"Papst Franziskus, öffnen Sie die Tür"
Bei seiner Arbeit sei er in 25 Jahren vielen Priestern begegnet, die sich "aufgrund des geforderten zölibatären Lebensstils in einer großen seelischen Not befinden".
Sehnsucht nach Beziehungen
Müller, der sich im Recollectio-Haus vor allem um Geistliche in Lebenskrisen kümmert, schreibt, dass auch immer mehr jüngere Priester sich nicht mehr in der Lage sähen, den Erwartungen eines ehelosen Lebens nachzukommen. Sie versuchten, ihre Sehnsucht nach Beziehungen, in denen sie sich gehalten fühlten, "in solchen Beziehungen zu finden, die manchmal mit dem zölibatären Lebensstil in Einklang zu bringen sind, oft aber auch nicht". Die sich daraus ergebenden Spannungen verschärften ihre seelische Not. Das segensreiche Wirken von Papst Franziskus habe dazu beigetragen, dass die Bereitschaft unter den Priestern, die in Beziehungen lebten, zugenommen habe, sich zur Wahrheit zu bekennen.
Es dürfe nicht länger sein, dass Geistliche, die am Zölibat scheiterten, nur vor der Alternative stünden, ihr Priesteramt zu verlassen oder im Amt zu bleiben und im Geheimen sexuelle Beziehungen zu pflegen, so Müller weiter. Ein entscheidender Lebensbereich werde oft "im Dunkelraum" gelebt. "Die dort praktizierte Sexualität und Intimität kann sich nicht wirklich entfalten und ist deswegen in besonderer Weise auch anfällig für psychisch und spirituell ungesunde Verhaltensweisen, die das zölibatäre Leben eher verdunkeln und in Misskredit bringen." Daraus erwachse für die Kirche auch ein ernstes Glaubwürdigkeitsproblem.
Eine Entkopplung von Priestertum und Zölibat sei zudem ein wirkliches Ernstnehmen der menschlichen Konstitution "und dabei auch der Macht und der Kraft der menschlichen Sexualität", schreibt der Psychotherapeut. Theologisch ausgedrückt sei dies eine "Schöpfermacht und Schöpferkraft", die Gott den Menschen in der Sexualität geschenkt habe.
Heftige Diskussion - auf der Erde und im Himmel
Müller plädiert in dem Schreiben an den Papst zudem für das Priestertum der Frau. "Die Diskussion darüber wird weitergehen. Und im Himmel, davon bin ich überzeugt, findet bereits eine heftige Diskussion darüber statt." Der Theologe zitiert die heilige Edith Stein, die zu Lebzeiten zu diesem Thema sagte, "dogmatisch scheint mir nichts im Wege zu stehen". Im Gegensatz zum Zölibat sei die Tür beim Frauenpriestertum für den Augenblick geschlossen. Deshalb würden weder Müller noch Franziskus wohl zu ihren Lebzeiten eine Änderung hier erleben. (KNA)