Zu Weihnachten "kein zusätzliches Risiko eingehen"

Ärzte fordern Gottesdienstverbot – Kirchen wollen offen bleiben

Veröffentlicht am 23.12.2020 um 09:56 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Kurz vor Weihnachten hält die Debatte um Präsenzgottesdienste an. Verschiedene Positionen aus den Kirchen wendeten sich gegen einen Gottesdienst-Verbot und verteidigen etwa die Hygienekonzepte. Der Ärzteverband sprach jedoch eine Warnung aus.

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Der Ärzteverband appelliert an Bund und Länder, Gottesdienste an Weihnachten zu verbieten. "In diesem Jahr sollten Präsenzgottesdienste bundesweit untersagt werden", sagte die Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD), Ute Teichert, den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Mittwoch). "Weil wir wissen, wie leicht sich das Virus gerade bei Gottesdiensten übertragen kann, dürfen wir zu Weihnachten angesichts der hohen Infektionszahlen kein zusätzliches Risiko eingehen." Es müsse deshalb eine einheitliche Vorgabe geben.

Der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, verwies im Deutschlandfunk auf die Hygienekonzepte der Kirchen. Er appellierte an die Gläubigen abzuwägen, ob für sie ein Kirchgang sicher sei. Zudem verwies er auf die ökumenische Hausliturgie mit Weihnachtsevangelium, Gebeten und Liedern, der als Flyer auch digital bereit stehe.

Bischöfe erinnern an Religionsfreiheit und Schutzkonzepte

Der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr verteidigte das Grundrecht auf freie Religionsausübung auch in Pandemie-Zeiten. "Kirchen zu schließen, kommt gar nicht infrage", sagte der Oberhirte in der Nachrichtensendung "mdr aktuell". Vielen Menschen sei es ein Anliegen, in die Kirche oder einen Gottesdienst zu gehen. "Wir brauchen solche Rückzugsorte." Andernfalls würde den Kirchen vorgeworfen, die Menschen in der Pandemie alleine zu lassen. "Solange die Politik entscheidet, Kontaktmöglichkeiten zuzulassen, nutzen wir das auch, um Menschen unsere Kirchen anzubieten." Zugleich betonte Neymeyr: "Wir sprechen die Menschen an und sagen: 'Überlegt es euch, ob ihr zum Gottesdienst kommt, es gibt auch andere Formen, die wir anbieten.'" Den Pfarrgemeinden in seinem Bistum sei freigestellt, ob sie weiter Präsenz-Gottesdienste anböten.

Der Aachener Bischof Helmut Dieser bezeichnete die Schutzkonzepte als sehr sicher. "Ich sehe da nicht, dass wir irgendetwas uns herausnehmen, was nicht verantwortbar wäre", sagte er dem Hörfunk-Sender WDR 5.

Sternberg gegen Gottesdienst-Verbot

Auch der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg stellte sich gegen ein Gottesdienst-Verbot an Weihnachten. Die katholische Kirche gehe sehr verantwortungsvoll mit dem Thema Hygiene und Infektionsschutz um, sie halte sich auch an den Feiertagen an sehr strenge Auflagen, sagte Sternberg der "Augsburger Allgemeinen" (Donnerstag). "Die katholischen Gläubigen haben sich nie gegen vernünftige Lösungen gewandt, aber das heißt auch, dass man Gottesdienste nicht pauschal verbieten sollte." Gottesdienste könne man nicht einfach auf eine Online-Variante umstellen, denn sie seien Gemeinschaftsfeiern. Mit dem Verzicht auf Gesang werde etwa ein wichtiger Übertragungsweg des Coronavirus ausgeschlossen, betonte der ZdK-Chef. Risikogruppen werde zudem empfohlen, die Gottesdienste nicht zu besuchen. "Aber der Wunsch, an Weihnachten einen Gottesdienst zu besuchen, ist sehr, sehr groß."

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, verwies auf strenge Hygiene-Konzepte und Besucherbegrenzungen in den Gottesdiensten. "Es wird keine überfüllten Gottesdienste geben", sagte er der "Passauer Neuen Presse". Zudem böten die Kirchen digitale und Fernseh-Gottesdienste an. "Es gibt aber auch Menschen, die allein sind und für die der Gottesdienst in der Kirche ein Ort des Trostes ist, den sie gerade jetzt brauchen." Beide Kirchen stimmten sich eng ab, fügte Bedford-Strohm hinzu.

Der religionspolitische Sprecher der FDP, Benjamin Strasser, rief Gottesdienstbesucher zur Vorsicht auf. Es sei gut, dass Weihnachten "als Fest der Liebe und der Hoffnung mit Gottesdiensten" gefeiert werden könne, sagte er der "Heilbronner Stimme". Online-Gottesdienste könnten nur ein ergänzendes Angebot sein: "Sie ersetzen keinesfalls das, was Gemeindeleben ausmacht – die gemeinsame Begegnung Gottes in der Gemeinschaft der Gläubigen."

Bundesinnenministerium: Vor Ort entscheiden

Am Montag hatte das Bundesinnenministerium erklärt, dass über Gottesdienst an Weihnachten vor Ort zu entscheiden sei. Den Absprachen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten der Länder gemäß müssen Gottesdienstbesucher Abstand halten, Maske tragen und sich anmelden. Zudem ist Gemeindegesang untersagt.

Ärztevertreterin Teichert beklagte außerdem, dass viele Bürger offenbar nicht verstanden hätten, wie ernst die Lage sei. "Sie feiern immer noch Partys oder tummeln sich in den Läden", kritisierte die Medizinerin. Der harte Lockdown könne aber nur dann zu einem Rückgang der Infektionszahlen führen, wenn sich wirklich alle Bevölkerungsgruppen in Deutschland an die Regeln hielten. Teichert forderte Bund, Länder und Kommunen dazu auf, die Corona-Maßnahmen in einigen Milieus noch besser zu vermitteln: "Die Botschaft muss sämtliche Menschen erreichen, die in Deutschland leben, unabhängig davon, welche Sprache sie sprechen oder welcher Religionsgemeinschaft sie angehören."

Unterdessen meldete das Robert Koch-Institut einen neuen Höchstwert an Corona-Todesfällen in Deutschland: Innerhalb von 24 Stunden starben demnach 962 Menschen an oder mit dem Virus. Insgesamt starben damit 27.968 Menschen durch das Coronavirus. Die Zahl der Neuinfektionen beträgt darüber hinaus 24.740. (mpl/KNA)

23.12., 11:10 Uhr: Ergänzt um Aussagen von Neymeyr und Strasser. 12:30: Ergänzt um Stellungnahme von Sternberg. 12:50 Uhr: Ergänzt um Dieser und DBK