Von Archäologen gefundene Figur könnte den Gott Israels darstellen

Ist das das Angesicht Gottes?

Veröffentlicht am 23.01.2021 um 12:00 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Zu den Zehn Geboten gehört das strenge Verbot, ein Bildnis von Gott anzufertigen. Nun behaupten israelische Archäologen jedoch, eine Figur mit dem Antlitz des Gottes Israels in der Nähe von Jerusalem gefunden zu haben. Unter Altertumsforschern ist ein Streit entbrannt.

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Der menschenähnliche, 5 Zentimeter große Figurenkopf hat hervorstehende Augen, Ohren und eine Nase. Die Oberseite des Kopfes ist flach. Die Augen sind zwei Tonklumpen, die punktiert wurden, um die Iris darzustellen. Die Ohren sind durchstochen und die Figur trug wahrscheinlich Ohrringe. Um den oberen Teil des Kopfes befindet sich ein Kreis von Löchern. Diesen Figurenkopf, den der israelische Archäologe Yosef Garfinkel bei Ausgrabungen in Khirbet Qeiyafa, 25 Kilometer südwestlich von Jerusalem, gefunden hat und in die frühe Königszeit, ins 10. Jahrhundert v. Chr., datiert, identifiziert er als eine plastische Darstellung JHWHs – des Gottes Israels, der in den Zehn Geboten seinem Volk gebietet: "Du sollst dir kein Kultbild machen und keine Gestalt von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde." (Exodus 20,4)

Zwei vergleichbare Figurenköpfe aus dem 10. Jahrhundert v. Chr. wurden vor kurzem auch in Moza, einem wichtigen Verwaltungszentrum des damaligen judäischen Königtums gefunden. Sie wurden in dem Vorhof eines wahrscheinlich kultischen Gebäudes entdeckt. Auf den Wangen und dem Kinn einer der Figurenköpfe verläuft eine Reihe von kleinen Einstichen, die von einer Seite zur anderen verlaufen, einen Bart darstellen und damit die Figur als Mann ausweisen. Zudem wurden im direkten Fundkontext auch zwei Tonpferde ausgegraben, die nach Einschätzung Yosef Garfinkels zu den Figurenköpfen gehören. In der archäologischen Sammlung des ehemaligen israelischen Generals und Außenministers Mosche Dajan gibt es ein Tongefäß für Flüssigkeiten, das auf einem Pferd einen Reiter darstellt, dessen Gesicht den in Khirbet Qeiyafa und Moza gefundenen Figurenköpfen ähnelt.

Yosef Garfinkel, der als Professor Archäologie an der Hebräischen Universität Jerusalem lehrt, kommt, indem er diese Funde mit der Bibel in den Dialog bringt, zu seiner These, dass die gefundenen Figurenköpfe Kultbilder sind, die JHWH, den Gott Israels darstellen. Zum Ersten verweist er darauf, dass in der Sprache der Hebräischen Bibel der Gang zum Tempel als ein Erscheinen "vor dem Angesicht JHWHs" ausgedrückt wurde, obwohl gemäß der biblischen Überlieferung und entgegen der Kultur des Alten Orients kein Götterbild im Tempel, sondern vor dem Exil die Bundeslade mit den Gesetzestafeln stand. Der Ausdruck "vor dem Angesicht JHWHs" würde seiner Ansicht nach gut zu den plastischen Darstellungen der Augen, der Ohren und der Nase der gefundenen Figurenköpfe passen. Zum Zweiten verweist er darauf, dass Gott, wie der kanaanitische Gott Baal, in der Hebräischen Bibel oft als "Wolkenreiter" bezeichnet und im Prophetenbuch Habakuk nach seiner Übersetzung Gott als Reiter auf einem Pferd dargestellt wird (siehe Habakuk 3,6).

Das Angesicht Gottes
Bild: ©Photo Clara Amit, Courtesy of the Israel Antiquities Authority

Stellt dieses Gesicht einer Figur, das Archäologen in Israel nahe Jerusalem gefunden haben, das Angesicht Gottes dar? Darüber streiten sich jedenfalls mehrere Wissenschaftler.

Yosef Garfinkels These wurde durch eine der Ausgräberinnen von Moza, Shua Kisilvitz, zusammen mit namhaften Kollegen öffentlich zurückgewiesen. "Leider ist seine Argumentation von Ungenauigkeiten durchsetzt, und seine Methodologie missachtet die verfügbaren Belege für antike koroplastische Kunst (Terrakotta) und das Studium der Religion im alten Israel. Wir lehnen Garfinkels Darstellung der figurativen Tonartefakte, seinen Interpretationsrahmen und die angebliche Metapher von Jhwh als sitzendem Reiter ab." Die Forscher legen eine Vielzahl archäologischer Gegenargumente vor. Die Figurenköpfe sind zwar zumindest in Moza in einem Ausgrabungskontext gefunden worden, der eine kultische Verwendung nahelegt. Jedoch ist auf ihnen weder eine identifizierende Inschrift zu finden noch gehören zu ihnen Attribute wie Hörner, Halbmonde oder Stiere, die im Alten Orient den göttlichen Charakter des Dargestellten aufzeigten.

Auseinandersetzung zwischen zwei archäologischen Schulen

Zudem ist die von Yosef Garfinkel angenommene Zusammengehörigkeit der im näheren Kontext gefundenen Pferdestatuen mit den Figurköpfen eine reine Spekulation. Am schwersten wiegt jedoch der Hinweis von Shua Kisilvitz und ihren Kollegen, dass ein vergleichbarer menschenähnlicher Tonkopf aus dem 11. oder 10. Jahrhundert auch in Ashdod gefunden wurde und somit aus dem Reich der Philister stammt, die den israelitischen Gott JHWH nicht verehrten. Und zudem gibt es ab dem 8. Jahrhundert eine Vielzahl von Reiter-und-Pferd-Figurinen, die keine Gottheit darstellen. So kommt Shua Kisilevitz zu einem vernichtenden Urteil gegen Yosef Garfinkels These: "Leider handelt es sich bei seiner Veröffentlichung um reine Sensationshascherei, die der populären, geldbringenden Nachfrage entgegenkommt, indem eine unbegründete und (bestenfalls) vorläufige Identifizierung als faktisch darstellt wird."

Der Streit über die Deutung der in Khirbet Qeiyafa und Moza gefundenen Figurenköpfe ist auch Teil eines bereits Jahrzehnte andauernden "intellektuellen Faustkampfs" zwischen den archäologischen Instituten von Jerusalem, dem Yosef Garfinkel angehört, und Tel Aviv, zu dem Shua Kisilevitz gehört, wie Florian Lippke gegenüber katholisch.de erklärt. "Doch der Vorwurf der methodischen Unzulänglichkeit ist gerechtfertigt", erklärt der Kurator am BIBEL+ORIENT Museum der schweizerischen Universität Fribourg. "Die Menschengestaltigkeit des Gottes Israels wird zwar immer wieder in der Hebräischen Bibel/dem Alten Testament zwischen den Zeilen angesprochen. Bei Garfinkel haben aber Überinterpretationen eine gewisse Tradition: Er ist der Überzeugung, sein Ausgrabungsort Khirbet Qeiyafa sei ein davidisches Dorf mit engen Verbindungen zu Jerusalem, obwohl es zur 'davidischen Zeit' komplett im Einflussbereich der Philister lag. Die biblizistische Vereinnahmung der archäologischen Funde begegnet aber auch bei zahlreichen anderen Forschern. Je näher die Funde an Jerusalem heranrücken, desto verwegener werden die Interpretationen."

Bild: ©Fotolia.com/kanuman

Immer wieder sorgen archäologische Entdeckungen in Israel für Aufsehen. Hier ein Blick über die Altstadt von Jerusalem.

Dies zeigt sich auch an Yosef Garfinkels Umgang mit der Bibel. Die häufig in der Bibel anzutreffende Formulierung "vor dem Angesicht JHWHs" für einen Besuch im Tempel stammt im Alten Orient aus der Sprache der Königsaudienz und sagt nicht darüber aus, ob im Tempel ein Götterbild stand und wenn ja, ob dieses ein menschenähnliches Gesicht hatte. Und seine Hauptbelegstelle dafür, dass der Gott Israels als ein Reiter auf einem Pferd dargestellt wurde, entwirft eigentlich das Bild, dass Gott mit seinen von Pferden gezogenen Kriegswagen daherkommt. Diese Götterdarstellung findet man häufig im Alten Orient.

Yosef Garfinkels gesamte Argumentation beruht im Endeffekt auf dem Tongefäß für Flüssigkeiten aus der archäologischen Sammlung Moshe Dayans. Dieser erstand es auf dem Schwarzmarkt und dessen Herkunft ist unbekannt. Dieses Gefäß, das einen Reiter auf einem Pferd darstellt, in dessen Nacken man eine Flüssigkeit füllen und sie durch das Maul des Pferdes ausgießen konnte, ist seit Jahren bekannt und wurde bislang nie als eine Götterdarstellung gedeutet. Tallay Ornan, eine ausgewiesene Expertin für die Kunst des Alten Orients weist daraufhin, dass "keine Darstellungen von Hauptgottheiten existieren, die als Anhänge auf anderen Objekten abgebildet sind. Gewöhnlich stellen diese Figuren sekundäre Gottheiten dar, die zum Schutz des Gefäßes selbst oder seines Besitzers angerufen wurden." Dies ist für sie ein weiteres gewichtiges Argument, warum Yosef Garfinkels These falsch sei.

In der Hebräischen Bibel wird der Gott Israels häufig sehr menschenähnlich beschrieben, doch auch nach Yosef Garfinkels Veröffentlichung gilt weiterhin, dass es keine sichere plastische Darstellung JHWHs aus der Zeit der Könige und des Ersten Tempels gibt. Später, nach dem Exil und dem Bau des Zweiten Tempels hingegen gibt es geprägte Münzen, auf denen die persische Provinz Jehud vermerkt ist, in der das Volk Gottes lebte – und auf ihnen sieht man eine sitzende Gottheit auf einen geflügelten Rad, die nach Ansicht mehrere Forscher JHWH darstellt.

Von Till Magnus Steiner