Klimaökonom Ottmar Edenhofer für aktivere Rolle von Bischöfen und Gläubigen

Vatikan-Berater: Welt braucht in Klimapolitik Einmischung der Kirche

Veröffentlicht am 29.01.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Potsdam ‐ Der Klimawandel betrifft auch die Kirche, denn sie wirkt in den Ländern, die ihn verursachen, und in jenen, die darunter leiden. Auf beiden Seiten müsse ein Bewusstsein gebildet werden, betont der neue Vatikan-Berater Ottmar Edenhofer im katholisch.de-Interview. Wegschauen sei für Christen nicht möglich.

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Der Ökonom Ottmar Edenhofer gehört zu den meistzitierten Forschern weltweit. Der Professor für die Ökonomie des Klimawandels an der Technischen Universität Berlin sowie Direktor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ist seit diesem Monat nun auch Berater des vatikanischen Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen. Der gebürtige Bayer war zunächst Jesuit, bevor er für mehrere internationale Organisationen arbeitete – darunter der Weltklimarat. Er beriet bereits die Bundesregierung und schaltet sich in die öffentliche Debatte ein. Im Interview spricht er über die Rolle und die Möglichkeiten des Vatikan in der weltweiten Klimapolitik.

Frage: Herr Edenhofer, die Klimakrise ist eine weltweite Aufgabe, abseits der Grenzen von Nationen und Religionen. Was ist da Ihr erster Rat an den Vatikan?

Edenhofer: Mein erster Rat ist es, eine Perspektive stark zu machen, die schon in der Enzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus formuliert worden ist: "Das Klima ist ein gemeinschaftliches Gut von allen und für alle" (LS 23). Auch die Ozeane, Wälder, Böden sind ein globales Gemeinschaftseigentum der Menschheit. Die universale Widmung der Erdengüter, dass also alle Menschen einen angemessenen Zugang zu diesen Ressourcen haben müssen, hat der Papst auf die globalen Umweltprobleme angewandt. Das schließt zwar privates Eigentum an diesen Ressourcen nicht aus, ist aber dem Gemeinwohl untergeordnet. Andere internationale Organisationen aber – wie etwa der Weltklimarat, der dieses Jahr seine neuen großen Berichte veröffentlicht – haben diese Aussage aus politischen Gründen nur in einer Fußnote erwähnen können. Diesen Gedanken der Gemeinschaftsgüter voranzutreiben ist die große Aufgabe, die der Vatikan hat.

Frage: Welche Rolle kann der Vatikan spielen?

Edenhofer: Der Vatikan kann beispielsweise bei den UN-Klimakonferenzen eine Rolle spielen, etwa bei der Pariser Klimakonferenz 2015 hat er sich sehr aktiv eingebracht. In den vergangenen Jahren hat das etwas nachgelassen. Aber die Welt braucht diese Einmischung! Der Vatikan könnte in internationalen Verhandlungen noch stärker die Stimme sein, die die Bedeutung des Weltgemeinwohls hervorhebt. Das ist natürlich ein Minimalkonsens, aber ohne den geht es nicht. Ein weiterer wichtiger Aspekt des Wirkens des Vatikan ist die Stärkung zivilgesellschaftlicher Akteure in verschiedenen Ländern wie Brasilien, dem Pazifikraum oder im Kongo. Dort spielt die katholische Kirche eine große Rolle, und der Vatikan könnte dort einzelne Akteure stärker miteinander vernetzen. Außerdem könnte die Kirche die Perspektive dieser Länder stärker in die internationale Diskussion einbringen. Denn die katholische Kirche spielt sowohl in den Ländern eine Rolle, die den Klimawandel verursachen, wie den USA oder in Europa, als auch in denen, die darunter leiden, und das sind besonders die ärmeren Länder. Es geht hier nicht um eine simple Aufteilung in Täter und Opfer. So sehr der Norden bei der Verbrennung fossiler Energieträger eine Rolle spielt, so ist es bei der Abholzung der Regenwälder der globale Süden. In all diesen Ländern spielt die katholische Kirche eine signifikante Rolle und kann dort die Menschen, auch die Entscheider, wachrütteln.

Frage: Sie haben bisher sehr von einer appellativen Funktion gesprochen. Sollte der Vatikan nicht auch selbst aktiver werden?

Edenhofer: Er kann natürlich gerade bei internationalen Verhandlungen aktiver werden. Doch mir scheint gerade diese Funktion der Bewusstseinsbildung in den Teilkirchen von grundlegender Bedeutung – viele nehmen immer noch die Klimastabilisierung nicht so ernst, wie sie sollten. Da könnten die Bischöfe und die Christen in den Ländern eine noch viel aktivere Rolle spielen.

Blick in den Umweltenzyklika von Papst Franziskus
Bild: ©KNA

Die Umweltenzyklika von Papst Franziskus trägt den Titel "Laudato si".

Frage: Durch die Klimakrise gibt es bereits Migrationsbewegungen, die sich laut Prognosen noch verstärken werden. In zahlreichen Industrieländern steht ein nicht geringer Teil der Gesellschaft dieser Migration sehr ablehnend gegenüber. Was sollte der Vatikan in dieser Situation tun?

Edenhofer: Der Papst betont die politische Dimension des Christseins. Vielen Christen ist kennen jedoch die Soziallehre der Kirche kaum. Manche sagen etwas spöttisch, die kirchliche Soziallehre sei das bestgehütetste Geheimnis des Vatikan – das mag eine scherzhafte Übertreibung sein, ganz falsch ist es nicht. Aus dieser Soziallehre folgen natürlich keine detaillierten technischen Problemlösungen, aber sie formuliert ethische Orientierungspunkte. Es gibt das berechtigte nationalstaatliche Interesse nach einer Steuerung der Einwanderung,– aber einfach Mauern hochziehen, Menschen sterben zu lassen und Ursachen von Flucht und Vertreibung ignorieren geht auf keinen Fall! Und natürlich ist der globale Norden für manche Ursachen der Migration auch mit verantwortlich. Und damit die Fakten klar sind: Nicht die Industrieländer tragen die Hauptlast der Migration, sondern die Entwicklungsländer. Die meisten Menschen sind im globalen Süden auf der Flucht und kommen nicht zu uns nach Deutschland. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, dass die Kirche auf die Tragödie hinweist, die sich nahezu tagtäglich im Mittelmeer abspielt. Hartherzigkeit oder Wegschauen steht Christen nicht an.

Frage: Noch als Jesuit haben Sie in den 1990er Jahren die Flüchtlingshilfe der Jesuiten in Kroatien und Bosnien geleitet. Können Sie aus dieser Erfahrung für die Gegenwart schöpfen?

Edenhofer: Gerade in der Bosnien- und Kroatienkrise ist deutlich geworden, wie leicht Gesellschaften destabilisiert werden können und wie dünn der zivilisatorische Firn am Ende ist. Die gegenwärtige Klimakrise hat leider durchaus das Potential, auf ihre Art ebenfalls die Stabilität von Gesellschaften erheblich zu stören oder vielleicht sogar auf Dauer zu zerstören. In polarisierten oder fragmentierten Gesellschaften besteht die große Gefahr, dass etwa häufiger auftretende Dürren oder andere Wetterextreme bestehende Konflikte solcher Gesellschaften verstärken, was zu vermehrten ethnischen Auseinandersetzungen führen kann. Wir unterschätzen leicht, wie schnell Gesellschaften durch unbedachte oder populistische Politik und Hass zerstört werden können. Wohin das führt, sehen wir auch in reicheren Gesellschaften wie den USA. Und sogar in Deutschland müssen wir uns anstrengen, um eine solch große Spaltung bei uns zu vermeiden. Wenn eine Gesellschaft die großen ethischen Leitlinien wie Wahrheit und Menschlichkeit einmal verliert, ist sie sehr schnell auf einer abschüssigen Bahn.

Frage: Wie sollte da Klimapolitik funktionieren? Geht es eher um einen Ausgleich etwa mit wirtschaftlichen Interessen oder sollte eine konsequentere Pro-Klima-Politik gefahren werden?

Edenhofer: Es wird oft behauptet, Klimapolitik müsse man sich leisten können und darum dürfe man es mit der Klimapolitik nicht übertreiben. Dieser Satz ist jedoch falsch. Klimapolitik ist kein Luxusgut, um das man sich nach allen anderen Problemen kümmern kann, es geht um die Grundfesten des gemeinsamen Hauses! Diese Grundfesten darf man nicht zerstören, man muss sie erhalten – und dazu gehört eine konsequente Klimapolitik. Was wir uns nämlich nicht leisten können, ist ein Weiter-So. Die Folge wäre eine Destabilisierung unseres Klimas, die alle und alles trifft: Von den Lieferketten der Unternehmen, die immer wieder von Wetterextremen unterbrochen werden, bis zum Rentner, der von Hitzewellen gesundheitlich bedroht ist. Klimapolitik kann natürlich nur erfolgreich sein, wenn sie wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht und auf sozialen Ausgleich bedacht ist. So müssen bei der CO2-Bepreisung einkommensschwache Haushalte Ausgleichszahlungen erhalten. Sie muss außerdem effizient sein, wir müssen versuchen, unsere ehrgeizigen Ziele mit minimalen volkswirtschaftlichen Kosten zu erreichen, denn wir haben einen so tiefgreifenden Strukturwandel vor uns, da kann kein Geld verschwendet werden. Zuletzt muss sie außerdem effektiv sein, also wirkungsvoll, und tatsächlich zu sinkenden Emissionen führen. Momentan laufen wir Gefahr, bei einem ungebremsten Klimawandel unsere eigene wirtschaftliche Entwicklung aufs Spiel zu setzen. Es geht um eine sichere Zukunft.

Frage: Spielt da für Sie neben der wissenschaftlichen auch eine geistliche Perspektive eine Rolle?

Edenhofer: Ja, das tut es. Gerade in politischen und gesellschaftlichen Konflikten müssen Argumente geprüft und gewogen werden, unabhängig davon, wer das Argument vertritt. Gerade in emotionalen Debatten kommt es darauf an, eine Distanz zu den eigenen Vorlieben und Gefühlen wie Zorn oder Wut zu gewinnen. Erst dann ist ein Zuhören möglich. Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordnens, nennt das die Unterscheidung der Geister. Und jene, die sich seinen Exerzitien unterziehen, will er darin trainieren. Das ist vor allem dann ein schwieriges Geschäft, wenn es gilt, das I-Tüpfelchen an Wahrheitsgehalt auch in Meinungen zu erkennen, die man ablehnt und vielleicht auch ablehnen muss. Gerade in öffentlichen Debatten kommt es immer wieder darauf an, Meinungsverschiedenheiten sorgfältig zu identifizieren, aber auch Gemeinsamkeiten zu erkennen und so eine rationale Debatte voranzubringen.

Von Christoph Paul Hartmann