Nach vatikanischen Strafen gegen 97-Jährigen folgt nun die Politik

Kardinal Gulbinowicz soll Ehrenbürgerschaft und Orden verlieren

Veröffentlicht am 10.11.2020 um 16:51 Uhr – Lesedauer: 

Breslau ‐ Die harten vatikanischen Disziplinarstrafen gegen den des sexuellen Missbrauchs beschuldigten Kardinal Henryk Gulbinowicz könnten nur der Anfang gewesen sein. Nun fordert auch die polnische Politik erste Konsequenzen.

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Zuerst verbot der Vatikan dem polnischen Kardinal Henryk Gulbinowicz unter anderem die Nutzung von Bischofsinsignien - jetzt distanziert sich auch seine ehemalige Bischofsstadt Breslau (Wroclaw) von ihm. Der parteilose Bürgermeister Jacek Sutryk sprach sich am Montag dafür aus, Gulbinowicz die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen. Er werde die diesbezüglichen Anträge an den Stadtrat unterstützen, schrieb er via Facebook und Twitter.

Der 97-jährige Kardinal wird des sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen und der Zusammenarbeit mit dem früheren kommunistischen Geheimdienst beschuldigt. Die Vatikanbotschaft in Warschau hatte am Freitag mitgeteilt, dass ihm die Teilnahme an öffentlichen Gottesdiensten und Treffen untersagt sei. Zudem schloss der Vatikan eine Trauerfeier und Beisetzung in der Kathedrale nach seinem Tod aus. Der Kardinal muss darüber hinaus der von der Polnischen Bischofskonferenz für Betroffene von sexueller Gewalt gegründeten "Sankt-Josef-Stiftung" eine "angemessene" Spende zahlen. Die Vatikanbotschaft nannte in ihrer Mitteilung kein konkretes Vergehen des Kardinals. Sie teilte nur mit, die Disziplinarentscheidung sei das Ergebnis einer Untersuchung der gegen Gulbinowicz erhobenen Vorwürfe und der Analyse weiterer Vorhaltungen gegen ihn aus der Vergangenheit.

Gulbinowicz war von 1976 bis 2004 Erzbischof von Breslau. 1985 machte ihn Papst Johannes Paul II. (1978-2005) zum Kardinal. Gulbinowicz ist heute zweitältester Kardinal der katholischen Kirche. Er wurde am 17. Oktober 1923 im damals polnischen und heute litauischen Szukiszki geboren und 1950 zum Priester geweiht.

Bürgermeister empfindet Wut über Kirche

Der katholische Bürgermeister Sutryk betonte, er empfinde Wut, dass die Kirche "nicht vermochte, wirkungsvoll gegen Menschen vorzugehen, die anderen Leid zugefügt haben". Er denke jetzt am meisten an die "Verletzten und Erniedrigten". Schlechtes Benehmen und Verbrechen müssten gebrandmarkt und bestraft werden.

Linke Abgeordnete des polnischen Parlaments forderten unterdessen Staatspräsident Andrzej Duda auf, Gulbinowicz den Orden des Weißen Adlers abzuerkennen. Sein Vorgänger Lech Kaczynski hatte die höchste Auszeichnung der Republik 2009 dem Kardinal übergeben und ihm dabei besonders für seine Unterstützung der Gewerkschaft und Freiheitsbewegung Solidarnosc in den 80er Jahren gedankt. Die Sejm-Abgeordneten erklärten zur Begründung ihrer Initiative, die jüngste Entwicklung zeige, dass der Kardinal weder Respekt noch Wertschätzung hervorrufe.

Der Sprecher des Erzbistums Breslau hatte sich am Freitag bei den Menschen entschuldigt, die von Gulbinowicz verletzt worden seien. Der Dichter Karol Chum hatte den Kardinal im Mai 2019 öffentlich beschuldigt, ihn als Priesterseminarist 1990 kurz nach seinem 16. Geburtstag in der Bischofsresidenz sexuell missbraucht zu haben. Darauf leitete das Erzbistum Breslau eine Untersuchung ein. Gulbinowicz wies die Anschuldigung zurück. Wegen Verjährung wies die Staatsanwaltschaft Chums Strafanzeige ab. (tmg/KNA)