"Das ist eine Form des Katholizismus, vor der ich warnen will"

Theologe Jürgens warnt vor Erstarken radikaler Kräfte in der Kirche

Veröffentlicht am 16.02.2021 um 12:06 Uhr – Lesedauer: 

Bochum ‐ Wegen der Missbrauchsfälle gehe die katholische Kirche durch "eine ihrer schwersten Krisen seit der Reformation", sagt Theologe Benedikt Jürgens. Gleichzeitig warnt er vor reaktionären Strömungen in der Kirche – und vor Verhältnissen wie in den USA.

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Der Bochumer Theologe Benedikt Jürgens warnt im Zuge von Missbrauchs- und Finanzskandalen in der katholischen Kirche vor dem Erstarken radikaler Kräfte. "Ich befürchte eine neokonservative, sehr rückwärtsgewandte Form der katholischen Kirche", sagte Jürgens in einem Interview den Zeitungen der Funke-Mediengruppe am Montag. "Ein vermeintlich harmloser Retro-Katholizismus, der gesellschaftlich nur noch wenig Bedeutung hat, wird anfälliger für reaktionäre Strömungen", so der Theologe, der das Kompetenzzentrum "Führung in Kirche und kirchlichen Einrichtungen" des Zentrums für angewandte Pastoralforschung in Bochum leitet.

Diese Form des Katholizismus könne instrumentalisiert werden, um Unzufriedenheitsgefühle für "einen intoleranten Nationalismus zu mobilisieren", sagte Jürgens weiter. In den USA, in Polen oder Ungarn könne man dies schon beobachten. In den USA gelte "selbst Papst Franziskus vielen Katholiken als Kommunist und damit als Feindbild. Das ist eine Form des Katholizismus, vor der ich warnen will."

"Wir benötigen auch eine Änderung der Haltung"

Das Hauptproblem der katholischen Kirche sei die fehlende Kontrolle von Amtsträgern. "Bislang liegt die Macht immer in den Händen einer Person, also dem Papst, dem Bischof oder dem Pfarrer vor Ort", so Jürgens. Darüber hinaus gäbe es keine Regeln, wie ein Bischof Rechenschaft ablegen müsse. "Wir benötigen auch eine Änderung der Haltung", erklärte der Theologe weiter. "Bisher ist das Selbstverständnis der Kirche doch so: Papst, Bischof oder Pfarrer predigen etwas und die Menschen sollen es hören, verstehen und befolgen." Veränderungsprozesse in der Kirche seien aber nur dann möglich, wenn man auf die Kirchenmitglieder höre.

Angesprochen auf die Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln hält Jürgens den Unmut der Gläubigen gegenüber der Bistumsleitung um Kardinal Rainer Maria Woelki für "absolut nachvollziehbar". Im Mittelpunkt der Aufarbeitung müssten vor allem die Interessen der Betroffenen stehen, fordert der Theologe. "Trotz aller Beteuerungen muss man ehrliche Zweifel haben, dass das so ist." Die katholische Kirche gehe wegen der Missbrauchsfälle "durch eine ihrer schwersten Krisen seit der Reformation vor 500 Jahren. Auch die Vorgänge in Köln sind ohne Beispiel – sieht man einmal vom Limburger Finanzskandal ab." Es sei nicht die Aufgabe eines Wissenschaftlers, einen Bischof zum Rücktritt aufzufordern, so Jürgens. Letztlich müsse Woelki diese Entscheidung selbst treffen. "Der öffentliche Druck auf ihn ist jedenfalls groß." (cbr)