Bischöfe diskutieren bei virtueller Frühjahrsvollversammlung

Studientag über Kirchenaustritte: "Die, die weg sind, sind weg"

Veröffentlicht am 26.02.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Es geht um nicht weniger als die Zukunft der Kirche: Bei ihrer Frühjahrsvollversammlung haben die Bischöfe über Kirchenaustritte und Kirchenverbleib gesprochen. Impulse bekamen sie dabei von Expertinnen und Experten aus Theologie und Pastoral. Katholisch.de gibt einen Einblick.

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"Jeder Kirchenaustritt tut weh und wir nehmen ihn wahr als Reaktion auf ein skandalöses Bild der Kirche, das wir derzeit abgeben": Mit deutlichen Worten hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Georg Bätzing, am Donnerstag auf die hohen Kirchenaustrittszahlen in Deutschland allgemein und im Erzbistum Köln im Besonderen reagiert. Die seit Jahren steigenden Zahlen hingen mit vielen Faktoren zusammen, die unumkehrbar seien. Die Ausschläge nach oben seien jedoch oft innerkirchlich zu verantworten.

Über die Erosion persönlicher Kirchenbindung und die Entfremdung von der Kirche haben die Bischöfe bereits im vergangenen Herbst diskutiert. Nun widmeten sie der Frage nach Kirchenaustritten und Kirchenverbleib bei ihrer Frühjahrsvollversammlung einen ganzen Studientag. Denn das Thema drängt: Heute gehören noch rund 43,3 Millionen Menschen in Deutschland einer der beiden großen Kirchen an – gerade einmal 52 Prozent der Gesamtbevölkerung. 2019 hatte der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen den Kirchen prognostiziert, dass bis 2060 sowohl die Mitgliederzahlen als auch das Kirchensteueraufkommen auf etwa die Hälfte zurückgehen werde. Allein im Jahr 2019 waren 272.771 Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten – ein neuer Rekord. Das Amtsgericht in Köln verzeichnete im Januar eine Welle von Kirchenaustritten in noch nie da gewesenem Ausmaß.

"Es war uns klar, dass wir in einem Studientag keine Patentrezepte entwickeln können", sagte Bätzing am Mittwoch. Und doch gebe es bereits innovative Projekte in der Pastoral – diese würden nur zu wenig von den Bischöfen und der Öffentlichkeit gehört. Sieben Expertinnen und Experten aus Theologie, Pastoral und Seelsorge haben mit den Oberhirten diskutiert. Katholisch.de stellt im Folgenden vor, was vier von ihnen zu sagen haben.

Katharina Karl – Übersehene und Vergessene der Pastoral

Die Frage nach der Sendung der Kirche und den Übersehenen und Vergessenen in der Pastoral stand im Fokus der Gesprächsgruppe der Professorin für Pastoraltheologie an der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Katharina Karl. Die Kirche sei nicht mehr einfach die, die gibt und die Menschen die armen Empfangenden, so Karl. "Bei vielen kritischen Themen, wo Menschen sozusagen am Rande der Kirche stehen, sind das Gruppen, die eigentlich Beteiligung wollen."

Die Kirche habe den Auftrag, solidarisch mit denen zu sein, die am Rande der Gesellschaft stünden. Das seien beispielsweise Geflüchtete oder Wohnungslose, aber genauso auch einsame Menschen, die sich aktuell in der Corona-Pandemie alleingelassen fühlen. Man könne den Begriff "Peripherie" aber auch umdrehen. So gebe es auf der anderen Seite auch Menschen, die zwar medial präsent, aber in der Mitte der Kirche nicht wirklich gewollt seien. "Das wären für mich etwa Frauen, die Beteiligungsrechte fordern oder die Menschen, die wegen ihrer sexuellen Lebensform am Rand sind", so Karl.

Die Pastoraltheologin betonte, es brauche Kreativität und intensive Anstrengung, um sich an Grenzen anzunähern und sich in Diskurse zu begeben. Zum Teil gebe es bereits viele Formen von Podien und Initiativen, doch die Frage bleibe, wie man noch mehr mit den Menschen in Berührung kommen könne. Natürlich sei es in der Pastoral aber allein aus Ressourcengründen nicht möglich, alle Felder gleichermaßen zu bedienen. Wichtig sei dann Sensibilität für die Bereiche, die ein Bistum besonders betreffen. "Man sollte dem nachgehen, was sich als besonders relevant herausgestellt hat", sagt Karl.

Die Bischöfe diskutieren in einer Videokonferenz
Bild: ©epa pool/Sascha Steinbach

"Es war uns klar, dass wir in einem Studientag keine Patentrezepte entwickeln können", sagte Georg Bätzing. Beim virtuellen Studientag diskutierten er und seine bischöflichen Mitbrüder über unterschiedliche Perspektiven zum Thema Kirchenaustritt und Kirchenverbleib.

Regina Laudage Kleeberg – Innerkirchliche Wahrnehmung und Analyse der Zahlen und Fakten

Als Ergebnis eines dreijährigen Projekts hatte das Bistum Essen 2018 die Studie "Kirchenaustritt – oder nicht? Wie Kirche sich verändern muss" veröffentlicht. Mitherausgeberin ist die Referentin für Organisationsentwicklung im Bistum, Regina Laudage-Kleeberg. Mit den Bischöfen hat sie über die zentralen Erkenntnisse dieser Studie gesprochen. Menschen würden demnach aus der Kirche austreten, wenn sie sich von der Kirche stark entfremdet oder nie eine richtige Bindung zu ihr gehabt hätten. "Das heißt: Skandale und Kirchensteuer sind Auslöser, aber keine Ursachen", so Laudage-Kleeberg.

Die Studie habe drei Bereiche herausgearbeitet, in denen die Kirche sich verbessern müsse. Zum einen brauche es mehr Qualität in der Pastoral. "Überall dort, wo Menschen mit uns in Kontakt treten – zum Beispiel bei Beerdigungen, Taufen oder Trauungen – müssen wir deutlich besser werden. Nicht nur bei der Dienstleistung selbst, sondern auch beim Kontakt davor und danach", sagt Laudage-Kleeberg. Darüber hinaus brauche es ein besseres Mitgliedermanagement. "Das bedeutet, viele Menschen nehmen so gut wie keine Angebote von uns wahr - und für diese Leute haben wir keine kontinuierliche Kommunikation", sagt die Referentin. "Wir bleiben nicht mit ihnen in Kontakt." Hier brauche es kluge Wege, um die Menschen zu erreichen, die sonntags nicht in den Gottesdienst kämen.

Was sind relevante Themen im Leben der Menschen?

Ein drittes Handlungsfeld liege beim Image und der Identität der Kirche. "Die Kirche muss erkennbar sein", fordert Laudage-Kleeberg. Unterschiedliche Bistümer hätten bereits Markenprozesse begonnen und kirchliche Angebote mit einem Logo versehen, um zu zeigen, dass mit der Kirchensteuer Gutes getan werde. Beim Image gehe es darum, dass Bistümer glaubwürdig zeigen müssten, dass sie sich weiterentwickeln wollen. Das sei zwar nicht ohne Weiteres möglich, aber jedes Bistum könne eigene Schritte machen, beispielsweise was die Segnungsfeiern für Menschen angehe, die nicht kirchlich heiraten können. "Was können wir jetzt tun, das den Menschen bei uns im Bistum das Leben verbessert, das religiöse Leben erleichtert und das Gefühl von Aufgehobensein bei Gott gibt?": Das sei eine der Leitfragen unterstreicht Laudage-Kleeberg.

Wichtig sei schließlich auch die Frage nach der Relevanz des kirchlichen Handelns im Leben der Menschen. "Die Frage lautet: 'Was sind die relevanten Themen und Fragen der Katholikinnen und Katholiken?' Und nicht: 'Wie bringen wir unsere Katechese weiter?'" 

Linktipp: Diese Konsequenzen hat ein Kirchenaustritt

Wieder sind im vergangenen Jahr Zehntausende Menschen aus der Kirche ausgetreten – diesmal ein neuer Höchstwert. Es ist eine Unterschrift mit weitreichenden Folgen, schließlich verliert man durch den Austritt fast alle Rechte in der Kirche. Ob das angemessen ist, bleibt umstritten.

Jan Loffeld – Rolle und Relevanz des Glaubens in der säkularen Gesellschaft

"Die Menschen haben nicht mehr die Fragen, die wir beantworten wollen", sagt Jan Loffeld, Professor für Praktische Theologie an der School of Catholic Theology der niederländischen Universität Tillburg. In den Niederlanden und gerade auch in jüngeren Generationen in Deutschland gebe es nicht mehr bloß einen Atheismus, sondern ein völliges Unberührtsein von religiösen Fragen. Lange hätten Theologie und Kirche an den Antworten auf religiöse Fragen gefeilt. "Wir haben jetzt eine völlig neue Situation, auf die wir gar nicht vorbereitet sind", so Loffeld.

"Die Konsequenz daraus ist, dass wir radikal auf uns selbst zurückgeworfen sind." Das führe in eine "radikale Form von Freiheit, weil wir die Leute erstmal so lassen müssen, wie sie sind, weil wir im positiven Sinne nichts machen können." Diejenigen, die sich für den Glauben entschieden, täten das aus Freiheit und aus einer persönlichen Entscheidung heraus. Das sei in der Volkskirche nicht immer der Fall. Das bedeutet aus seiner Sicht im Umkehrschluss aber nicht, nichts in der Kirche zu verändern. "Wir müssen das verändern, was wir können, deswegen hat auch der Synodale Weg einen Sinn. Aber wir dürfen das nicht koppeln mit: Dann ist alles gut." Das sei ein Paradoxon aus gleichzeitigem Tun und Nichts-Tun.

Evangelium könne immer noch zur Lebensoption werden

"Ich glaube, dass unsere Kultur Lebensdeutungen heute nicht mehr kognitiv deutet, sondern narrativ", so Loffeld. In der Pastoral müsse es daher stärker darum gehen, dass Menschen ihre Lebensgeschichten erzählen könnten, die Seelsorger zunächst zuhören und an bestimmten Stellen mit der Botschaft des Evangeliums andocken könnten. "Die Kirche hat da aber keine Deutungshoheit mehr."

An vereinzelten Stellen in den zu über 70 Prozent säkularen Niederlanden würden sich ohne kirchliche Initiative mittlerweile Orte diakonischer Tätigkeit bilden sowie Klöster in die junge Menschen eintreten. "Es gibt Menschen, die zeigen, dass vielleicht eine bestimmte Gestalt von Kirche am Ende ist, aber dass das Evangelium für Einzelne immer noch zu einer Lebensoption werden kann."

Bild: ©stock.adobe.com/Alex Tihonov (Symbolbild)

"Der eigentliche Auftrag von Kirche ist doch nicht, möglichst viele Mitglieder zu werben", sagt Eberhard Tiefensee. In den Kirchenaustritten sieht er keinen Unfall, sondern "eine Herausforderung des Heiligen Geistes".

Eberhard Tiefensee – Erfahrungen und Perspektiven der ostdeutschen Diözesen

Die katholische Kirche war in Ostdeutschland nie eine Volkskirche. "Wir sind sozusagen eine Immigrantenkirche", sagt Eberhard Tiefensee. Er ist Priester im Bistum Dresden-Meißen und emeritierter Professor für Philosophie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Erfurt. Grundsätzlich habe man es mit einem Atheismus zu tun, der in der Bevölkerung genauso verwurzelt sei, wie in anderen Gegenden Protestantismus oder Katholizismus. "Die Leute waren nie in der Kirche und sie haben nie Kontakt gehabt zur Kirche", fasst Tiefensee zusammen.

Sein Ansatz: "Wir müssen im Grunde das, was wir im innerchristlichen Bereich Ökumene nennen und im interreligiösen Bereich interreligiösen Dialog, hier im Ostern mit denen praktizieren, die um uns herum leben." Dafür gebe es simple Regeln: Ziel könne es nicht sein, Menschen auf die Seite der Kirche zu ziehen. Das sei das Ende jeder Art von Dialog. Loslassen sei daher wichtig, sagt Tiefensee: "Die, die weg sind, sind weg." Jetzt müsse ein Austausch auf Augenhöhe beginnen.

Kirchenaustritte Herausforderung des Heiligen Geistes

In den Kirchenaustritten sieht der Theologe und Priester keinen Unfall, sondern "eine Herausforderung des Heiligen Geistes". "Der eigentliche Auftrag von Kirche ist doch nicht, möglichst viele Mitglieder zu werben", sagt er. Die Menschen müssten vielmehr erkennen, dass die Kirche ihnen den Rücken stärke. 

Wichtig sei dabei Kreativität und die Frage danach, was die Kirche den Menschen Gutes anbieten und tun könne. "Das ist die Aufgabe jeder Tankstelle: Man kommt, tankt und fährt wieder", sagt Tiefensee. Dann würden sich auch Menschen in verschiedenen Bereichen der Kirche engagieren, die mit der Kirche selbst überhaupt nichts zu tun haben und sich so trotzdem mehr oder weniger selbstverständlich zugehörig fühlen. "Das Ziel heißt nicht: 'Wie bekommen wir die Menschen wieder in die Kirche?' Sondern: 'Wie bekommen wir die Kirche ihnen hinterher?'

Von Christoph Brüwer