Christ ist nicht, wer Mitglied der Institution Kirche ist, sondern…
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Als im März im vollen Corona-Lockdown auch die Gotteshäuser geschlossen wurden, nahm die Kirche das erstaunlich locker, etwas fatalistisch, auch neugierig-offen auf ein spannend wirkendes Phänomen. Sie brauchte beschämend viel Zeit, die drängenden Grundsatzfragen überhaupt zu entdecken: ihre seltsame Nicht-Systemrelevanz, das Menschenrecht auf Religionsausübung, die unwürdige Isolation so vieler Menschen...
Diesmal im Halblockdown kam die Kirche eher glimpflich davon – bisher jedenfalls. Hat sie einfach Glück gehabt? Zählt sie diesmal mehr? Kann sie sich jetzt entspannt zurücklehnen: "Wir sind ja doch noch wichtig"? Kleine narzisstische Befriedigungen beruhigen schließlich.
Kirche sollte freilich aktiv angehen, was herausfordert: Die Gottesfrage stellt sich neu und ist neu zu stellen, nach innen an uns Christen, nach außen an die Welt. Das Gebet zu Hause oder im Kleinen wurde wichtiger, es ist allerdings laikaler, freier, weniger rituell, weniger institutionell, mehr spirituell als religiös. Die Armen gilt es zu verteidigen: Kinder, Alleinerziehende, einsame Nachbarn, Freiberufler, Migranten, Arme in Entwicklungsländern. Ungewissheit muss im Glauben neu angenommen werden, ebenso Verlangsamung und Konsumverzicht, Vulnerabilität und Angst, Sterblichkeit. Streitfragen, wie die über Strukturen, werden weniger wichtig, dürfen aber nicht einfach als unwichtig entsorgt werden. Die Zugehörigkeitsfrage stellt sich neu: Christ ist nicht, wer Mitglied der Institution ist und an deren Aktivitäten teilnimmt, sondern wer glaubt und betet, wer aus der Schrift lebt, wer solidarisch ist und Schwachen hilft: Es gibt christliche Menschen, die nicht kirchlich sind, aber auch kirchentreue Menschen, die wohl eher wenig christlich sind – aber der Kirche steht gerade nicht zu, darüber zu urteilen.
Das Kerngeschäft wird wichtiger. Dann darf sich die Kirche auch ehrlich freuen, dass sie weiterhin, freilich unter Einschränkungen, öffentlich Gottesdienst feiern kann.
Der Autor
Pater Stefan Kiechle SJ ist seit 2018 Chefredakteur der Zeitschrift "Stimmen der Zeit". Zuvor leitete er sieben Jahre die Deutsche Provinz des Jesuitenordens.