Pastoraltheologe: Synodale Priesterausbildung statt Kasernierung
Die Deutsche Bischofskonferenz befasst sich gerade mit der Zukunft der Priesterausbildung, zugleich ist sie auch ein Schlüsselthema auf dem Synodalen Weg. Angesichts der andauernden Missbrauchskrise versteht sich dieser Diskussionsbeitrag als ein Impuls zu einem grundlegenden und umfassenden Reframing der Priesterausbildung im Kontext synodaler Selbstevangelisierung der Kirche. Bereits nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hatte es in vielen Bistümern durchaus bemerkenswerte Neuansätze in der Priesterausbildung gegeben, die allerdings im Rollback des Doppelpontifikats von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. weitgehend versandeten. Die weitreichende Reklerikalisierung dieser 'bleiernen Jahre' ist eine schwere Hypothek für alle kirchlichen Berufungswege, inklusive dem der Priester. Nach einem Vortrag sagte mir einmal ein älterer Pfarrer, er sei zwei Mal in seinem Leben als 'Konzilspriester' beschimpft worden: einmal als junger Kaplan von seinem alten Pfarrer und nun als alter Pfarrer von seinem jungen Kaplan. Im Pontifikat von Papst Franziskus ergeben sich nun jedoch neue Möglichkeiten für eine postklerikale, im Sinne gleichstufiger Weggemeinschaft 'synodal' ausgerichtete Priesterausbildung.
Synodalität statt Klerikalismus
Die bisherige Priesterausbildung führt häufig zu einem – zwar oft nicht intendierten, als Systemeffekt aber dennoch wirkmächtigen – Hineinsozialisieren in einen klerikalen Habitus, der längst als ein wesentlicher Grund des geistlichen Missbrauchs bis hin zu sexualisierter Gewalt identifiziert ist. Den besten Absichten der Ausbildenden zum Trotz, begünstigen bisherige Formen der Priesterformation die Herausbildung eines verhängnisvollen klerikalen Korpsgeistes ("Mitbrüder"). Das Problem sind dabei weniger einzelne Verhaltensweisen bestimmter klerikaler Männerbünde, als vielmehr diese Männerbünde selbst: "Klerikalismus meint ein hierarchisch-autoritäres System, das auf Seiten des Priesters zu einer Haltung führen kann, nicht geweihte Personen in Interaktionen zu dominieren, weil er qua Amt und Weihe eine übergeordnete Position innehat. Sexueller Missbrauch ist ein extremer Auswuchs dieser Dominanz." (MHG-Studie). Kurz gesagt: "Klerikalismus ist Pastoralmacht plus ständisches Kirchenbild" (Michael Schüßler). Oder noch kürzer: "Paternalistische Unterdrückungsfürsorge" (Ute Leimgruber).
Wie gefährlich in diesem Zusammenhang eine sakralisierende Selbstverwechselung der eigenen Kirchenmacht mit der Vollmacht Christi ist, zeigt folgender Originalton einer Überlebenden von sexuellem Missbrauch: "Er hat gesagt, dass ich von Gott verflucht bin und dass Gott mich hasst. Er hat mich vor dem Allerheiligsten missbraucht, geschändet und gesagt, dass Gott das will und dass Gott das gutheißt. Was ich mit dir mache, macht Gott mit dir." Das ist die existenzielle Fallhöhe, vor deren Hintergrund es heute dringend eine fundamentale, wirkliche Umkehr signalisierende Neuausrichtung der Priesterausbildung braucht.
Lehramtliche Hilfestellungen dazu gibt es gerade aus Rom. Papst Franziskus empfiehlt Synodalität, das "gemeinsame Vorangehen" aller Getauften, als ein probates "Gegenmittel" gegen systemischen Machtmissbrauch. Für Franziskus ist letztlich die ganze Kirche eine Societas Jesu (wie seine Ordensgemeinschaft) – eine synodale Weggemeinschaft der Nachfolge, in der alle Beteiligten zunächst einmal und vor allem anderen sociae und socii sind: Gefährtinnen und Gefährten des Herrn (IHS: Jesum habemus socium).
Das jüngste Diskussionspapier der DBK-Arbeitsgruppe schlägt mit seiner Idee einer gemeinsamen Ausbildung von angehenden Priestern, Gemeinde- und Pastoralreferent*innen einen 'synodalen' Weg ein. Denn auch die pastorale Ausbildung einer "ganz und gar synodalen Kirche" (Papst Franziskus) ist ein synodaler, d. h. gemeinsamer Weg aller Beteiligten – von griechischen syn-odos, dem gemeinsamen ("syn-") Weg ("-odos"): Ausbildung als gemeinsame Schule der Jüngerschaft. Während ihrer Ausbildung sollten angehende kirchliche Amtsträgerinnen und Amtsträger eine entsprechend 'weghafte' Form theologischer Erkenntnis kennenlernen und einüben können: "Nur ihm nachfolgend wissen Christen, auf wen sie sich eingelassen haben." (Johann B. Metz). Bernhard Spielberg: "Ausgebildet werden Karawanenführer […] nicht im Internat. Für die Wüste wird man in der Wüste ausgebildet. Mit fünfzehn Jahren werden junge Männer ausgesucht, die dann fünfzehn Jahre mit einer Karawane mitgehen. Erst dann übernehmen sie selbst die Verantwortung. Unterwegs lernen sie das Unterwegssein."
Klerikaler Frame und synodales Reframing
Wenn ich es recht sehe, dann lässt sich ein klerikaler Frame der Priesterausbildung vor allem durch drei Begriffe bestimmen: Disziplinierung, Homogenisierung und Isolierung. Alle drei Faktoren bedingen und ermöglichen einander:
- Was Disziplinierung meint, wurde vor einiger Zeit auf Feinschwarz.net unter der Überschrift "Mit Foucault im Seminar" sehr plastisch dargestellt. Diese analytische Perspektive lässt habitusformende Machtpraktiken sichtbar werden, mit denen das posttridentinische Seminarkonzept noch immer auf subtile Weise durch 'Kasernierung' normiert bzw. normalisiert – bis hin zur Farbe der Hose beim Domdienst.
- Homogenisierung beschreibt das dadurch begünstigte Entstehen eines geschlossenen Seminarmilieus ("Hausgemeinschaft"). Man muss nur einmal beim Mittagessen im Priesterseminar zuhören, worüber dort gesprochen ("Wer wird wohl wann wo Bischof?") oder gelacht (z. B. Klerikerwitze) wird, um einen Eindruck von der Abgeschlossenheit dieser selbstreferentiellen "Ekklesiosphäre" (E. Poulat) zu gewinnen. Ein Seminar, das hin und wieder Gäste zum Mittagessen einlädt, ist noch lange kein offenes Haus.
- Diese milieuhomogene Isolierung von der Außenwelt zeigt, dass Priesterseminare derzeit hauptsächlich für eine binnenpastorale Lumen-gentium-Kirche ausbilden, nicht aber auch für eine weltbereite Gaudium-et-spes-Kirche. Ein Seminarist berichtete einmal von einer teuren Fahrt der Hausgemeinschaft zur Glockenweihe für eine Seminarkirche, deren Gottesdienste ohnehin kaum noch jemand besucht – während er selbst darum kämpfen musste, ein Sozialpraktikum machen zu dürfen.
Die drei genannten Strukturprobleme der Priesterausbildung sind kein gottgegebenes Schicksal – sie sind menschengemacht und lassen sich daher auch verändern. Hier einige komplementär gegengleiche Alternativen:
- Individualisierung statt Disziplinierung: Auch in der Ausbildung braucht es individuelle Wege einer wohlwollend begleiteten "Erfahrung der Selbstwirksamkeit in gewagter Freiheit" (Rainer Bucher). Das erfordert teilnehmendenzentrierte und prozessorientierte Ausbildungsformen: "Lernt euch unterscheiden, gebt euch endlich frei – nur beschränkte Köpfe woll‘n das Einerlei." (Friedrich Karl Barth, Peter Horst).
- Pluralisierung statt Homogenisierung: Es braucht keine Konzentration von angehenden Priestern, Gemeinde- und Pastoralreferent*innen in neuen XXL-Seminaren, sondern vielmehr dezentrale Wohngemeinschaften, die in ein 'normales' Studierendenleben eingebettet sind: "Theologie lernt man jedoch nicht nur in der Vorlesung, sondern auch am Küchentisch der WG oder in der Kneipe mit wildfremden Leuten." (Simon Linder).
- Kontextualisierung statt Isolierung: Der auch von Bischöfen geforderte stärkere Praxisbezug ("Schwimmen lernt man nur im Wasser") der Priesterausbildung darf dabei nicht nur ad intra gerichtet sein (z. B. durch das phasenweise Mitleben in Pfarrgemeinden), sondern muss die Alumnen auch ad extra führen: "Ich bin nur froh, dass die Kirche – endlich – in die Welt geht, dort hat sie viel zu lernen." (M.-Dominique Chenu).
Theologiestudium mit Exposure-Charakter
Dieser Punkt scheint mir in den bisherigen Reformbemühungen unterbelichtet zu sein: die notwendige Öffnung der Priesterausbildung nach Außen. Papst Franziskus zufolge verwirklicht sich synodale Weggemeinschaft nicht nur ad intra, sondern auch ad extra – und das ist auch für die Priesterausbildung von zentraler Bedeutung. Denn wer nach Außen geht, wird dort zwangsläufig mit dem eigenen Innen konfrontiert – und das heißt dann auch mit Fragen zum kirchlichen Machtsystem, zur priesterlichen Lebensform, zur fehlenden Geschlechtergerechtigkeit oder zur katholischen Sexuallehre. Es gilt daher, nicht nur die Kirche, sondern auch die Ausbildung ihrer Priester von Außen her neu zu denken.
Dazu muss sich aber nicht nur die pastorale Ausbildung, sondern auch das Theologiestudium verändern. Dort braucht es mehr als nur eine binnenkirchlich introvertierte "Schreibtisch-Theologie" (Papst Franziskus), sondern auch weltfreudig extrovertierte Exposure-Anteile. Theologie als "kulturelles Laboratorium" (Papst Franziskus) gelebter christlicher Zeitgenossenschaft, an staatlichen Universitäten und auch in säkularen Kontexten: "Wer von seinen Priestern erwartet, in der Gesellschaft dialogfähig zu sein, darf seinem Nachwuchs nicht die Möglichkeit geben, unter sich zu bleiben." (Simon Linder).
Angehende Priester müssen daher aus ihrer persönlichen Komfortzone heraus in gesellschaftliche Exposure-Erfahrungen gelockt werden, die sie an ihre Grenzen bringen und über sich hinauswachsen lassen – im Sinne eines 'Inkulturationstrainings', dessen pastorale Heraus-Forderungen an den Quellgrund der eigenen Spiritualität führen. Denn nur neue Erfahrungen, die habituell Eingeübtes nachhaltig irritieren, ermöglichen Haltungsänderungen: "Eine Erfahrung ist etwas, woraus ich verändert hervorgehe." (Michel Foucault).
Welt-Priester im Geist des Konzils
Es gibt durchaus faszinierende Orte einer solchen Priesterausbildung. Einer der ersten vor dem Konzil war die französische Dominikanerhochschule Le Saulchoir. Unter der Ägide des späteren Konzilstheologen M.-Dominique Chenu kam es dort in den 1930er Jahren zu einer mehrdimensionalen Öffnung des Lehrbetriebs, die neben einer philosophischen Horizonterweiterung durch die Aufnahme von Karl Marx in das Studienprogramm, einer ökumenischen in der Annäherung an die Ostkirchen, einer interreligiösen im Kontext des späteren Kairoer Instituts für Islamstudien auch zu einer didaktischen durch erste pastorale Exposureprojekte führte: 1933 ermöglichte Chenu dem jungen Dominikaner Albert Bouche ein erstes Praktikum in den Kohleminen von Charleroi, dem weitere theologisch reflektierte Praxiserfahrungen in den Pariser Markthallen oder in den Autofabriken von Renault folgten.
Diese hochschuldidaktischen Pionierprojekte führten nicht nur zur Entstehung der Bewegung der Arbeiterpriester (PO = Prêtres-ouvriers), sondern à la longue auch zum Priesterdekret des Zweiten Vaticanums (PO = Presbyterorum ordinis) – auch wenn Chenu zunächst 1942 seines Amtes enthoben und die französischen Arbeiterpriester 1954 verboten wurden. Dieses markiert einen epochalen Neuanfang, denn es stellte das römisch-katholische Priestertum wieder vom Kopf auf die Füße: "Das vorkonziliare Schema wurde […] umgedreht. An die erste Stelle setzte […] man das Zeugnis für das Evangelium, von dem ausgehend und in dem sich dann die sakramentale […] Ordnung der Dinge artikuliert […]." (M.-Dominique Chenu).
Vagabunden der Sehnsucht
Als in einem Telefongespräch vor einiger Zeit von kirchlichen Ausbildungseinrichtungen die Rede war, kam es zu einem wunderbaren Versprecher, an dem Sigmund Freud sicherlich seine Freude gehabt hätte: Einbildungsausrichtungen. Diese gilt es, in Richtung einer im Geist des Konzils grundlegend reformierten Priesterausbildung zu überschreiten: Priester nicht mehr nur als kultzentrierte Sakramentenverwalter, sondern als weltpastorale Evangeliumszeugen – in den Pfarrgemeinden und an vielen anderen pastoralen Orten.
Das spirituelle Leitbild des Priesters von morgen kann heute nicht mehr der Pfarrer von Ars sein, sondern vielmehr der "zeitoffene Gottesmann" (Paul Zulehner), der andere Menschen als ein jesusbewegter "Vagabund der Sehnsucht" (Michel de Certeau) auf ihrer Suche nach dem guten Leben begleitet und ihnen das Evangelium als lebensförderliche "Ressource" (François Jullien) erschließt. Dieser mystagogische Außen-Dienst ist einer der anspruchsvollsten Berufungswege der Kirche, er verdient daher auch die volle Solidarität der Theologie.
Und er verdient Besseres als eine Ausbildungsform des 16. Jahrhunderts (= das posttridentinische Klerikalseminar), die ein Priesterbild des 19. Jahrhunderts (= der Pfarrer von Ars, im Kontext des traditionellen Pfarrmilieus) prolongiert. Zweifelsohne gibt es in der Priesterausbildung bereits viel guten Willen, der darüber hinausweist – aber dieser allein reicht heute nicht mehr aus. Es braucht auch neue, synodale Strukturen und einen anderen, postklerikalen Geist. Mehr Herz und Mut und auch mehr institutionelle Phantasie. Angehende Priester haben offene Settings statt geschlossener Milieus verdient. Denn man muss sie weniger 'hereinfordern' in die Welt des Seminars als vielmehr 'herausfordern' in das Seminar der Welt.
Zum Autor
Christian Bauer ist Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Innsbruck und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Pastoraltheologie. Eine längere Fassung des Textes erschien im "Leseraum" der Fakultät.