Experte: Corona-Verstöße in Freikirchen "wohl kein Zufall"
Freikirchliche Kirchengemeinden sind nach Ansicht des evangelischen Theologen und Weltanschauungsexperten Martin Fritz anfälliger für Corona-Verstöße als andere christliche Gemeinschaften. "Den Freikirchen geht es tendenziell um ein intensiveres, entschiedeneres Christentum", sagte Fritz am Sonntag dem Westdeutschen Rundfunk (WDR). Im Unterschied zu sogenannten Normalchristen falle vor allem der Verzicht auf Präsenzgottesdienste und das Singen manchen Anhängern von Freikirchen schwer. Deshalb sei es "wohl kein Zufall", dass es in freikirchlichen Gemeinden in den vergangenen Monaten wiederholt zu Verstößen gegen Abstands- und Hygieneregeln gekommen sei.
"Gemeinschaft hat in Freikirchen besonders hohe Bedeutung"
"Wenn es so etwas wie einen gemeinsamen Nenner freikirchlicher Frömmigkeit gibt, dann den, dass man sich vom großkirchlichen Christentum absetzen will", so Fritz weiter. Die religiöse Praxis und Lehre in den beiden großen Kirchen gelte vielen als zu lasch und zu sehr vom Zeitgeist geprägt. Die Gemeinschaft habe in Freikirchen eine besonders hohe Bedeutung. Darum sei auch die Zahl der Gottesdienstbesucher dort gemessen an der Zahl der Mitglieder durchschnittlich um ein Vielfaches höher als in katholischen und evangelischen Gemeinden.
Dass man zurzeit in Gottesdiensten nicht singen dürfe, sei wohl für die meisten Gläubigen, auch in den Großkirchen, schmerzlich. "In manchen Freikirchen – vor allem in charismatisch-pfingstlich geprägten Gemeinden – hat das Singen allerdings einen besonders hohen Stellenwert. Für viele Gläubige drückt sich gerade im Gesang die Gottverbundenheit aus. Dabei geht es um ein intensives religiöses Erleben. Es geht darum, auf emotionale Weise gemeinsam die Gegenwart des Heiligen Geistes zu spüren", betonte Fritz, der als Wissenschaftlicher Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin tätig ist.
Experte sieht "Anfälligkeit für Verschwörungstheorien"
Darüber hinaus verwies der Experte darauf, dass einige Anhänger von Freikirchen sich in ihrem religiösen Enthusiasmus nicht nur von den Großkirchen, sondern auch vom säkularen Staat abgrenzten: "Das kann die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien befördern." Allerdings müsse man herausstreichen, dass eine ganze Reihe wichtiger Repräsentanten der freikirchlichen Szene sich klar gegen die "Querdenken"-Bewegung ausgesprochen habe. "Sie haben damit wohl auch für eine deutliche Mehrheit der Gemeindemitglieder gesprochen", betonte Fritz.
Am Wochenende hatte die Polizei in Herford einen Gottesdienst einer Freikirche aufgelöst, bei dem laut Medienberichten mehr als 100 Gläubige gegen die Corona-Schutzverordnung verstoßen haben sollen. Weder hätten die Besucher einen Mund-Nasen-Schutz getragen, noch habe es ein Hygienekonzept gegeben, erklärte die Polizei. Als die Beamten eintrafen, hätten sich etliche Gläubige in unterschiedlichen Räumen der Kirche und im Keller versteckt. Kurz vor Weihnachten hatte auch die Polizei in Essen einen Gottesdienst einer freikirchlichen Gemeinde aufgelöst. Dort waren mehr als 80 Gläubige zusammengekommen, die gemeinsam sangen, keine Masken trugen und Abstände nicht einhielten. (stz)