Untersuchung belastet unter anderen Aachens Altbischof Mussinghoff

Bischof Dieser zu Missbrauchs-Gutachten: "Nun haben wir Klarheit"

Veröffentlicht am 13.11.2020 um 15:34 Uhr – Lesedauer: 

Aachen ‐ Gleich mehrere frühere Bischöfe und Generalvikare werden durch das Missbrauchs-Gutachten im Bistum Aachen belastet. Doch die Untersuchung sei notwendig gewesen, betont nun Bischof Helmut Dieser – und würdigt die Arbeit der Kanzlei, die ein anderes deutsches Bistum erst vor Kurzem entpflichtet hatte.

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Der Aachener Bischof Helmut Dieser hat das unabhängige Gutachten zum Umgang mit sexuellem Missbrauch in seiner Diözese gewürdigt. "Nun haben wir Klarheit und klar benannte Fehler der Vergangenheit", schreibt Dieser in einem Statement am Freitag. Mit der Sicht der Gutachter könne sich nun jeder seine Meinung bilden. "Gerade das ist es, was der Aufklärung dient!"

Die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl hatte im Auftrag des Bistums Aachen Akten aus dem Zeitraum von 1965 bis 2019 gesichtet, um etwa Vertuschung von Entscheidungsträgern aufzuklären sowie systemische Fehler herauszufinden. Unter anderem Altbischof Heinrich Mussinghoff (80) sowie seinen früheren Generalvikar Manfred von Holtum (76) wirft das Gutachten vor, bis zum Jahr 2010 mehr am Schutz der Täter orientiert gewesen zu sein als an der Fürsorge für die Opfer.

Bischof Dieser betonte, das Gutachten habe nicht den Zweck, Menschen an den Pranger zu stellen. Vielmehr gehe es darum, aus den Fehlern der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen. "Mit dieser Aufklärungsarbeit haben wir die Chance, besser zu verstehen, wo die Verantwortlichkeiten lagen, damit Täter hätten gestoppt werden können und warum gerade das nicht geschehen ist", so der jetzige Oberhirte.

Offenes Ohr für Betroffene

Man sei es vor allem den Betroffenen schuldig, ein unabhängiges Gutachten beauftragt zu haben. "Denn Unabhängigkeit bedeutet hier vor allem: Wir begutachten nicht uns selbst." Ihm sei der direkte Austausch mit den Betroffenen wichtig. "Ich kann und werde ein offenes Ohr für alle Betroffenen haben, die mir sagen wollen, was ihnen auf dem Herzen liegt." Er wolle das Gutachten in den nächsten Tagen eingehend studieren und gemeinsam mit seinem Arbeitsstab beraten, "wie wir im Bistum Aachen mit den Ergebnissen umgehen und welche Konsequenzen folgen müssen". Erste Schritte sollen bereits in der kommenden Woche bekannt gegeben werden.

Hotline für Betroffene und Zeugen

Im Zuge der Veröffentlichung des Gutachtens hat das Bistum Aachen eine Hotline für Betroffene und Zeugen von Fällen sexueller Gewalt eingerichtet. Sie ist bis zum 20. November zwischen 8 und 18 Uhr unter (02 41) 45 22 25 erreichbar.

Das Gutachten von Westpfahl Spilker Wastl hat Übergriffe von 81 Priestern, darunter zwei Diakonen, gefunden. Von den betroffenen Geistlichen lebten noch 24. Die Zahl der Opfer belaufe sich auf 175, fast drei Viertel seien männlich. Gegenüber verdächtigen und verurteilten Geistlichen habe es laut den Anwälten eine "unverdiente Milde" in der Diözese gegeben. Solche Geistliche seien oft wieder in der Seelsorge eingesetzt worden. Zudem wiesen die Akten auffällige Lücken auf, was auf Manipulation hindeute.

Der Anwalt von Mussinghoff teilte mit, dass der Altbischof bereits bei Amtsantritt klargemacht habe, wie ernst ihm die Aufklärung der Missbrauchsproblematik sei. Zu den "pauschalen Vorwürfen", er habe sich nicht um die Opfer gekümmert, verweist der Anwalt auf die Möglichkeit, dass Betroffene sich an den Missbrauchsbeauftragten hätten wenden können.

Bei der gleichen Kanzlei wie das Bistum Aachen hatte auch das Erzbistum Köln ein ähnlich gelagertes Gutachten in Auftrag gegeben. Dessen Veröffentlichung war jedoch zunächst wegen rechtlicher Fragen verschoben worden. Ende Oktober sagte das Erzbistum die Veröffentlichung aufgrund methodischer Mängel endgültig ab. Die Kanzlei selbst bestreitet die Mängel. Ein anderer Rechtsexperte erarbeitet nun eine neue Untersuchung. Die Nichtveröffentlichung wird von verschiedenen Seiten kritisiert. (cph)