in ihrer handschriftlichen und "schwer lesbaren Fassung" ohne die Transkription Kölns vorliegt, wirke der dritte Teil, als seien mit dem Vorgang nicht in Verbindung stehende Notizen versehentlich unter die Papiere geraten. 

Im Wortlaut: Stellungnahme des Erzbistums Köln zur aktuellen Berichterstattung zu einem möglichen Missbrauchsfall im Erzbistum Köln

Im Rahmen der seit dem 19.10.2020 durch die „Bild“ angestoßenen Berichterstattung wurde die Rolle von Erzbischof Dr. Stefan Heße im Umgang mit einem Verdachtsfall von sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln im Jahr 2010 viel diskutiert. Dabei ist aufgefallen, dass einige in der Öffentlichkeit diskutierte Informationen nicht belastbar sind, teilweise Interpretationen darstellen und sich Sachverhalte vermischen. Deshalb möchte das Erzbistum im Interesse aller Beteiligten diese Informationen einordnen und den Hergang auf Grundlage belastbarer Tatsachen und der aktuell vorliegenden Dokumente darstellen.

Entgegen der Berichterstattung in den Medien gebe es, so die Kölner Stellungnahme, nach der letzten Transkription "keine Hinweise auf ein Geständnis". Die Passage, der verdächtigte Pfarrer habe "hier alles erzählt", in dieser Weise zu verstehen, sei "Interpretation". Aus der Stellungnahme geht nicht hervor, welche Interpretation dieser Aussage korrekt wäre. Heße habe am 8. Dezember 2012 in einer Anhörung durch die Staatsanwaltschaft angegeben, "dass der verdächtige Pfarrer ihm gegenüber die Vorwürfe bestritten habe". Gegenüber katholisch.de begrüßte Erzbischof Heße die "Klarstellung" aus Köln, dass es 2010 kein Geständnis des Priesters "und damit auch keine Vertuschung durch mich gegeben hat". Heße hatte sich bereits mehrfach zu Vorwürfen gegen ihn geäußert und dabei persönliche Schuld von sich gewiesen.

Keine Aussage zum Kenntnisstand Heßes

Den Inhalt der Gesprächsnotiz vom 3. November 2010 gibt die Stellungnahme so wieder: "Darin steht, dass aus der handschriftlichen Notiz kein Protokoll gefertigt werden sollte, damit sie notfalls vernichtet werden könnte. Der damalige Hauptabteilungsleiter Seelsorge-Personal, Dr. Heße, habe dazu sein Einverständnis gegeben." Zur Urheberschaft der Notizen gibt es keine Aussagen in der Stellungnahme.

Dabei scheint es zwei ähnlich lautende Aktennotizen zu geben, die auf denselben Tag datiert sind, eine handschriftliche, auf die sich die Kölner Stellungnahme bezieht, und eine maschinenschriftliche, über die "Bild" berichtet hatte: "Bild" zufolge befindet sich ein Namenskürzel Heßes auf einem Aktenvermerk, das zeigen soll, dass über das Gespräch mit dem verdächtigten Priesters mit Heßes Wissen und Billigung nur handschriftliche Notizen angefertigt worden seien, um einer Beschlagnahmung zu entgehen. Heße hatte laut "Bild" bestätigt, dass der Schriftzug wie sein eigenes Kürzel aussehe, schloss dabei aber zugleich aus, "einem Vorgehen zugestimmt zu haben, bei dem in Fällen sexuellen Missbrauchs von Gesprächsinhalten keine Protokolle angelegt oder gar Protokolle, Akten oder Gesprächsnotizen im Zweifel vernichtet werden sollen".

Kardinal Meisner und Kardinal Woelki
Bild: ©picture alliance / dpa /Oliver Berg (Archivbild)

Kardinal Joachim Meisner (links) und sein Nachfolger als Erzbischof von Köln, Kardinal Rainer Maria Woelki hatten beide mit dem Fall des verdächtigten Priesters U. zu tun. 2011 durfte der Beschuldigte seinen Dienst wieder aufnehmen, 2019 wurde ihm die Ausübung seines Priesteramts wieder verboten. Nun ist die Staatsanwaltschaft am Zug.

Gegenüber katholisch.de bestätigt Heßes gegenwärtiger Sprecher Nielen, dass es sich bei dem von der "Bild" genannten Vermerk nicht um die handschriftliche Notiz handelt, auf die sich die Kölner Stellungnahme bezieht. Wer die handschriftliche Notiz geschrieben hat, ist nicht bekannt, auch nicht, wer sie wann gesehen hat. Laut Nielen sei sie nicht in Heßes Handschrift verfasst. Eine Kenntnisnahme durch Heße in den Jahren 2010 oder 2011 lässt sich laut dem Sprecher "nicht mehr rekonstruieren". Erst jetzt sei Heße mit diesem Schriftstück konfrontiert worden. Auf die maschinenschriftliche Notiz mit Heßes Kürzel, über die "Bild" berichtete, geht die Kölner Stellungnahme nicht ein.

Meldung an Glaubenskongregation unterblieb "pflichtwidrig"

Laut der Kölner Stellungnahme seien die Aktenstücke zu diesem Vorgang "kirchenrechtsgemäß gesondert und unter exklusivem Zugangsrecht des Erzbischofs verwahrt". Teilakten wären jedoch an "unterschiedlichen Stellen im Erzbistum" aufbewahrt worden. Ein Sondergutachten der vom Erzbistum später beauftragten Kanzlei zu den Vorgängen in den Jahren 2010 und 2011 sei im März 2019 zu dem "einzigen" Ergebnis gekommen, dass bei dem Vorgang eine Meldung an die vatikanische Glaubenskongregation "pflichtwidrig ausgeblieben" sei. Ein kirchenrechtliches Verfahren gab es nicht. Gegenüber katholisch.de weist Heße darauf hin, dass er sich damals "bei der Weiterleitung des Falls an den für diese Entscheidung zuständigen Erzbischof auf die eindeutige rechtliche Einschätzung der Experten verlassen musste, dass es für die Einleitung eines solchen Verfahrens keine Grundlage gibt".

Dem heute 69-jährigen Beschuldigten werden mehrere Fälle von sexualisierter Gewalt gegen seine drei Nichten in den 1990er Jahren vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft Köln hatte 2010 ermittelt, das Verfahren aber eingestellt, nachdem die Betroffenen ihre Anzeige zurückgezogen hatten. Nachdem die Beurlaubung des verdächtigten Pfarrers 2011 wieder aufgehoben wurde, wurde er im April 2019 durch Kardinal Rainer Maria Woelki, dem gegenwärtigen Kölner Erzbischof, erneut beurlaubt unter Verbot der Ausübung seines priesterlichen Diensts. Die Interventionsstelle des Erzbistums hatte nach erneuter Aktendurchsicht die mittlerweile volljährigen Betroffenen kontaktiert, die jetzt zur Aussage bereit sind. Der Beschuldigte habe im Gespräch mit dem Erzbistum die Vorwürfe bestritten. Ebenfalls im April habe das Erzbistum die Akten der Staatsanwaltschaft übergeben, die Ende Juli Anklage erhob. Das Erzbistum Köln habe zugesagt, die Anwaltskosten der Betroffenen zu übernehmen. Erzbischof Heße teilte mit, dass er es begrüße, "dass das Erzbistum Köln den betreffenden Fall im Nachhinein überprüft, aufgearbeitet und alle weiteren kirchenrechtlichen Schritte eng mit der Staatsanwaltschaft abgestimmt hat". (fxn)