Kolumne: Mein Religionsunterricht

Alle Religionen sind gleich oder außerhalb der Kirche kein Heil?

Veröffentlicht am 12.02.2021 um 15:45 Uhr – Lesedauer: 

Paderborn ‐ Die Welt ist voller Religionen, die etwa in Deutschland oft dicht beieinander existieren. Wie verhalten sich Christen da am besten? Rudolf Hengesbach spielt ein Szenario in seiner Klasse durch – und verweist auf ein besonderes Projekt.

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In einer fiktiven katholischen Gemeinde mit einem Gemeindezentrum fragt eine Gruppe an, ob sie den Meditationsraum einmal in der Woche für ihre Zen-Meditation nutzen darf. Die Gruppe besteht aus Zen-Buddhisten und Christen. Der Leiter der Gruppe, ein aus der Kirche ausgetretener Christ, hat durch Zen ein tieferes Verständnis von Religion gewonnen und ist der Meinung, dass alle Religionen grundsätzlich an der gleichen mystischen Wirklichkeit teilhaben. Da ein Treffen in privaten Räumen nicht mehr möglich ist, würde sich die Gruppe gern, natürlich gegen eine Raummiete, im Gemeindezentrum treffen. Der Pastoralassistent, der während seines Studiums positive Erfahrungen mit Zen-Meditation gemacht hat, stimmt schließlich zu; der Pfarrer ist wegen ansonsten guter Zusammenarbeit ebenfalls einverstanden. Nach einiger Zeit fällt allerdings auf, dass bei den Zusammenkünften auch eine kleine Buddha-Statue aufgestellt wird, sowie Räucherstäbchen und liturgische Texte eine Rolle spielen. Diese Beobachtung sorgt für Unruhe in der Gemeinde bis hin zu einem Flugblatt mit dem Titel "Kein Götzendienst in unserer Gemeinde!!!!!"

Auf Basis dieser Situation und in einer fiktiven Pfarrgemeinderatssitzung kam es in meinem Unterricht zu einer engagierten Diskussion darüber, wieweit die Toleranz zwischen den Weltreligionen gehen sollte und letztendlich welche Rolle der jeweilige Wahrheitsanspruch spielt. Wir machten uns also auf die Suche nach Texten und Informationen, die uns Antwort auf diese Frage geben konnten. Im Fokus stand zunächst "Nostra Aetate", ein zentrales Dokument des II. Vatikanischen Konzils, das sich genau dieser Frage annimmt, allerdings schwerpunktmäßig mit dem Verhältnis zum Judentum und zum Islam. Neben der dort mit Blick auf alle Religionen vertretenen Position des Inklusivismus, die ausführt: "Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet. Unablässig aber verkündet sie und muss sie verkündigen Christus, der ist 'der Weg, die Wahrheit und das Leben' (Joh 14,6)", ging es auch um den Exklusivismus, der die Heilswahrheit nur in der eigenen Religion sieht und den Pluralismus, der alle Religionen in gleicher Weise nebeneinanderstellt.

Der Bezug zum täglichen Leben

In einem Rollenspiel als Podiumsdiskussion wurden die Positionen noch einmal sehr deutlich, wobei es dem Vertreter der exklusivistischen Position sichtlich schwerfiel, seine Argumentation durchzuhalten. Dennoch war es für ihn gewinnbringend, sich in diese Position hineinzudenken. Am Ende gab es überraschenderweise mehr Zustimmung für die inklusivistische Position als für die pluralistische Position. Welche Erkenntnisse nehmen Schülerinnen und Schüler aus einem solchen Unterricht mit und inwiefern könnte ihr tägliches Leben davon berührt werden?

Hans Küng beim ökumenischen Kirchentag 2010 in München.
Bild: ©dpa/Andreas Gebert (Symbolbild)

Das Projekt Weltethos will die Gemeinsamkeiten der Weltreligionen zusammenfassen und daraus einen gemeinsamen Normenkatalog entwickeln. Initiiert hat das Projekt der Theologe Hans Küng.

In diesem Zusammenhang erwies sich das Projekt Weltethos von Hans Küng als außerordentlich nützlich. Meine Schülerinnen und Schüler hatten dadurch nicht nur die Chance, einen differenzierten Einblick in die großen Weltreligionen zu gewinnen, sondern auch die Kernaussagen von Hans Küng: "Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen. Kein Dialog zwischen den Religionen ohne Grundlagenforschung in den Religionen." zu reflektieren und beispielsweise mit Blick auf die allen Weltreligionen gemeinsame Goldenen Regel auf ihre Alltagstauglichkeit hin zu überprüfen.

Zwei Beispiele: Auf dem Nachhauseweg von der Schule siehst du eine Gruppe von drei Gleichaltrigen, die einen jüngeren Schüler in die Enge getrieben haben und ihn "abziehen", das heißt ihn unter Androhung von Gewalt auffordern, seine neuen Markenschuhe herauszugeben. Wie reagierst du, und warum? Ruth, eine gute Freundin von dir, ist schon über ein Jahr mit ihrem Freund zusammen. Ruth fährt übers Wochenende weg. Da siehst du bei einer Party, wie ihr Freund mit einem anderen Mädchen Küsse und andere Zärtlichkeiten austauscht. Wie reagierst du, und warum? Damit waren wir im Alltag der Jugendlichen angekommen und die Goldene Regel war unmittelbar präsent. Als Erweiterung, und auch das haben wir diskutiert, wäre auch die Entwicklung von Perspektiven aus dem Projekt Weltethos in anderen Bereichen wie der Wirtschaft und der Politik denkbar. Das Problem, ob die Gruppe mit ihrer Zen-Meditation weiter im Pfarrheim bleiben darf, ist damit zwar noch nicht gelöst, aber die Perspektive von Gemeinsamkeiten in den Weltreligionen wie zum Beispiel der Goldenen Regel könnten hier einen Weg weisen.

Von Rudolf Hengesbach

Zur Person

Rudolf Hengesbach war Lehrer an einem Gymnasium in Paderborn und Vorsitzender des Bundesverbandes katholischer Religionslehrer.

Themenseite: Kolumne "Mein Religionsunterricht"

Wie funktioniert Religionsunterricht heute? Genau dieser Frage geht die neue katholisch.de-Kolumne nach. Lehrer verschiedener Schulformen berichten darin ganz persönlich, wie sie ihren Unterricht gestalten, damit sie die Jugend von heute noch erreichen.