Gegenseitige Beeinflussungen im Laufe der Jahrhunderte

Historiker: Wein ist fundamentales Element des kirchlichen Lebens

Veröffentlicht am 10.01.2021 um 11:40 Uhr – Lesedauer: 

Mainz ‐ Weinkultur und die Kirche sind seit Jahrhunderten miteinander verbunden – und haben sich gegenseitig geprägt. Im Interview spricht Historiker Michael Matheus über die Beziehung zwischen Kirche und Wein und über revolutionäre Entwicklungen.

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Der Geschichtsprofessor Michael Matheus von der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, der mütterlicherseits aus einer Winzerfamilie von der Mosel stammt und viel zur Weingeschichte geforscht hat, erklärt im Interview, wie sich beide Komponenten – Wein und Kirche – in der Vergangenheit gegenseitig beeinflusst haben. 

Frage: Herr Matheus, welche Bedeutung hat der Wein über die Jahrhunderte für die Kirche gehabt? 

Matheus: Wenn man Kirche im Sinne von christlichen Kirchen versteht, dann ist der Wein ein ganz fundamentales Element für die Kirche, aber auch innerhalb des kirchlichen Lebens. Das gilt allerdings nicht nur für die christlichen Kirchen, sondern eben in ganz ähnlicher Weise auch für die jüdische Religion, die jüdische Kultur. Wenn man sich das Alte Testament und das Neue Testament anschaut, dann wird alleine dort mehr als 140 Mal auf den Wein Bezug genommen. Die Weinrebe, der Wein werden in diesen biblischen Texten immer wieder angesprochen. Bilder vom Rebstock und den Reben sind auch mit Vorstellungen von der Einheit der Christen verbunden.

Frage: Und welche Bedeutung hatte die Kirche umgekehrt für den Wein – inwieweit haben kirchliche Institutionen die Weinkultur geprägt? 

Matheus: Die Weinkultur ist natürlich viel älter als das Christentum. Wir gehen derzeit in der Forschung davon aus, dass die ältesten Spuren für Weinbau wohl in Georgien zu finden sind und damit sind wir in einem Zeitraum von rund 6000 Jahren vor Christus. Bekannt ist auch, dass der Weinbau in der griechischen und in der römischen Kultur sowie in vielen anderen Kulturen eine ganz zentrale Rolle gespielt hat. Und das Christentum ist, wenn man so will, eine dieser antiken Religionen und Kulturen und hat diese Traditionen eben übernommen.

Hinzu kommt, dass Kirchen auf Wein – das gilt wiederum für Juden und Christen gemeinsam – auch aus liturgischen und rituellen Zwecken nicht verzichten konnten und deswegen von Anfang an den Weinbau pflegten. Wegen des liturgischen Bedarfs hat die Kirche dann entscheidend dazu beigetragen, dass Wein auch in jenen Landschaften immer eine große Rolle gespielt hat, die selbst über gar keinen Weinbau verfügten. Vor allen Dingen die großen kirchlichen Institutionen, also Stifte und Klöster haben in Weinanbaugebieten in großem Umfang Wein produziert und dann auch im Weinhandel der Vormoderne und zum Teil auch noch der Moderne eine große Rolle gespielt.

Frage: Kann man sagen, dass die Klöster den Weinhandel revolutioniert haben? 

Matheus: Die Klöster haben nicht alleine den Wein auch außerhalb der Weinanbaugebiete eingeführt, da waren auch durchaus weltliche Herren, die sich darum gekümmert haben. Die Überlieferungssituation ist etwas verzerrt, weil die Klosterüberlieferung am besten erhalten ist, da Klöster sehr früh Wert auf Dokumentation und Archive gelegt haben. Unabhängig davon ist aber überhaupt nicht zweifelhaft, dass Klöster bei der Ausbreitung des Weinbaus eine fundamentale Rolle gespielt haben. Viele heutige große Weingüter gehen auf kirchliche Besitzungen zurück. Außerdem hat die Kirche eine ganz entscheidende Rolle in der Ausbildung von Weinqualität gespielt.

Bild: ©wideonet/Fotolia.com

Kirchen konnten aus liturgischen und rituellen Gründen nicht auf Wein verzichten, sagt Michael Matheus. Deswegen wurde im kirchlichen Kontext von Anfang an der Weinbau gepflegt.

Frage: Inwiefern? 

Matheus: Für die Eucharistie hat man natürlich versucht zu vermeiden, gepanschte Weine zu verwenden. Hier kam es immer darauf an, möglichst qualitativ hochwertige Weine zu erzeugen. Man wollte Weine haben, wie Gott sie hat wachsen lassen – das ist sozusagen die religiöse Begründung. Damals haben aber auch Mediziner schon untersuchen lassen, was im Wein gesundheitsschädlich und was nicht gesundheitsschädlich ist. Und daraufhin wurden im ausgehenden 15. Jahrhundert unter Beteiligung von kirchlichen Fürsten – in den Städten, Territorien und auch auf Reichsebene – die ersten Lebensmittelgesetze mit Blick auf den Wein beschlossen.

Demnach durfte eben einem entsprechend guten Wein nur wenig zugesetzt werden – nur einige kleinere Mengen Schwefel. Das ist aus meiner Sicht eine revolutionäre Entwicklung gewesen, weil erst durch den begrenzten Zusatz von Schwefel die Weißweine, die weniger alkoholreichen Weine, wie sie nördlich der Alpen und Pyrenäen angebaut werden, überhaupt lagerfähig geworden sind. Die damals aus medizinischen, religiösen, fiskalischen und handelspolitischen Gründen ausgebildeten Maßnahmen der Weinbereitung haben dann später die Weingesetzgebung des deutschen Kaiserreiches im 20. Jahrhundert nachhaltig geprägt. An all diesem hatten kirchliche Institutionen einen ganz erheblichen Anteil. 

Frage: Welche Rolle spielte der Wein als sozusagen "göttliches Getränk"? 

Matheus: Der Wein hat – und das ist eben auch biblisch begründet – als Ehrengabe, als Geschenk, eine große Rolle gespielt. Und wurde damit zum Mittel sozialer Distinktion. Da liefern biblische Texte eine Vielzahl von Vorlagen. Man hat mit kostbaren Weinen, mit guten Weinen, über die Jahrhunderte hinweg, immer auch sein eigenes Prestige zum Ausdruck bringen können. Und der Wein galt eben immer als anderen alkoholischen Getränken sozusagen überlegen. Das gilt vor allen Dingen für das Verhältnis von Bier und Wein.

Aussagekräftige Belege finden sich beispielsweise bei Martin Luther. Die Reformation hat eben nicht zu einem Bruch mit der biblisch fundierten Weinkultur geführt. In Martin Luthers Haushalt hat Bier eine große Rolle gespielt, er hat aber gute Weinqualitäten sowohl vom Rhein wie auch aus dem Mittelmeerraum zu schätzen gewusst und am Vorrang des Weines überhaupt keinen Zweifel gelassen. Es gibt eine schöne Passage in Luthers Tischgesprächen, wo er seinen Schülerinnen und Schüler, die da am Tisch saßen, sagt: "Der Wein ist gesegnet und hat das Zeugnis in der Schrift. Das Bier dagegen ist menschliche Tradition." Das hat immer eine große Rolle gespielt, dass diese biblische Fundierung eben auch zu einer besonderen Wertschätzung mit allen Folgen, die das gesellschaftlich und sozial hatte, geführt hat. 

Frage: Welche Bedeutungen spielen kirchliche Institutionen wie Klöster heute noch für den Weinanbau? 

Matheus: Man kann nicht sagen, dass diese Institutionen heute noch zu den entscheidenden Playern auf den europäischen und weltweiten Weinmärkten zählen. Aber es ist eben diese jahrtausendealte Tradition, die sich beispielsweise in vielen Namen niederschlägt. Also etwa in Flurnamen, wenn von Klosterweinberg die Rede ist, von Gottesacker, und vielen anderen mehr. Wenn man durch die verschiedenen Weinanbaugebiete läuft, dann stößt man immer wieder auf diese Relikte klösterlichen und stiftischen Weinbaus.

Von Denise Thomas (KNA)