Psychotherapeut Wunibald Müller fordert ein Ende des Zölibats

"Papst Franziskus, öffnen Sie die Tür"

Veröffentlicht am 28.12.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Im Vordergrund ein Priester mit Kollarkragen und im Hintergrund eine Frau.
Bild: © KNA
Kirche

Münsterschwarzach ‐ Der Münsterschwarzacher Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller hat sich bei Papst Franziskus für die Aufhebung des Zölibats eingesetzt. "Die Tür dazu ist nicht geschlossen. Sie ist lediglich angelehnt. Es liegt an Ihnen, ob sie geöffnet wird. Öffnen Sie die Tür", schreibt der Leiter des Recollectio-Hauses in einem persönlichen Brief, der der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vorliegt.

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Bei seiner Arbeit sei er in 25 Jahren vielen Priestern begegnet, die sich "aufgrund des geforderten zölibatären Lebensstils in einer großen seelischen Not befinden".

Sehnsucht nach Beziehungen

Müller, der sich im Recollectio-Haus vor allem um Geistliche in Lebenskrisen kümmert, schreibt, dass auch immer mehr jüngere Priester sich nicht mehr in der Lage sähen, den Erwartungen eines ehelosen Lebens nachzukommen. Sie versuchten, ihre Sehnsucht nach Beziehungen, in denen sie sich gehalten fühlten, "in solchen Beziehungen zu finden, die manchmal mit dem zölibatären Lebensstil in Einklang zu bringen sind, oft aber auch nicht". Die sich daraus ergebenden Spannungen verschärften ihre seelische Not. Das segensreiche Wirken von Papst Franziskus habe dazu beigetragen, dass die Bereitschaft unter den Priestern, die in Beziehungen lebten, zugenommen habe, sich zur Wahrheit zu bekennen.

Psychotherapeut und Theologe Wunibald Müller ist Leiter des Recollectio-Hauses in der Abtei Münsterschwarzach.
Bild: ©KNA

Psychotherapeut und Theologe Wunibald Müller ist Leiter des Recollectio-Hauses in der Abtei Münsterschwarzach.

Es dürfe nicht länger sein, dass Geistliche, die am Zölibat scheiterten, nur vor der Alternative stünden, ihr Priesteramt zu verlassen oder im Amt zu bleiben und im Geheimen sexuelle Beziehungen zu pflegen, so Müller weiter. Ein entscheidender Lebensbereich werde oft "im Dunkelraum" gelebt. "Die dort praktizierte Sexualität und Intimität kann sich nicht wirklich entfalten und ist deswegen in besonderer Weise auch anfällig für psychisch und spirituell ungesunde Verhaltensweisen, die das zölibatäre Leben eher verdunkeln und in Misskredit bringen." Daraus erwachse für die Kirche auch ein ernstes Glaubwürdigkeitsproblem.

Eine Entkopplung von Priestertum und Zölibat sei zudem ein wirkliches Ernstnehmen der menschlichen Konstitution "und dabei auch der Macht und der Kraft der menschlichen Sexualität", schreibt der Psychotherapeut. Theologisch ausgedrückt sei dies eine "Schöpfermacht und Schöpferkraft", die Gott den Menschen in der Sexualität geschenkt habe.

Heftige Diskussion - auf der Erde und im Himmel

Müller plädiert in dem Schreiben an den Papst zudem für das Priestertum der Frau. "Die Diskussion darüber wird weitergehen. Und im Himmel, davon bin ich überzeugt, findet bereits eine heftige Diskussion darüber statt." Der Theologe zitiert die heilige Edith Stein, die zu Lebzeiten zu diesem Thema sagte, "dogmatisch scheint mir nichts im Wege zu stehen". Im Gegensatz zum Zölibat sei die Tür beim Frauenpriestertum für den Augenblick geschlossen. Deshalb würden weder Müller noch Franziskus wohl zu ihren Lebzeiten eine Änderung hier erleben. (KNA)

Der Brief in Auszügen

Lieber Papst Franziskus, (...) Ich bin dabei vielen Priestern begegnet, die auf eine überzeugende Weise zölibatär leben und von denen durch ihr Zeugnis Segen für sie und andere ausgeht. Ich bin aber auch unzähligen Priestern begegnet, die sich auch aufgrund des geforderten zölibatären Lebensstils in einer großen seelischen Not befinden. Diese Priester - unter ihnen auch immer mehr jüngere Priester - sehen sich nicht in der Lage, den in sie gesetzten Erwartungen hinsichtlich eines zölibatären Lebensstil nachzukommen, ja erleben diese Lebensform als eine Last. Sie versuchen ihre Sehnsucht nach Beziehungen, in denen sie sich gehalten erleben, in Beziehungen zu finden, die manchmal mit dem zölibatären Lebensstil in Einklang zu bringen sind, oft aber auch nicht. Die sich daraus ergebende Spannung verschärft ihre seelische Not. (...) Sie haben durch Ihr segensreiches Wirken dazu beigetragen, dass die Bereitschaft unter den Priestern, die in Beziehungen leben, sich der eigenen Wahrheit und Wirklichkeit zu stellen, zugenommen hat. Das wird dazu führen, dass immer mehr Priester, die in Beziehungen leben, zu ihrer Beziehung stehen und diese Beziehung dann auch leben, als Priester der Kirche damit aber verloren gehen. Das ist schade. (...) Ein anderer Grund, der für eine Entkoppelung von Priesteramt und Zölibat spricht, ist, dass die Priester, die angetreten sind mit der Absicht, zölibatär zu leben, es dann aber doch nicht tun beziehungsweise sich nicht dazu in der Lage sehen, nicht länger vor der Alternative stehen, entweder ihr Priesteramt zu verlassen oder im Amt zu bleiben und im Geheimen in auch sexuellen Beziehungen zu leben. Hier wird ein entscheidender Lebensbereich dann in einem Dunkelraum gelebt. Die dort praktizierte Sexualität und Intimität kann sich nicht wirklich entfalten und ist deswegen in besonderer Weise auch anfällig für psychisch und spirituell ungesunde Verhaltensweisen, die das zölibatäre Leben eher verdunkeln und in Misskredit bringen, ganz abgesehen davon, dass daraus ein ernstes Glaubwürdigkeitsproblem für die Kirche erwächst. (...) So manche Sünden und manche schäbige und psychisch ungesunde Verhaltensweisen und Entwicklungen könnten vermieden werden, wenn der ganze Bereich des Sexuellen und der Intimität innerhalb einer Priesterschaft, die zölibatäre und verheiratete Priester einschließt, einen selbstverständlichen Platz hätte. (...) Als Sie erklärten, dass die Tür zum Priestertum der Frau zu sei, waren viele Frauen in der Kirche enttäuscht. Die Diskussion darüber wird weitergehen und im Himmel, davon bin ich überzeugt, findet bereits eine heftige Diskussion darüber statt. Ich sehe vor mir die heilige Edith Stein, die alte Feministin, wie sie die wohlverdiente himmlische Ruhe des seligen Papstes Johannes Paul II. mit Überlegungen über das Frauenpriestertum stört, die sie schon zu Lebzeiten entwickelt hat: 'Die neueste Zeit zeigt einen Wandel durch das starke Verlangen nach weiblichen Kräften für kirchlich-karitative Arbeit und Seelsorgshilfe. Von weiblicher Seite regen sich Bestrebungen, dieser Betätigung wieder den Charakter eines geweihten kirchlichen Amtes zu geben, und es mag wohl sein, dass diesem Verlagen eines Tages Gehör gegeben wird. Ob das dann der erste Schritt auf einem Wege wäre, der schließlich zum Priestertum der Frau führte, ist die Frage. Dogmatisch scheint mir nichts im Wege zu stehen, was der Kirche verbieten könnte, eine solche bislang unerhörte Neuerung durchzuführen.' (...) Diese Tür ist für den Augenblick geschlossen. Es liegt an der Ruach, dem heiligen Geist, ob sie eines Tages doch noch geöffnet wird. Die Tür, die zur Entkopplung von Priestertum und Zölibat führt, ist nach meiner Einschätzung im Unterschied dazu nicht geschlossen. Sie ist lediglich angelehnt. Es liegt an Ihnen, ob sie geöffnet wird. Öffnen Sie diese Tür! Darum bitte ich Sie inständig. (Editiert von der KNA)