Eucharistische Gastfreundschaft: Wie hoch ist die Hürde Amtstheologie?
Einen "Notschrei von Christen, die den Eindruck haben, es gehe in dieser Sache nicht weiter" – so bezeichneten die katholischen Theologen Heinrich Fries und Karl Rahner ihre viel beachtete Streitschrift "Einigung der Kirchen – reale Möglichkeit". Mit "dieser Sache" meinten sie den ökumenischen Dialog und waren überzeugt, dass die Einheit der Kirche angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen die "Frage auf Leben und Tod für die Christenheit" sei. Das war 1983 – um wie viel mehr sollte dies für unsere gegenwärtige Zeit gelten?
Entsprechend groß waren die Erwartungen, die sich mit der jüngsten Publikation des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK) verbanden. Endlich wieder einmal konkrete Fortschritte im ökumenischen Dialog: Im Hinblick auf Abendmahl und Eucharistie seien inzwischen weitreichende Verständigungen erreicht, "die es nicht mehr erlauben, die verbliebenen Differenzen als kirchentrennend zu betrachten". So lautete das Eingangsplädoyer des Votums "Gemeinsam am Tisch des Herrn", mit dem der ÖAK im Herbst 2019 für die Praxis gegenseitiger Gastfreundschaft der Konfessionen beim Mahlgottesdienst warb.
Lehramtliche Absage für eucharistische Gastfreundschaft
Die römische Glaubenskongregation bewertete die ökumenische Großwetterlage dagegen weniger positiv. Im vergangenen September, wenige Tage bevor das Ökumene-Papier bei der Herbstversammlung der deutschen Bischöfe beschlossen werden sollte, adressierte der Präfekt der Glaubenskongregation eine Reihe von "lehrmäßigen Anmerkungen" an den Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Georg Bätzing. Darin findet sich bereits im Begleitschreiben das unmissverständliche Fazit: "Die Lehrunterschiede sind immer noch so gewichtig, dass sie eine wechselseitige Teilnahme am Abendmahl bzw. an der Eucharistie derzeit ausschließen." Eine offizielle Verabschiedung des konfessionsübergreifenden Votums wurde daraufhin von den katholischen Bischöfen bis auf Weiters vertagt.
Doch woran scheitert die theologische Verständigung über das "Sakrament der Einheit" aus römischer Perspektive konkret? Der wohl bekannteste Streitpunkt, die Lehre der Realpräsenz, scheint es nicht zu sein – wenigstens nicht vorrangig: Dass dem Ökumene-Votum ein "eindeutiges Bekenntnis zur Realpräsenz Christi in der Eucharistie" fehle, findet sich erst unter Punkt drei des in vier kurze Kapitel gegliederten Schreibens der Glaubenskongregation. Im Zentrum des römischen Widerspruchs zu "Gemeinsam am Tisch des Herrn" steht nicht so sehr die Frage, was die Gegenwart Christi im gottesdienstlichen Mahl bedeutet und wie sie zustande kommt, sondern an welche Ekklesiologie, also an welche kirchlichen Voraussetzungen sie gebunden ist. "Als theologische Kernproblematik des Dokumentes erscheint die Betrachtung der Beziehung zwischen Eucharistie und Kirche", heißt es in den lehramtlichen Anmerkungen. Die Hauptgründe für die Kirchentrennung und damit auch für die fehlende Gemeinschaft im Mahlgottesdienst sind nach dieser Auffassung nach wie vor die Unterschiede im Kirchen- und Ämterverständnis.
Zunächst ein kurzer Blick in die Konfessionsgeschichte: Martin Luther betrachtete vor allem die Versammlung der Gläubigen als Kern dessen, was wir Kirche nennen, und weniger die historisch gewachsene Institution. Dementsprechend forderte er eine strenge Trennung zwischen der unsichtbaren Kirche des Himmels und der konkreten Gestalt der irdischen Kirche. Nach katholischer Lehre ist die hierarchisch strukturierte Kirche dagegen aufs Engste mit ihrem unsichtbaren Pendant verbunden. Dies schließe zwar nicht aus, dass außerhalb der sichtbaren Institution "vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind", aber "verwirklicht" sei die eine Kirche Jesu Christi – höre mit: ausschließlich – in der katholischen Kirche (subsistit in ecclesia catholica), heißt es in Nr. 8 der Kirchenkonstitution "Lumen gentium" des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–65).
In enger inhaltlicher Verbindung dazu steht das unterschiedliche Amtsverständnis der Konfessionen: Während evangelische und katholische Christen zwar den Glauben an ein "gemeinsames Priestertum aller Getauften" teilen, existiert nach katholischer Lehre darüber hinaus ein besonderes "Priestertum des Dienstes", auch "hierarchisches Priestertum" genannt, das sich von dem der übrigen Gläubigen unterscheidet – oder: abhebt. Der katholische Priester erhält mit seiner sakramentalen Weihe ein "unaustilgbares Prägemal" und damit die Vollmacht, in der Liturgie "in der Person Christi" zu handeln. Seitens der Protestanten wird diese Unterscheidung abgelehnt und ein wesensveränderndes Prägemal allein für die Taufe angenommen. Das evangelische Pfarramt versteht sich demnach eher als eine Art Ordnungsdienst mit der Aufgabe, die Gemeinde in der "Wahrheit des Evangeliums" zu halten. Da dieses Verständnis aber nicht durch die "apostolische Sukzession" begründet wird, also die sakramentale Weitergabe der Bischofsweihe seit der Zeit der Apostel, wirft das Ökumenismus-Dekret des Zweiten Vatikanums den protestantischen Kirchen einen "defectus ordinis", einen Mangel des Amtes vor.
Theologische Annäherungen im Amtsverständnis
Folgt man nun dem ÖAK, dürfen diese Unterschiede heute aber nicht mehr in ihrer gegenseitigen Ausschließlichkeit betrachtet werden. Das konfessionsübergreifende Gremium beruft sich bei dieser Einschätzung auf eine breit dokumentierte theologische Debatte: Bereits 1973 legte die Arbeitsgemeinschaft ökumenischer Universitätsinstitute ein Memorandum zu "Reform und Anerkennung kirchlicher Ämter" vor. Der damalige Mitarbeiter am Ökumenischen Institut in München und spätere Dogmatik-Professor Peter Neuner beschrieb die besondere Erfahrung bei der Entstehung solcher Texte: Gerade in kontroversen Punkten habe die "jeweils andere Seite immer wieder feststellen können, dass sie, vielleicht unter anderer Terminologie, Ähnliches lehrt und in ihrer kirchlichen Praxis festhält". Auf diese Weise kam man nach ausführlichen Einzelstudien über die Frage der apostolischen Sukzession sowie das Wesen und die Bedeutung des kirchlichen Amtes bereits Anfang der 70er-Jahre zu dem Schluss, dass sich "eine Verweigerung der gegenseitigen Anerkennung der Ämter" aus theologischen Gründen "nicht mehr rechtfertigen" lasse.
Viele der Argumente von damals wurden seitdem von der Forschung immer wieder aufgegriffen, bibelexegetisch und kirchenhistorisch untermauert und systematisch-theologisch präzisiert. So fasste etwa die lutherische Theologin Christine Axt-Piscalar die kirchengeschichtliche Forschung zur apostolischen Sukzession zusammen und stellt diesbezüglich fest, es sei "unabweisbar", dass die katholische Theorie einer "historisch ununterbrochenen, durch Handauflegung vermittelten, chronologisch nachvollziehbaren Amtsweitergabe von einem bestimmten historischen Apostel zu einem bestimmten Bischof heute weder theologisch noch historisch aufrechterhalten werden kann". In diesem Sinne forderte auch der katholische Dogmatiker Peter Walter, die apostolische Sukzession "nicht isoliert als Kette von Handauflegungen" misszuverstehen, sondern in den weiteren Zusammenhang der kirchlichen Gemeinschaft und der sich wandelnden Überlieferung einzubinden.
Hinzu kommt an dieser Stelle eine weitere grundlegende Differenz in der konkreten Ausgestaltung der Ämterfolge: Im Unterschied zur katholischen und anglikanischen Kirche gehen die meisten evangelischen Kirchen von einer "presbyteralen Sukzession" aus, also der Weitergabe des kirchlichen Amtes von Pfarrer zu Pfarrer. Auch von evangelischer Seite wird heute anerkannt, dass der Verzicht auf die bischöfliche Sukzession in der Reformationszeit vor allem dem Umstand geschuldet war, dass sich zunächst keine Bischöfe fanden, die sich der neuen Lehre anschließen wollten. Allerdings konnte sich die reformatorische Annahme einer grundsätzlichen Einheit von Pfarramt und Bischofsamt auch auf die Briefe des Apostels Paulus berufen, wo die Bezeichnungen "Presbyter" (Ältester, im heutigen Sinne: Priester) und "Episkopos" (Bischof) stellenweise synonym verwendet werden (z.B. Tit 1,5ff). Ebenso verhielt es sich mit der im Mittelalter vorherrschenden Amtstheologie des Hieronymus: Peter Walter hat in seinen Untersuchungen gezeigt, "dass Hieronymus beide Ämter, Presbyterat und Episkopat, in ihrem Wesen als identisch verstanden hat". Die Weihebefugnis der Bischöfe sei damals vor allem ein kirchenrechtlicher Vorrang gewesen, sodass mit päpstlicher Sondererlaubnis etwa auch Äbte, die selbst nur die Priesterweihe empfangen hatten, andere Mönche ihres Klosters zu Priestern weihen konnten.
Während die biblischen Zeugnisse und die späteren kirchengeschichtlichen Entwicklungen also verschiedene, zeitgebundene Ausprägungen des Amtes belegen, beharrt die Glaubenskongregation in ihren Ausführungen auf der Existenz eines einheitlichen Ursprungs der Eucharistiegeschichte. Ebenso wie die christologischen Bekenntnisse des Neuen Testaments laut den lehrmäßigen Anmerkungen einen "Teil des Anfangs bilden, und nicht den Abschluss des Prozesses", gelte analog für das Eucharistieverständnis: "Die Einheit ist das Kriterium der Ursprünge."
Heiliger Geist wirkt über die Konfessionsgrenzen hinaus
Zwar würde niemand in Frage stellen, dass der Mahlritus Jesu, den er als Zeichen seiner bevorstehenden Lebenshingabe deutete, der ursprüngliche und damit verbindliche Grundgehalt der Eucharistie darstellt. Wenn man aber die Amtsfrage oder andere Streitpunkte der konkreten Glaubenspraxis auf dieselbe Beurteilungsebene hebt wie die Kernelemente des christlichen Glaubens selbst, dürfte ein Vorankommen im ökumenischen Dialog äußerst beschwerlich werden. Die lehrmäßigen Anmerkungen verfolgen jedoch genau diesen Ansatz. Kritiker bemängeln daher, die ökumenischen Bestrebungen Roms gingen allen bisherigen Verständigungen zum Trotz nach wie vor in Richtung einer Rückkehr-Ökumene zu den "katholischen Ursprüngen".
Demgegenüber empfiehlt Dorothea Sattler, die wissenschaftliche Leiterin des ÖAK auf katholischer Seite, die Ämterfrage in einem pneumatologischen Kontext zu betrachten, also auf das Wirken des Heiligen Geistes zu beziehen. Um zu einem anschlussfähigeren Verständnis der apostolischen Sukzession zu gelangen, fordert sie, die Apostolizität des kirchlichen Amtes weniger an der äußeren Weitergabe oder an konkreten, mitunter fehlbaren Personen festzumachen, sondern am geistgewirkten Verbleiben der Glaubensgemeinschaft in der apostolischen Tradition. Vor diesem Hintergrund sei "die Anerkenntnis des Geistwirkens auch außerhalb der eigenen konfessionellen Grenzen" eine der wichtigsten Erkenntnisse der Ökumenischen Bewegung.
In die gleiche Richtung hatte Walter Kasper bereits während seiner Zeit als Bischof von Rottenburg argumentiert: Wo das Amt als "Ereignis des Geistes" verstanden werde, ergebe sich "die Möglichkeit, Ämter, die nach rein institutionellen Kriterien ungültig sind, die sich aber geistlich bewähren und sich als geistlich fruchtbar erweisen, in einem geistlichen Urteil anzuerkennen". Neben zahlreichen anderen Argumenten nahm der ÖAK diesen Gedanken 2008 in den Abschlussbericht seines mehrjährigen Forschungsprojekts mit dem Titel "Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge" auf. Im Anschluss an umfangreiche historische und systematische Vorstudien heißt es dort: "Wer einen pneumatologischen Ansatz in der Ämterlehre wählt, hält es für theologisch begründet, auch durch die Betrachtung der erfahrenen Wirksamkeit der Ämter zu einem Urteil über deren Apostolizität gelangen zu können."
Verantwortete Gewissensentscheidung der Gläubigen
Mit seinem Plädoyer für eine größere Offenheit in der gegenseitigen Anerkennung der Ämter wollte der ÖAK einer vollumfänglichen Kirchengemeinschaft ebenso wenig vorgreifen, wie mit dem aktuellen Votum zur gegenseitigen eucharistischen Gastfreundschaft. Beide Texte verstehen sich vielmehr als "Etappen" auf dem Weg zum ökumenischen Ziel einer sichtbaren Einheit. Dabei können sie sich nicht zuletzt auf eine Formulierung Kaspers berufen, wonach Ökumene immer auch eine "prophetische Dimension" habe. Manchmal, so der spätere Kardinal und Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, gehe der Geist "der institutionellen Anerkennung voraus".
Wenn die Theologie in den ökumenischen Kontroversen "ihre Arbeit weithin getan" hat, im "kirchenoffiziellen Bereich" aber "kaum Konsequenzen" zu erkennen sind, wie Peter Neuner im Rückblick auf die ökumenischen Bemühungen der letzten Jahrzehnte urteilt, ist mittlerweile vielleicht die Stunde eines dritten Akteurs angebrochen: die Stunde der kirchlichen Basis. In diese Richtung weist zumindest der Ansatz von Dorothea Sattler, die im Hinblick auf Amt und Eucharistie besonders den "consensus fidelium", den gemeinsamen Glaubenssinn der Gläubigen als "legitime Form der Wahrheitserkenntnis" stark macht: "Intuitiv – meint: geistgewirkt – erkennen die Getauften, ob das Handeln und die Lehre der amtlichen Verkündiger des Evangeliums Gottes wahr sind oder nicht." Das ÖAK-Votum "Gemeinsam am Tisch des Herrn" empfiehlt beim Empfang der Eucharistie bzw. des Abendmahls genau dies: die theologisch verantwortete Gewissensentscheidung der einzelnen Gläubigen als legitimen Ausdruck ökumenischer Sehnsucht zu verstehen – nicht mehr und nicht weniger.